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Schiffskatastrophe Die letzten Nacht auf der Titanic

Die Titanic rammt am 14. April 1912 einen Eisberg und sinkt nahe Neufundland. Das als unsinkbar geltende Schiff reißt knapp 1.500 Menschen mit in den Tod. Seitdem schlummert der Luxusdampfer mitsamt seiner letzten Geheimnisse auf dem Grund des Atlantiks.

Stand: 12.04.2024 | Archiv |Bildnachweis

Dreimal läutet der Ausguck Frederick Fleet am 14. April 1912 gegen 23:40 Uhr die Alarmglocke: "Eisberg, direkt voraus!" Die Titanic dreht, doch sie ist auf ihrer Reise von Southampton nach New York zu schnell unterwegs und dem kalten Koloss schon zu nahe gekommen: Mit voller Reisegeschwindigkeit schrammt sie steuerbords am Eisberg entlang.

Titanic: Das Schiffsunglück kam ohne Vorwarnung

Zur gleichen Zeit liest der 35-jährige Lawrence Beesley, Augenzeuge und Überlebender des Schiffsunglücks, in seiner Kajüte. "Kein krachendes Geräusch", "kein Misston, wie er sein könnte, wenn sich zwei schwere Körper treffen", einfach nichts bereitet ihn und die rund 2.200 anderen Passagiere sowie Besatzungsmitglieder auf die bevorstehende Katastrophe vor. Die Maschinen werden gestoppt und die Titanic liegt scheinbar friedlich auf der Wasseroberfläche, die See ruhig wie ein Binnengewässer. Doch die Stille trügt.

19. April 1912: Der Untergang der Titanic wird untersucht

Audio: Untersuchungen zum "Fall Titanic" beginnen

Die Titanic ist nicht unsinkbar wie beworben

Die Titanic ist leckgeschlagen, sechs ihrer 16 wasserdichten Segmente werden geflutet, der Bug beginnt sich zu senken. Das Meer bahnt sich den Weg durch Bullaugen, Ladeluken und Lüftungsschächte. Das Vorderteil des Schiffs taucht immer weiter ins Wasser. Um Mitternacht lässt Kapitän Edward John Smith den ersten Notruf absetzen, befiehlt, die Rettungswesten anzulegen und die Rettungsboote klarzumachen.

Titanic: Das Schiff ist ein schwimmender Palast

Die Titanic war 269 Meter lang, 28 Meter breit, 53 Meter hoch und mit bis zu 60.000 PS rund 39 Kilometer pro Stunde schnell.

Zwischen den Eichenfußböden und Glaskuppeln war - zumindest in der ersten Klasse - alles vom Feinsten: Neben den luxuriösen Suiten und den stilvollen Rauch- und Speisesälen gab es ein beheiztes Schwimmbad, ein türkisches Bad, einen Gymnastikraum samt elektrischem Pferd und Kamel, eine mehrstöckige Squash-Anlage - und natürlich das Promenadendeck, auf dem die Reichen und Schönen zu flanieren pflegten.

Bis zu 4.350 US-Dollar ließen sich die Passagiere, darunter auch die vier reichsten Männer der Welt, die Fahrt kosten.

Wie ist die Titanic gesunken?

Ab 0:45 Uhr tauschen die ersten Passagiere den luxuriösen, "unsinkbaren" Stahlgiganten gegen ein kleines, wackliges Holzboot. Aus einiger Entfernung schauen sie zurück auf die "Schönheit der Schiffslinien und Lichter", wie Beesley erzählt - und erst dann offenbart sich ihnen der schreckliche Winkel, in dem die Titanic bereits liegt.

"In diesem Augenblick gab es einen Lärm, den viele Leute, ich glaube fälschlicherweise, als Explosion beschrieben. Für mich hat es immer so ausgesehen, dass es nichts anderes war als das Abstürzen der Maschinenanlage aus ihren Bettungen, die durch die Abteilungen krachten und alles in ihrem Weg zerschlugen. [...] Ich nehme an, dass sie durch den Rumpf schlugen und zuerst versanken, noch vor dem Schiff. Aber es war ein Geräusch, was noch niemand je zuvor vernommen hatte und niemand wird sich wünschen, es je wieder zu hören."

Lawrence Beesley in seinem bereits im Juni 1912 erschienenen Buch: Titanic - Augenzeuge der Katastrophe

Wann und wo ist die Titanic gesunken?

Gegen 2:20 Uhr kann der Schiffsrumpf den immer stärker werdenden Kräften nicht mehr standhalten - und bricht. Die Titanic versinkt nahe Neufundland im eisigen Atlantik, das Heck steil nach oben gerichtet. Mit einer Geschwindigkeit von bis zu 80 Kilometern pro Stunde schlägt sie in mehr als 3.800 Metern Tiefe auf und bohrt sich bis zu 15 Meter weit in den Schlamm.

Wie viele Überlebende gab es beim Untergang der Titanic?

Zusammen mit anderen Überlebenden wird Beesley in den frühen Morgenstunden vom herbeieilenden Passagierschiff Carpathia nach New York gebracht. Laut einem britischen Untersuchungsbericht überstehen die Katastrophe nur 712 Menschen. 1.495 ertrinken oder sterben an Unterkühlung: Die Wassertemperatur liegt unter 0 Grad Celsius, etwas oberhalb des Gefrierpunkts von Meerwasser.

Bilder der Titanic und des Wracks

Titanic - fatale Fehler

Unterschätzt

Seit Sonntagmorgen trudelten auf der Titanic Telegramme von vorausfahrenden Schiffen ein, die vor Eisbergen warnten. Die Wichtigkeit dieser Nachrichten wurde jedoch nicht erkannt: Die beiden Funker waren nicht bei der Reederei, sondern der Funkgesellschaft Marconi angestellt und damit beschäftigt, Privattelegramme abzuarbeiten. Mit den durchgegebenen Koordinaten konnten sie sowieso nicht viel anfangen. Kapitän Edward John Smith bekam zwar einige der Telegramme zu Gesicht, unternahm jedoch nichts.

Das wäre der Schlüssel zu den Ferngläsern gewesen.

Gegen Abend ging die Lufttemperatur weiter zurück und die Wassertemperatur war sehr niedrig - untrügbare Zeichen dafür, dass sich die Titanic in gefährlichem Gebiet befand. Die Matrosen im Krähennest bekamen den Auftrag, nach Eisbergen Ausschau zu halten. Allerdings ohne Ferngläser - die hatte der zuvor diensthabende Offizier in seinen Schrank eingeschlossen - und ohne Suchscheinwerfer: Die waren zwar bei der Kriegsmarine längst üblich, nicht aber an Bord der Titanic.

Und während normalerweise von den Wellen verursachter weißer Schaum den Eisberg schon von Weitem sichtbar macht, sei in dieser Nacht eine ölige See sanft um das tödliche Monster geschwappt und habe nichts von seiner Existenz verraten. So erzählt es Augenzeuge Lawrence Beesley in seinem Buch. Erst, als der Stahlriese nur noch 460 Meter - keine zwei Schiffslängen - vom Eisberg entfernt war, schlugen die Matrosen Alarm.

01.09.1985: Das Wrack der Titanic wird gefunden

Audio: Wie das Titanicwrack 1985 entdeckt wurde

1985 wird das Wrack der Titanic am Meeresboden aufgespürt

In 3.800 Metern Tiefe schlummert das Wrack der Titanic.

Unzählige Forscher machen sich in den darauffolgenden Jahrzehnten daran, das Wrack des Luxusdampfers zu finden. Am 1. September 1985 ist es dank moderner Technik soweit: Für den amerikanischen Tiefseeforscher Robert Ballard lässt "der erste Blick nicht den geringsten Zweifel" - zusammen mit seinem Team stöbert er die Titanic auf. Ballard setzt sich dafür ein, die Titanic vor Grabräubern zu schützen. Die letzte Überlebende des Unglücks, Millvina Dean, wehrt sich noch kurz vor ihrem Tod im Jahr 2009 dagegen, dass Stücke aus dem Wrack geholt werden. "Ich habe immer gehofft, dass man keine Gegenstände vom Schiff bergen wird. Das ist doch ein Grab, mein Vater liegt dort unten."

Titanic - populäre Irrtümer

Wettrennen

Wollte die Titanic einen neuen Geschwindigkeitsrekord aufstellen und ist deshalb zu schnell durch das Eisberggebiet gefahren?

Das Gerücht, die Titanic wollte das "Blaue Band" - die Auszeichnung für die schnellste Atlantiküberquerung - gewinnen, hält sich hartnäckig. Den Preis für die schnellste Überquerung hielt jedoch die Mauretania, mit der es die Titanic gar nicht aufnehmen hätte können: Mit ihren 78.000 PS war sie einen ganzen Tag schneller. Für eine geruhsame Reise sprach auch ein anderer Grund: "Die Titanic-Eigner setzten auf Luxus", sagt Metin Tolan, der sich mit der Physik der Titanic befasst hat. "Die Fahrt sollte so angenehm sein, dass man gern etwas länger an Bord war." Trotzdem berichteten Überlebende, die Titanic habe sich mit voller Geschwindigkeit bewegt und elementare Vorsichtsmaßnahmen missachtet.

Das Wrack der Titanic zerfällt

Ein Blick in die Titanic: So sieht eine Kabine aus der ersten Klasse mittlerweile aus.

Mittlerweile stirbt die Titanic selbst: Mikroorganismen zersetzen das Metall des Schiffs, fressen es regelrecht auf. "Eines Tages wird das Schiff auf dem Meeresboden kollabieren", heißt es von Seiten der Firma RMS Titanic Inc., die sich 1994 die Rechte am Wrack sicherte. In mehreren Expeditionen wurden technische Gerätschaften, Schmuck, Münzen und andere Erinnerungen geborgen, mehr als 5.500 Fundstücke sind es mittlerweile. Forscher des Unternehmens versuchen, das gesamte Wrack für die Ewigkeit zu bewahren - wenn auch bisher nur als dreidimensionales digitales Modell. Im 2012 eröffneten Titanic-Erlebniszentrum in Belfast können Besucher originalgetreue Nachbauten und Animationen bewundern, aber auch menschliche Tragödien nachverfolgen.

Brigitte Saar: Mit einem Spezialtauchboot zum Wrack der Titanic

Audio: Tauchgang zur Titanic - "Die Reise meines Lebens"

Kartierung: die Titanic wird 2023 in 3-D-Bildern sichtbar

So sieht das Wrack der Titanic aus. Um das Schiff ganz zu sehen, mussten 700.000 Aufnahmen gemacht und zu einem Scan zusammengesetzt werden.

Bevor die Titanic ganz zerfällt, ist es nach 111 Jahren gelungen, das in 3.800 Metern Tiefe liegende Schiff zu kartieren und hochauflösende 3-D-Bilder zu machen. Ein auf Tiefsee-Kartierung spezialisiertes Unternehmen machte von Tauchbooten aus rund 700.000 Aufnahmen. Dabei kämpfte das Team mit der Tiefe und Meeresströmungen sowie damit, dass sie das Wrack nicht berühren durften, um Schäden zu vermeiden.

Dank der Kartierung der Titanic und der Zusammensetzung der 3-D-Scans ist es nun erstmals möglich, das Schiff ganz und bis ins Detail zu sehen, bis hin zur Seriennummer eines Propellers. Wissenschaftler hoffen, dass sie mithilfe der 3-D-Scans mehr über die genaue Unglücksursache der Titanic herausfinden können. Die BBC veröffentlichte am 17. Mai 2023 Bilder der Titanic-Kartierung.

Titanic - merkwürdige Zufälle

Der Name

Im April 1912 wird die Titanic zu ihrer Jungfernfahrt aus dem Belfaster Hafen geschleppt.

Das Schiff "Titanic" zu nennen, scheint im Nachhinein fast fahrlässig: Bei den Titanen handelte es sich in der griechischen Mythologie um das Göttergeschlecht, das den Kampf gegen die Olympier verlor und in den Tartaros gestürzt wurde - den Strafort der Unterwelt, der noch hinter dem Hades liegt.

Davon wusste man bei der britischen Reederei White Star Line entweder nichts oder wollte nichts davon wissen: Dort sah man in einem Titan nichts anderes als einen kraftstrotzenden Riesen, was für die Titanic, das zu diesem Zeitpunkt größte Schiff der Welt, unzweifelhaft zutraf.

Und noch ein anderer Grund sprach gegen den Namen "Titanic" ...

So hat sich der Untergang der Titanic ins Gedächtnis eingebrannt

Aufsehen um die Titanic

Die erste Aufmerksamkeitsspitze hat die Titanic gleich 1912 erfahren: Innerhalb weniger Wochen erschienen zig Bücher und Filme zur Katastrophe. Die zweite Welle ereignete sich dann in den 1950er-Jahren, angeregt durch das Buch "A Night to Remember" von Walter Lord.

John Wilson Foster, selbst Titanic-Buch-Autor, weiß, wie es dann weiterging: "Bis in die 1980er-Jahre hinein schlief das Ereignis wieder." Erst die Entdeckung des Wracks 1985 und Camerons Film 1997 hätten das Interesse dann globalisiert. Die Kartierung der Titanic und die Veröffentlichung von 3-D-Bildern im Mai 2023 sorgen wieder für weltweites Aufsehen.

In den Köpfen bleibt die Titanic unvergesslich: Schon seit hundert Jahren fasziniert uns der Untergang des Stahlgiganten. Massen von Büchern und Filmen haben versucht, den Glanz des Luxusdampfers und den Horror seines Endes zum Leben zu erwecken. Der Titan war damals das Stärkste und Spektakulärste, was die Menschheit den Naturgewalten entgegenzusetzen hatte. Heute liegt er gebrochen tief am Meeresgrund, muss sich der Natur beugen - und kann sich doch als Mythos über sie hinwegsetzen.

Sendungen zur Titanic, ihren Untergang und das Wrack der Titanic:







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