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Geschmack Er liegt uns auf der Zunge

Süß, sauer, salzig, bitter und umami - das sind die Geschmacksrichtungen, die wir kennen. Schmecken ist für unsere Zunge Schwerstarbeit, für uns Überlebensstrategie und Genuss. Wie wir schmecken, was uns schmeckt.

Stand: 19.05.2021

Baby beim Essen | Bild: colourbox.com

Geschmack ist harte Arbeit: Damit wir wahrnehmen, wie ein Lebensmittel schmeckt, müssen wir es in den Mund nehmen und zerstören. "Wir müssen beißen, wir müssen schmelzen, wir müssen es mit der Zunge bearbeiten", erklärt Thomas Vilgis. Er ist Professor für Theoretische Physik und erforscht am Max-Planck-Institut in Mainz die Chemie und Physik der Lebensmittel.

Speisebrei trifft auf Geschmacksknospen

Wie kleine Zwiebeln sitzen die Geschmacksknospen in unserer Zunge.

Die Zunge analysiert die Nahrung. Auf ihrer Oberfläche sitzen die sogenannten Geschmackspapillen. Als rote Pünktchen kann man sie mit bloßem Auge erkennen. Die Papillen besitzen eine Öffnung, durch die Speichel und darin gelöste Nahrungsbestandteile gelangen. Das Gemisch trifft in einer Geschmackspapille auf mehr als hundert Geschmacksknospen, die wiederum aus ungefähr hundert Geschmackssinneszellen bestehen. "Diese Geschmacksknospen sind sozusagen die Detektoren, mit denen wir Grundgeschmacksrichtungen wahrnehmen können: süß, sauer, salzig, bitter und umami", sagt Thomas Vilgis. Essen wir zum Beispiel etwas Salziges, löst das einen Impuls in der Sinneszelle aus. Über ein Nervengeflecht gelangt die Information ins Gehirn, dort wird der Geschmacksreiz analysiert:

Kleine Geschmackskunde

  • salzig: Steht für Mineralien, die in geringen Mengen wichtig für den Stoffwechsel, im Übermaß aber schädlich sind.
  • süß: Steht für Zucker, sofortige Energie und dafür, dass ein Lebensmittel gefahrlos verzehrt werden kann. Es gibt in der Natur nichts Süßes, das giftig wäre.
  • sauer: Regt den Speichelfluss an und weist auf Lebensmittel hin, die wir mit Vorsicht genießen sollten, wie unreifes Obst und verdorbene Milch.
  • bitter: Warnt uns vor Giftstoffen. Etliche Bitterstoffe haben aber auch eine gesundheitsfördernde Wirkung und unterstützen zum Beispiel die Verdauung.
  • umami: Weist auf Proteine hin. Proteine werden aus zwanzig verschiedenen Aminosäuren gebildet. Eine davon ist die Glutaminsäure - die ist hauptsächlich für den Geschmack "umami" verantwortlich.

Genuss oder Gift?

Beim Essen werden Aromen freigesetzt. Essen können wir schmecken, riechen und fühlen.

Der Geschmackssinn der Zunge ist ein lebenswichtiger Kontrollmechanismus. Er verrät uns, ob etwas nahrhaft oder gefährlich für uns ist. Schädliches können wir schnell ausspucken. Um Genuss zu empfinden, müssen wir noch andere Sinnesorgane einsetzen. "Wenn wir das Lebensmittel im Mund bearbeiten, dann werden die Aromen freigeschleudert. Die sind flüchtig und können verdampfen. Beim Verdampfen im Mundraum gelangen sie in die Gegend des Riechkolbens. Dort befinden sich die Riechzellen", erklärt Thomas Vilgis. Und natürlich wird im Mund immer auch getestet, wie sich Essen anfühlt.

"Wir können die Vielfalt des Essens nur genießen, wenn wir alle Sinne beisammen haben: das Schmecken, das Riechen und Fühlen."

Thomas Vilgis, Professor für Theoretische Physik am Max-Planck-Institut in Mainz

Geschmack wird von Genen, Kultur und Kindheit bestimmt

Rund 50 verschiedene Gene sind für den Geschmack verantwortlich. Nicht bei allen Menschen sind sie gleich aktiv. Je nach Veranlagung sind manche bei dem einen angeschaltet und beim anderen nicht. Deshalb nimmt jeder Mensch Gerüche und Geschmacksrichtungen unterschiedlich wahr. Der eigene Geschmack wird aber immer auch vom Kulturkreis, in den man hineingeboren wird, bestimmt. Und natürlich von den Erinnerungen an die Mahlzeiten aus der Kindheit.

Aromen in Fruchtwasser und Muttermilch?

Noch ist nicht abschließend geklärt, ob Aromen ins Fruchtwasser übergehen.

Ob eine Prägung des Geschmacks noch vor der Geburt im Mutterleib stattfindet, ist umstritten. Eine amerikanische Studie zeigte, dass Schwangere, die viel Karottensaft trinken, diese Vorliebe an ihr ungeborenes Kind weitergeben. Ähnliche Experimente gab es auch mit Anis, Minze und Vanille. Andrea Büttner, Professorin für Aromaforschung und Abteilungsleiterin für analytische Sensorik am Fraunhofer Institut für Verfahrenstechnik in Freising, sieht solche Studien allerdings kritisch: "Man hat lange angenommen, dass Säuglinge schon im Uterus verschiedenen Aromen ausgesetzt sind. Hier fehlen aber sehr viele molekulare Nachweise. Es müsste ja eigentlich Aroma ins Fruchtwasser übergehen und müsste da messbar sein. Das konnten wir mit unseren Studien bislang nicht bestätigen."

Welche Rolle die Muttermilch spielt, ist ebenfalls noch nicht geklärt. Andrea Büttner hat mit ihrem Team getestet, ob in der Muttermilch überhaupt verschiedene Aromen ankommen: "Wir haben das an verschiedenen Beispielen untersucht - zum Beispiel an Stilltee oder Fischölen - und haben eigentlich in der überwiegenden Zahl herausgefunden, dass die Aromastoffe nicht detektierbar waren in der Muttermilch. Die Muttermilch hat vor und nach dem Stilltee genau gleich gerochen." Nur Knoblauch konnten sie tatsächlich nachweisen: Hat eine Mutter Knoblauch gegessen, roch auch die Milch danach und schmeckte wahrscheinlich auch so.

Lieblingsgericht Spinat?!

Das mit dem Spinat kann man ein paar Mal probieren. Vielleicht wird eine Liebe fürs Leben daraus.

Viele Kleinkinder begegnen neuem Essen skeptisch und lehnen es ab. Da hilft nur Geduld: Im Schnitt acht- bis zehnmal muss ihnen ein neues Lebensmittel angeboten werden, bevor sie es gern verspeisen. Das hat Ernährungswissenschaftlerin Angela Dietz vom Kompetenzzentrum für Ernährung in Freising herausgefunden. So wie Kinder laufen und sprechen lernen, müssen sie auch schmecken üben. Angela Dietz rät, dem Kind nach und nach die Vielfalt der Lebensmittel anzubieten, in einer ruhigen, entspannten Atmosphäre, sodass es sich auch auf die unterschiedlichen Geschmacksrichtungen konzentrieren kann und sie für sich abspeichern kann. Dann besteht die Chance, dass es noch als Erwachsener auf die Frage nach dem Lieblingsgericht "Rahmspinat mit Kartoffeln und Spiegelei" antwortet - dann allerdings mit Muskat verfeinert.


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