Weltacker Die ganze Welt bekommt ein Feld
Nachhaltig leben. So leben, dass dies nicht zu Lasten anderer Menschen auf dieser Welt geschieht. So, dass man diesen Planeten den kommenden Generationen in einem guten Zustand überlässt. Darüber wird seit Jahren viel diskutiert. Und viele Menschen treibt das auch persönlich um: Wie kann ich konsumieren, ohne dabei auf Kosten anderer zu leben und mehr zu verbrauchen, als dieser Planet für mich eigentlich bereitstellt?
Lebensgrundlage: Wie viel Boden gibt es für uns?
"Weltacker" von oben: Die Ackerfläche, die ein Mensch theoretisch zum Leben braucht.
Ackerfläche spielt bei einem nachhaltigen Leben eine zentrale Rolle, also der Boden, auf dem wir anbauen können, was wir zum Leben brauchen. Auf dem auch das Futter für die Tiere wachsen muss, die wir schlachten und essen. Und auf dem wir auch Pflanzen anbauen, aus denen wir Energie gewinnen.
1,5 Milliarden Hektar an Ackerfläche gibt es auf unserer Erde. Und 7,5 Milliarden Menschen. Damit stehen jedem Erdbewohner im Durchschnitt 2.000 Quadratmeter an Ackerfläche zur Verfügung, auf der alles wachsen kann, was ihn nährt und versorgt. Genug Fläche, um mehr Gemüse und mehr Getreide anzubauen, als ein Mensch in einem Jahr essen kann. Aber eben nicht genug für beliebig viel Fleisch, Textilfasern oder Bio-Sprit. Deshalb kommen wir in Europa mit nur einem sogenannten "Weltacker" pro Person nicht aus.
Auch wir Deutschen leben über unsere Verhältnisse. So braucht jeder Bundesbürger statt der ihm in der Theorie zustehenden 2.000 Quadratmeter Ackerfläche tatsächlich 2.700 Quadratmeter. Das heißt, dass 700 Quadratmeter "importiert" werden müssen - und den Menschen woanders fehlen.
Das liegt zum einen daran, dass in Deutschland viel Fleisch gegessen wird, vor allem Schweinefleisch. Denn die "Weltackerfläche" von 2.000 Quadratmetern reicht gerade einmal aus, um Futter für zwei Schweine anzubauen. Außerdem werden hierzulande viele Lebensmittel weggeschmissen und es wird jede Menge Kleidung gekauft - vor allem aus Baumwolle, die viel Ackerfläche benötigt. Zusätzlich brauchen wir Fläche zum Anbau von Energiepflanzen, zum Beispiel zur Herstellung von Agrosprit, also Biosprit.
Bodenversiegelung: Wenn Äcker zugebaut werden
Frage: Wie viel Ackerfläche braucht ein Mensch?
Wie können wir uns nun im Alltag verhalten, um nicht zu viel Ackerland zu beanspruchen? Ein ganz besonderes Projekt soll bei der Beantwortung helfen: Der "Weltacker". Inzwischen sind dem Projekt viele weitere seiner Art gefolgt.
Das "Weltacker"-Projekt: Wie es dazu kam
Wie soll man sich seinen eigenen Anteil an der einem selbst auf dieser Welt zur Verfügung stehenden Ackerfläche vorstellen? Gar nicht so einfach!
2.000 Quadratmeter Ackerfläche für jeden von uns - das ist zwar eine konkrete Zahl, bleibt für die meisten von uns aber abstrakt. Viele Waren, die wir kaufen, kommen aus anderen Regionen oder aus dem Ausland. Das fängt bei Lebensmitteln wie Obst, Gemüse, Fleisch und Getreide an, betrifft aber auch andere Produkte wie zum Beispiel unsere Kleidung. Tomaten aus Spanien, Trauben aus Südamerika, Baumwolle aus Indien. Wieviel davon verbrauche ich pro Jahr? Wie werden diese Güter produziert? Wieviel Ackerland wird dafür benötigt? Und reichen dafür die 2.000 Quadratmeter aus? Schwer einzuschätzen.
Deshalb begann die Zukunftsstiftung Landwirtschaft 2013 mit dem Projekt "2000m²", auch "Weltacker" genannt: Auf einer Fläche von genau 2.000m² werden die wichtigsten Ackerkulturen der Welt angebaut - in dem Größenverhältnis, in dem sie auf den Ackerflächen unserer Erde auch tatsächlich vorkommen: Weizen, sonstiges Getreide, Reis, Mais, Gemüse, Soja, Ölfrüchte, Erdfrüchte, Hülsenfrüchte, Tabak, Zucker und Futterpflanzen.
Der Berliner "Weltacker" wechselte seitdem mehrfach seinen Standort und befindet sich heute im Botanischen Volkspark Blankenfelde-Pankow. In Deutschland gibt es mittlerweile mehrere solcher "Weltäcker", unter anderem auch in Landshut, Nürnberg und Überlingen, die persönlich oder auch virtuell besichtigt werden können.
Nachhaltigkeit: Reicht ein "Weltacker" aus?
2.000 Quadratmeter sind mehr als genug, um einen Menschen gut und gesund zu ernähren und auch noch mit Kaffee, Tee, Kakao, Baumwolle und Ähnlichem zu versorgen. Aber dennoch kommen wir in Europa und auch in Deutschland mit diesen 2.000 Quadratmetern nicht aus.
Beispiel Baumwolle: Wie viel Baumwolle braucht meine persönlicher "Weltacker"?
Ein Baumwollfeld in Bangladesch: Auch unsere Bekleidung, beispielsweise aus Baumwolle, muss auf dem Weltacker Platz finden.
Rund 26 Kilogramm an Bekleidung kauft jeder Deutsche durchschnittlich pro Jahr. Vieles davon ist aus Baumwolle. Was bedeutet das für den persönlichen "Weltacker"? Das kann man schätzen:
- Zunächst hängt der Ertrag des Baumwollanbaus stark von der Region ab. Die USA liegen bei etwas mehr als 900 Kilogramm pro Hektar, in Brasilien sind es 1.700 Kilogramm pro Hektar, in China 1.900. Weltweiter Durchschnitt sind weit weniger: 766 Kilogramm Baumwolle pro Hektar.
- Ein Hektar sind 10.000 Quadratmeter. Unser "Weltacker"-Stück hat aber nur 2.000 Quadratmeter, also 0,2 Hektar, ein Fünftel. Damit könnten wir dort nicht 766 Kilogramm Baumwolle ernten, sondern nur ein Fünftel, also 153,2 Kilogramm Baumwolle.
- Wenn wir annehmen, dass die gesamten 26 Kilo an Bekleidung, die wir im Jahr kaufen, aus Baumwolle sind, dann können wir auf unserer Fläche 5,89-mal so viel an Baumwolle anbauen wie die 26 Kilogramm, die wir verbrauchen.
- Und wenn wir nur so viel Baumwolle anbauen, wie wir für unsere 26 Kilo brauchen, dann benötigen wir von unserer "Weltackerfläche" 339,6 Quadratmeter - nur für diese Baumwolle. Damit verbleiben uns für unseren sonstigen Bedarf nur noch 1.660,4 Quadratmeter. Damit kämen wir noch ganz gut hin, aber es ist schon deutlich weniger.
Haken an der Rechnung: Bisher haben wir noch nichts gegessen.
Beispiel Biosprit: Energiepflanzen auf dem "Weltacker"
Raps ist eine der wichtigsten Kultur- und Energiepflanzen. Für den "Weltacker" allerdings ist sie weniger geeignet: Man kommt damit nicht weit.
Noch ein wichtiges Produkt, das uns nicht ernährt, für das aber Ackerfläche benötigt wird, sind Energiepflanzen: Pflanzen, die speziell für die energetische Nutzung angebaut werden.
So wird ein nicht unerheblicher Anteil unserer Äcker mittlerweile für die Produktion von Bioethanol, also Biosprit, in Anspruch genommen. Die EU-Mitgliedsstaaten stellten 2019 insgesamt rund 5,6 Milliarden Liter Bioethanol her - wobei 82,3% oder 4,61 Milliarden Liter davon für den Kraftstoffbereich bestimmt waren. Der Rest ging in die chemische Industrie sowie in den Getränke- und Nahrungsmittelbereich. Dadurch geht Ackerfläche für die Herstellung von Nahrungsmitteln verloren.
In Deutschland wird bereits ein Fünftel aller Äcker für die Kraftstoff- und Energieerzeugung genutzt. Was bedeutet das mit Blick auf unseren "Weltacker"? Jeder von uns hat ja 2.000 Quadratmeter zur Verfügung. Was der Anbau von Energiepflanzen für diese Fläche bedeutet, rechnet man beim Berliner "Weltacker"-Projekt wie folgt: Wandelt man die in Europa durchschnittliche Rapsernte von rund 600 Kilogramm, die auf 2.000m² erzielt werden können, in Agrarsprit um, dann erhält man so viel Sprit, dass ein Auto mit einem gängigen Dieselmotor und einem Verbrauch von 7,1 Liter auf 100 Kilometer damit rund 3.400 Kilometer weit fahren würde. Das wäre in etwa die Strecke von Hammerfest in Nordnordwegen nach Wien - allerdings nur einfach. Oder eine Strecke von Berlin nach Bukarest und wieder zurück.
Danach wäre der "Weltacker" leer. Gegessen hätte man allerdings immer noch nichts. Und nackt wäre man auch noch. Hinzu kommt, dass Energiepflanzen natürlich nicht nur hierzulande, sondern weltweit angebaut werden - Umweltschäden werden dabei in Kauf genommen.
Guten Appetit? Wir könnten alle satt werden - oder?
Getreideanbau auf einem "Weltacker": Prinzipiell könnte er uns ernähren, wenn nicht so viele Lebensmittel auf dem Müll landen würden.
Wenn wir uns nur auf den Verbrauch von Ackerfläche für Nahrungsmittel konzentrieren, warten die "Weltacker"-Projekte mit interessanten Zahlen auf. Die theoretischen 2.000 Quadratmeter persönliche "Weltacker"-Fläche eines jeden reichen aus, um einen Menschen jeden Tag mit 3.500 Kilokalorien zu versorgen - viel mehr, als man braucht. Geht man von einem täglichen Bedarf von 2.000 Kilokalorien aus, so die Rechnung beim Weltacker-Projekt in Berlin, müssten trotzdem 4.600 Kilokalorien auf dem Acker geerntet werden - mehr als das Doppelte. Warum?
Viele Lebensmittel werden nicht gegessen, sondern weggeschmissen: Händler sortieren sie aus, weil sie nicht mehr frisch oder gut genug aussehen - oder weil Kartoffeln, Möhren und anderes Gemüse nicht der Handelsnorm entsprechen.
Auch wir selbst werfen Lebensmittel weg, weil wir mehr einkaufen, als wir essen. So landen laut Welthungerhilfe allein in Deutschland jedes Jahr 12 Millionen Tonnen Lebensmittel auf dem Müll - weltweit sogar 1,3 Milliarden Tonnen, ein Drittel von dem, was weltweit produziert wird.
Beispiel Ernährung: Was wir essen, zählt!
Mastschweine in der Bucht: Unser Futter muss gefüttert werden - beispielsweise mit Soja.
Was wir essen hat einen entscheidenden Einfluss auf die Ackerfläche, die jeder von uns für sich benötigt.
Vor allem der hohe Fleischkonsum in Deutschland und anderen Ländern sorgt dafür, dass Ackerland für den Anbau von Futtermitteln wie zum Beispiel Soja verloren geht. Welche Auswirkungen das weltweit hat, verdeutlicht eine Studie des World Wide Fund for Nature (WWF) aus dem Jahr 2014. Darin kommen die Autorinnen und Autoren zu dem Ergebnis, dass allein der Fleischkonsum in Deutschland - pro Person 56 Kilo Schwein, 19 Kilo Geflügel, 13 Kilo Rindfleisch und 1 Kilo Schaffleisch - einen Flächen-Fußabdruck von 1.000 Quadratmetern Ackerfläche für Futtermittel pro Person verursacht. Weltweit.
Hochgerechnet auf alle Bundesbürger, wäre das eine Fläche von 8 Millionen Hektar - in etwa die Hälfte aller uns in Deutschland zur Verfügung stehenden landwirtschaftlichen Nutzfläche. Würde man den Fleischhunger aller Deutschen mit heimischen Futtermitteln stillen wollen, müsste man laut WWF-Studie eine Fläche in der Größe des Bundeslandes Rheinland-Pfalz vollständig mit Soja bepflanzen.
Da das keine Option ist, importieren wir einen großen Teil unserer Futtermittel aus anderen Ländern. Eine Landnahme, die zur Rodung tropischer Regenwälder beiträgt und zum Umbruch von Grasland, weil sich landwirtschaftliche Flächen ausweiten. Die Folge: erhebliche negative Auswirkungen auf Klima und Biodiversität.