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Large Hadron Collider LHC Die Urknallmaschine des CERN am Genfer See

Der Large Hadron Collider (LHC) ist der größte Teilchenbeschleuniger der Welt. Wissenschaftler lassen in seinem Inneren Protonen und Atomkerne zusammenstoßen, um zu erfahren, wie das Universum kurz nach dem Urknall ausgesehen hat.

Stand: 26.04.2022 |Bildnachweis

Modell des LHC-Tunnels | Bild: picture-alliance/dpa

Der Teilchenbeschleuniger Large Hadron Collider (LHC) der Europäischen Organisation für Kernforschung CERN befindet sich in einem ringförmigen, rund 27 Kilometer langen Tunnel bei Genf. In hundert Metern Tiefe sind dort mehr als tausend Magnete aneinandergereiht. Diese beschleunigen Protonen oder Blei-Ionen nahezu auf Lichtgeschwindigkeit und lassen sie dann mit gewaltiger Energie zusammenstoßen. Beim Aufprall werden die Teilchen zertrümmert und es entstehen neue. Die CERN-Forscher wollen bei den Kollisionen Elementarteilchen beobachten, die bisher nur in ihren Theorien existieren. Das gelang ihnen zum Beispiel beim Higgs-Teilchen, das der Materie Masse verleiht.

LHC braucht Pausen

Am 10. September 2008 ging der Large Hadron Collider in Betrieb: Der erste Strahl mit Protonen umrundete den Tunnel des LHC. Doch eine Panne legte den Teilchenbeschleuniger gleich wieder lahm, und zwar für über ein Jahr. Im November 2009 wurde er erneut gestartet. Bis Anfang 2013 konnten Wissenschaftler den LHC für ihre Forschungen nutzen.

10 Jahre Higgs-Teilchen: Was hat die Teilchenphysik seitdem hervorgebracht?

Von Februar 2013 bis Juni 2015 hatte der LHC Pause, weil er aufgerüstet wurde: Er bekam neue, stärkere Magnete, um die Teilchenpakete auf noch höhere Geschwindigkeiten zu bringen. Die Physiker am CERN können die Teilchenpakete aber auch dichter zusammenpacken, wenn sie durch die Röhre rasen. Das erhöht die Zahl der Zusammenstöße und damit auch die Zahl der messbaren Signale.

Der unterirdische Ring des LHC (Illustration)

Die zweite Betriebsphase des LHC dauerte von 2015 bis 2018. Danach war erneut eine längere Pause notwendig, um die Leistung zu erhöhen.

Zusammenprall mit Rekordenergie

Teraelektronenvolt

In Elektronenvolt (Einheit: eV) wird die kinetische Energie angegeben, um die die atomaren Teilchen beschleunigt werden.
Ein Gigaelektronenvolt (eine Milliarde Elektronenvolt) entspricht etwa dem Ruhezustand eines Protons.
Ein Teraelektronenvolt (eine Billion Elektronenvolt) ist tausendmal so viel.

Seit dem 22. April 2022 ist der größte Teilchenbeschleuniger der Welt wieder in Betrieb. Nach gut drei Jahren Pause für Wartungs- und Modernisierungsarbeiten sind erstmals wieder zwei Protonenstrahlen in Umlauf. Sechs bis acht Wochen dauert es, dann ist der LHC voll einsatzbereit und Wissenschaftler können wieder Protonen auf Kollisionskurs schicken. Während der Abschaltung wurde die Leistungsfähigkeit des Beschleunigers und der angeschlossenen Detektoren deutlich erhöht. Teilchenkollisionen sind nun mit einer Energie von bis zu 13,6 Teraelektronenvolt (TeV) möglich. Bis zu den nächsten Aufrüst- und Reparaturarbeiten soll der LHC vier Jahre lang in Betrieb bleiben.

Müdes Material

Magnetröhre im LHC

Der LHC musste während seiner ersten Unterbrechung im Jahr 2013 unter anderem deswegen abgeschaltet werden, weil die Magnete mit der Zeit immer schwächer werden. Sie sind supraleitend, das heißt, sie haben keinen elektrischen Widerstand. Um sie in diesen Zustand zu bringen, müssen sie auf unter minus 270 Grad gekühlt werden. Beim Abkühlen und Aufwärmen dehnen sich die Magnete aber aus und schrumpfen wieder zusammen, was das Material mechanisch so stark belastet, dass die magnetische Wirkung mit der Zeit nachlässt.

Rennbahn für Elementarteilchen

In dem rund vier Milliarden Euro teuren Beschleuniger ist es minus 271,3 Grad Celsius kalt. Hunderte Tonnen von flüssigem Helium sind für die Kühlung notwendig. Wenn jedoch Teilchen mit annähernder Lichtgeschwindigkeit aufeinanderprallen, wird es 100.000 Mal heißer als im Zentrum der Sonne. Die Energie der Teilchenstrahlen ist enorm: Sie würde reichen, um eine Tonne Kupfer zum Schmelzen zu bringen.

ATLAS am Ring

Der Atlas-Detektor am LHC

Rund um den LHC-Ring stehen Teilchendetektoren, die messen, was beim Zusammenprall der Teilchen passiert. Einer davon ist der ATLAS-Detektor. Er ist 22 Meter hoch, 40 Meter lang und 7.000 Tonnen schwer. Rund 4.000 Wissenschaftler und 1.000 Studenten arbeiten an diesem gigantischen Messgerät. Dünne Siliziumscheiben zeichnen auf, welche Teilchen nach der Kollision in alle Richtungen auseinanderfliegen. Bei 40 Millionen Strahlkreuzungen pro Sekunde entsteht eine gewaltige Menge an Daten. Wenn der LHC in einigen Jahren wie geplant deutlich mehr Leistung hat, wird sich die Datenmenge aber voraussichtlich vervielfachen. Daher muss auch ATLAS aufgerüstet werden.

Weltweites Rechnernetz

Kollision von Blei-Ionen im LHC

Der LHC liefert tausenden Wissenschaftlern an hunderten Forschungsinstituten Daten: Diese werden mit mehr als 100.000 Computern ausgewertet, die zu einem weltweiten Verbund von Rechnern und Rechenzentren mit dem Namen GRID (englisch für "Netz") zusammengeschaltet sind. Sogar private Computer können mit einbezogen werden. Fünf Millionen Gigabyte müssen jährlich bewältigt werden. Die Rechenaufträge werden automatisch auf die vorhandenen Kapazitäten verteilt.

CERN und das World Wide Web

Die populärste Errungenschaft des Teilchenforschungszentrums ist das World Wide Web, das 1990 am CERN erfunden wurde, um den Physikern den Datenzugriff zu erleichtern. Dabei ist das "WWW" nur eines von vielen Nebenprodukten aus dem 1954 gegründeten Forschungszentrum, an dem bis zu 10.000 Menschen aus gut 80 Nationen arbeiten. Derzeit sind 23 Länder an dem Zentrum beteiligt. Deutschland ist einer der größten Geldgeber.

Weitere Teilchenbeschleuniger

FAIR in Darmstadt

Neben Deutschland sind Slowenien, Indien, Schweden, Finnland, Frankreich, Rumänien, Polen und Russland am neuen Teilchenbeschleuniger FAIR (Facility for Antiproton and Ion Research) beteiligt. Baustart des "kleinen Bruders von CERN" war 2017. Rund 1,3 Milliarden Euro soll die Anlage auf dem Gelände des GSI-Helmholtzzentrums für Schwerionenforschung kosten. Den Löwenanteil der Kosten übernimmt Deutschland.

Mit dem 1,1 Kilometer langen, kreisförmigen Teilchenbeschleuniger wollen die Forscher Neues über die Entstehung des Universums und den inneren Aufbau der Materie sowie über die Antimaterie erfahren. Während im CERN die Teilchen höhere Geschwindigkeiten und Temperaturen erreichen und damit dem Urknall schon sehr nahe kommen, sollen im Teilchenbeschleuniger FAIR schwerere Teilchen in größerer Menge aufeinanderprallen.

2025 soll FAIR seine Arbeit aufnehmen und Ionenstrahlen von bisher nicht gekannter Qualität und Intensität produzieren. So sollen vielfältige neue Experimente möglich sein, von denen sich 3.000 Forscher aus 50 Ländern Antworten auf verschiedene Fragen erhoffen: Wie sind Atomkerne aufgebaut? Was hält sie zusammen? Was geschieht im Innern von Sternen? Was geschah nach dem Urknall? Wie wirken Ionenstrahlen auf Werkstoffe und Gewebe?

Teilchenbeschleuniger unter dem Genfer See

Physiker am CERN stellten 2019 in Genf eine Konzeptstudie für einen Nachfolger des LHC vor. Der FCC (Future-Circular Collider) soll in einem hundert Kilometer langen, ringförmigen Tunnel unter dem Genfer See Platz finden und insgesamt rund 24 Milliarden Euro kosten. Ab Ende der 2030er-Jahre könnten dort Elektronen und Positronen aufeinanderprallen. Ob der neue Teilchenbeschleuniger tatsächlich gebaut wird, müssen die 22 Mitgliedsstaaten des CERN entscheiden.

Wichtige Etappen der Forschung am CERN

15. Juli 2015: Existenz des Pentaquark bestätigt

Mögliches Modell des Pentaquark

"Das Pentaquark ist nicht einfach irgendein Teilchen. Es stellt eine Möglichkeit dar, Quarks – also die fundamentalen Bestandteile von Protonen und Neutronen – in einem Muster zu kombinieren, das trotz 50 Jahren experimenteller Suche noch nie gefunden wurde", erklärte der Sprecher des LHCb-Experiments am CERN, Guy Wilkinson, bei dem das sehr kurzlebige Teilchen mit fünf Quarks eher zufällig aufgespürt wurde.
Das Pentaquark war schon in den 1960er-Jahren vom Entdecker der Quarks, Murray Gell-Mann, vorhergesagt worden. Doch bisher war kein Nachweis gelungen. Nun könnten die Physiker am LHC das geschafft haben. Nach Angaben der Forscher hat es eine Masse von 4,38 bis 4,45 Giga-Elektronenvolt und ist damit gut vier Mal so schwer wie ein Proton. Wie die fünf Teilchen miteinander verbunden sind, ist noch unklar. Weitere Analysen sollen folgen. "Seine Eigenschaften zu studieren, könnte uns dabei helfen, besser zu verstehen, wie die normale Materie, aus der wir alle bestehen, zusammengesetzt ist", so Wilkinson.







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