Astronauten Alltag auf der Internationalen Raumstation
Wer Langstrecke nach Asien oder Australien gefolgen ist, kennt die Überraschung: Je nach Flugzeit geht die Sonne während des Flugs plötzlich zweimal auf. Auf der ISS erleben Astronauten 16 Sonnenauf- und untergänge. Täglich. Alle 45 Minuten. Und wie lebt es sich sonst so auf der ISS?
Schwerelosigkeit: Wenn oben und unten relativ ist
US-Astronautin Sunita Williams zeigt eine von vier Schlaf-Kajüten in der Wand der ISS.
Wieso können Astronautinnen und Astronauten auf der ISS 16 Sonnenuntergängen zuprosten? Die ISS flitzt mit 28.800 Kilometern pro Stunde in nur 92 Minuten um die Erde!
Alkohol ist auf der ISS übrigens verpönt. Er würde deutlich stärker wirken. Nachts ist das ständig wiederkehrende Licht kein direktes Problem, denn auf der ISS schlafen Astronauten in Kajüten mit Schiebetür.
Allerdings berichten sie, dass sie mit geschlossenen Augen Lichtblitze sehen. Der Grund sind elektrisch geladene Teilchen, die die hell gleißende Sonne abgibt. Sie können die Wände der Raumstation und auch den menschlichen Körper durchdringen. Eine abschirmende Atmosphäre wie auf der Erde gibt es in 400 Kilometern Höhe nicht.
Und auch keine Schwerkraft. Das erste, was Astronauten auf der ISS lernen müssen, ist, sich an die Schwerelosigkeit zu gewöhnen. Manche leiden die ersten Tage an Übelkeit. Und schwebendes Fortbewegen ist auch nicht ohne. Das geht nur mit festhalten, an Haltegriffen überall in der ISS, und wieder abstoßen. Aber mit Gefühl, sonst kollidiert man schmerzhaft mit der Bordtechnik.
Schlafen ist schwerelos ein Ereignis: Es gibt kein oben und unten und kein Gefühl, zu liegen, denn man schwebt ja immerzu im Raum. Die Astronauten auf der ISS ziehen sich zum Schlafen deshalb in kleine Schlafkammern zurück und werden in Schlafsäcken gesichert. Die Arme schweben während des Schlafens vor dem Körper. Das sei eine angenehme Position, sagen Astronauten. Die Schlafkojen sind ringförmig in den Wänden der ISS verteilt. Oben und unten spielen auf der ISS ja keine Rolle.
Der Körper reagiert allerdings schon auf die Schwerelosigekeit: Astronauten bekommen Weltraumfieber. Ihre Körpertemperatur erhöht sich an Bord schleichend auf 38 Grad, bei Anstrengung und Sport sogar auf mehr als 40 Grad. Warum, weiß man noch nicht. Welche langfristigen Folgen das hat, muss noch erforscht werden.
Auf längeren Weltraumreisen wären solche Temperaturen kritisch für Menschen, vor allem fürs Gehirn.
Ein weiteres Phänomen im All: Astronauten haben aufgedunsene Gesichter und dünne Beine. Schuld sind die Beine selbst: Sie pumpen weiter wie gewohnt Flüssigkeit in den Oberkörper. Ohne Schwerkraft bleibt die dann auch vermehrt da.
Anschauen: Was ist die ISS und was hat sie ermöglicht?
Schere statt Messer: Essen auf der ISS
Die italienische Astronautin Samantha Cristoforetti streicht in der ISS-Küche Essen auf eine Tortilla.
Astronauten empfinden die im Körper ungleich verteilte Körperflüssigkeit als unangenehm. Dadurch verändert sich nämlich auch der Geschmackssinn. Was auf der Erde gut schmeckt, kann an Bord eines Raumschiffs plötzlich schlecht schmecken. Astronauten bevorzugen deshalb würzige Speisen im All.
Die kommen nicht mehr wie früher aus der Tube, sondern aus Beuteln oder Konservendosen, sind individuell auf den Raumfahrer abgestimmt und haben eine ähnliche Qualität wie auf der Erde. Zubereitet wird das Essen in Beuteln mit Wasser, wenn der Inhalt gefriergetrocknet ist, und es kann aufgewärmt werden.
Teller und Brot gibt es auf der ISS nicht: Macht unter Schwerelosigkeit keinen Sinn und Krümel können die Bordtechnik verschmutzen. Ein Tortilla-Fladen ersetzt beide. Auf den können die Pasten aus den Beuteln verteilt werden.
Wichtigste Werkzeuge sind an einer Bordküche im All deshalb Schere und Löffel, um all die Beutel aufzuschneiden und die Zutaten aus den Beuteln zu kratzen, wenn ausquetschen nicht reicht.
Getränke gibt es auch, aber pulverisiert. Sie werden mit Wasser angerührt und mit Strohhalm getrunken. Essen gibt es dreimal am Tag und Snacks sind auch jederzeit griffbereit.
ISS-Astronauten: Ein Leben ohne Schuhe
Der deutsche Astronaut Alexander Gerst trägt Socken und macht einen Purzelbaum in der Schwerelosigkeit.
Auf der ISS eher weniger im Einsatz sind Schuhe. Wie der Raumanzug werden sie nur bei Außeneinsätzen gebraucht oder beim Sport. Astronauten bewegen sich auf Socken durch die Raumstation sowie in T-Shirts und Hosen.
Neben Haltegriffen gibt es überall Schlaufen, in die Astronauten schlüpfen können, um trotz Schwerelosigkeit an einem Ort zu verweilen. Zum Beispiel, wenn sie arbeiten oder aufs Klo gehen. Schuhe würden da stören.
Auf der ISS muss Platz gespart werden. Astronauten dürfen deshalb nur eine begrenze Anzahl an Kleidung für den meist sechsmonatigen Aufenthalt auf der Raumstation einpacken. Eine Waschmaschine gibt es nicht. Täglich Unterwäsche, Kleidung und Handtücher wechseln? Unmöglich! Alexander Gerst postete auf Instagram, dass ihm fünf Unterhosen für zwei Wochen zur Verfügung stehen. Handtücher werden wöchentlich gewechselt. Kleidung wird ansonsten so lange getragen, bis sie zu sehr stinkt.
Raumanzüge müssen geteilt werden. Schmutzige Kleidung wird mit anderem Müll in leere Raumtransporter gestopft und zum Verglühen ins All geschossen. Bei Start und Landung tragen Astronauten Windeln.
Astronauten-Klo: Das gar nicht stille Örtchen
Die italienische Astronautin Samantha Cristoforetti zeigt die ISS-Toilette. Rechts an der Wand hängt der Urinschlauch.
Das stille Örtchen auf der ISS ist ein Kabuff mit Falttür - und deshalb weder geräusch- noch geruchssicher. Gerüche kann man aber immerhin mit dem Urin-Schlauch aus der Luft saugen.
Urin wird mit Unterdruck abgesaugt und genauso wie Schweiß zu Trinkwasser recycelt. Für größere Geschäfte steht eine Art Plumpsklo zur Verfügung. Es sieht aus wie ein Rohr mit Loch. Die Öffnung ist nicht besonders groß und die Astronauten müssen gut zielen. Um überhaupt an Ort und Stelle zu verharren, müssen sie vorher in die Fußschlaufen an der Toilette schlüpfen.
Feste Bestandteile werden mit Unterdruck eingesaugt, ein Teil wird eingelagert und zur Erde transportiert. Ein anderer Teil wird mit weiterem Müll per Raumtransporter ins All entsorgt. In das Hightech-Kosmos-Klo hat die NASA 23 Millionen Dollar investiert. Die ESA-Astronautin Samantha Cristoforetti zeigt in diesem Video der ESA, wie die Toilette funktioniert.
Wie das Klo keine Spülung hat, so hat die Dusche kein fließend Wasser. Die Astronauten stellen sich in eine Duschecke, tropfen mit Beutelwasser einen Waschlappen nass und rubbeln sich damit ab oder tropfen sich Wasser direkt auf die Haut, wenn sie mehr Zeit haben. Die Wassertropfen kleben in Schwerelosigkeit gelartig auf der Haut und lassen sich leicht verteilen.
Die Haare waschen sich Astronauten mit Trockenshampoo. Vorher - und manche auch nachher - machen sie sich die Haare mit ein bisschen Wasser nass.
Die Zähne werden wie auf der Erde mit Zahnpasta geputzt, die danach entweder geschluckt oder in ein Tuch gespuckt wird. Für Notfälle wie Zahnschmerzen sind Astronauten medizinisch geschult. Vor der Weltraumreise geht's zudem zum Zahnarzt, um alle Zahnfüllungen vorsorglich zu erneuern.
Hygiene auf der ISS ist wichtig, denn im All arbeitet das menschliche Immunsystem nicht so effektiv. Die Räume müssen deshalb wöchentlich gereinigt werden.
Astronauten-Arbeit: Wenn zwei Hände nicht reichen
Sport gehört auf der ISS zum Programm: Die US-Astronautin Sunita Williams im Bungee-Gurt auf dem Laufband.
Putzen steht also genauso auf dem Dienstplan wie Müll "rausbringen", Experimente durchführen und Außeneinsätze absolvieren. Astronauten arbeiten fünf Tage die Woche acht Stunden, schlafen acht Stunden und haben auch Ruhezeiten.
Die meisten nutzen sie, um Kontakt mit der Familie oder Freunden aufnehmen oder um den spektakulären Blick auf den Weltraum und die Erde durch den Ausguck der ISS zu genießen. Geweckt werden Astronauten von der Bodenstation, mit einem musikalischen Weckruf.
Pflicht sind auf der ISS außerdem zwei Stunden Sport täglich, weil Knochen und Muskeln ohne Schwerkraft schnell an Masse verlieren. Es gibt zum Beispiel ein Laufband. Um das zu nutzen, befestigen sich Astronauten in einem Bungee-Gurt. Das Ergometer an Bord der ISS hat aus Platzgründen keine Räder.
Egal, was man auf der ISS tut, es dauert deutlich länger als auf der Erde. Das trainieren Astronauten zwar vor der Weltraumreise, auf der ISS ist es dann aber doch erst einmal eine gewöhnungsbedürftige Überraschung für alle: Alles schwebt - und zwar schnell weg Richtung Luftschlitze. Utensilien für die Küche und die Dusche können schnell mit Klettverschlüssen gesichert werden, aber Reparaturen oder Raumanzug anziehen, erfordern Geduld und gute Reflexe.
Gesagt: Ulf Merbold
"Um den Helm ausziehen zu können, streift man erst seine Handschuhe ab - und sie schweben sofort davon. Du wünschst dir dann, mehr als nur zwei Hände zu haben, um alles festhalten zu können."
Ulf Merbold, erster westdeutscher Astronaut im All
Space Station-Spotting: Wo ist die ISS gerade?
Die ISS filmt die Erde in einem Live-Stream.
Mit dem ESA-Tracker kann man jederzeit sehen, über welcher Region der Erde sich die ISS gerade befindet und sie in der Morgen- oder Abenddämmerung auch mit bloßem Auge sehen, wenn man am gleichen Ort auf der Erde ist. Die ISS am Himmel ähnelt einem hellen Stern oder einem schnellen Flugzeug. Die Raumstation filmt die Erde auch. Tracker und Live-Stream kann man gemeinsam hier sehen. Fotos vom Leben im All gibt's beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt.
Mehr Wissen Infos zum Leben auf der ISS und zum Weltall
- Wie es sich auf der ISS lebt (BR Wissen)
- Warum ein Flug ins All furchtbar ungesund sein kann (Quarks, WDR)
- Was die Schwerelosigkeit mit der Gesundheit macht (BR)
- Der Weltraumkalender mit den wichtigsten Terminen der nächsten Zeit (MDR)
- Kochen im Weltall auf der ISS (ESA)
- Rundgang durch die ISS (NASA)
- Matthias Maurer auf Twitter (@astro_matthias)
- Alles zur ISS auf den Seiten der ESA