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Krähen, Tauben und Eulen Von wegen Spatzenhirn

Das viel zitierte "Spatzenhirn" zeigt, dass den gefiederten Genossen lange Zeit wenig Intelligenz zugeschrieben wurde. Jetzt haben Wissenschaftler entdeckt, dass Krähen sogar über ein Bewusstsein verfügen. Auch Eulen und Tauben sind - ähnlich wie Primaten - zu komplizierten Denkleistungen fähig.

Von: Veronika Bräse

Stand: 24.09.2020

Krähe, Taube und Eule | Bild: picture-alliance/dpa, colourbox.com

Das Vogelhirn ist anders aufgebaut als das Gehirn von Säugetieren und damit auch Menschen. Deshalb dachte man lange, dass Vögel zu keinen höheren geistigen Leistungen fähig wären. Mit moderner Technik gelingt es jetzt, die Arbeitsweise und Struktur des angeblichen "Spatzenhirns" genauer zu ergründen.

Vögel haben keine Großhirnrinde

Ein Vogelhirn hat keine Großhirnrinde, die auch Cortex genannt wird. Deshalb wurde Vögeln lange Zeit wenig Intelligenz zugesprochen.

"Seit 150 Jahren ist das Vogelgehirn für Wissenschaftler ein großes Rätsel. Säugetiere, zu denen auch wir Menschen gehören, haben eine Hirnrinde. Sie ist hochgradig geordnet, aufgebaut in sechs verschiedenen Schichten und quer dazu gibt es Säulen - eine Art Kreuzungsmuster aus Schichten und Säulen. Und dann schaut man sich das Vogelgehirn an und sieht eigentlich nur große Klumpen von grauen Zellen, scheinbar ohne jede Ordnung."

Onur Güntürkün, Institut für kognitive Neurowissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum

Das Gehirn der Vögel ist komplex organisiert

Seit den 1990er Jahren zeigen Forscher immer wieder, dass einige Vogelarten durch besondere Leistungsfähigkeit herausstechen. In einer Studie, die am 25. September 2020 in Science veröffentlicht wurde, kommen Forscher aus Bochum zu dem Schluss, dass auch das Gehirn der Vögel geordnet und hoch komplex aufgebaut ist.

"Wir konnten nachweisen, dass zumindest in großen Teilen des Vorderhirns von Vögeln, in denen die Sinneswahrnehmung stattfindet, eine fast identische, vielleicht sogar noch komplexere Organisation aus Schichten und Säulen gefunden hat als bei Säugetieren. Das Prinzip der Informationsverarbeitung von Vögeln und Säugetieren scheint also recht ähnlich zu sein."

Onur Güntürkün, Institut für kognitive Neurowissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum

Die Zahl der Nervenzellen ist bei Vögeln geringer

Vögel haben aufgrund ihrer Größe ein kleineres Gehirn als Primaten. Somit sind auch weniger Nervenzellen in ihren Gehirnen vorhanden. Trotzdem bringen sie Erstaunliches zustande. Rabenvögel benutzen Werkzeuge zielgerichtet. Tauben können sich am Magnetfeld der Erde orientieren, um ihr Ziel zu finden. Spatzen haben ein sehr gutes Personengedächtnis.

"Vögel schaffen es mit kleineren Gehirn und weniger Zellen die gleichen Leistungen zu bringen wie Menschenaffen - zumindest Raben und Krähen."

Onur Güntürkün, Institut für kognitive Neurowissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum

High-Tech-Geräte ermöglichen Einblicke ins Vogelhirn

Mit neuer Technologie, mit einer polarisierten Darstellung des Lichts, lässt sich nun auch ein kleines Vogelhirn genau analysieren. Die Bochumer Forscher haben sich Tauben und Eulen näher angesehen. Diese beiden Vogelarten sind sich extrem unähnlich. Deshalb wurden sie ausgewählt.

"Wir haben zwei Arten gewählt, die vom Stammbaum der Vögel her möglichst weit voneinander entfernt sind und auch gleichzeitig verschiedene ökologische Systeme benutzen, so dass wir, wenn wir die gleichen oder fast die gleichen Ergebnisse finden, vermuten können, dass das für alle Vögel gilt. Und das war dann auch der Fall."

Onur Güntürkün, Institut für kognitive Neurowissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum

Tübinger Forscher: Krähen haben ein Bewusstsein

Forscher aus Tübingen berichten am 25. September 2020 in einer Science-Studie, dass Krähen, die zur Familie der Rabenvögel gehören, über ein Bewusstsein in ihrer Wahrnehmung verfügen. Der Nachweis dafür gelang ihnen über einen Versuch am Monitor. Krähen hatten gelernt, auf Quadrate, die auf dem Monitor erscheinen, zu reagieren. Im zweiten Schritt wurden ihnen Quadrate gezeigt, die nur ganz schwach aufschienen, also kaum sichtbar waren. In diesem Fall musste das Krähengehirn entscheiden, ob es etwas sieht oder nicht.  

"Das dunkle Quadrat war an der Wahrnehmungsschwelle. So haben wir eine Situation erzeugt, in welcher der gleiche Stimulus zwei verschiedene Wahrnehmungen erzeugt: gesehen oder nicht gesehen. Genau an dieser Stelle kommt dann das subjektive Erleben ins Spiel. Das Gehirn muss sich entscheiden, ob es diesen Reiz jetzt bewusst wahrnimmt oder nicht. Das ist ähnlich wie bei einem Kippbild, das zu spontanen Gestalt- bzw. Wahrnehmungswechseln führen kann."

Andreas Nieder, Institut für Neurobiologie und Tierphysiologie an der Universität Tübingen

Krähen mit Elektroden im Kopf

Eine Krähe beantwortet an der Universität Tübingen Verhaltensaufgaben am Bildschirm.

Vor dem Versuch an der Universität Tübingen wurden den Krähen in Vollnarkose Elektroden ins Gehirn implantiert. Als sie vor dem Bildschirm saßen und entscheiden mussten, ob sie etwas sehen oder nicht, haben die Forscher die Aktivität der elektrischen Impulse im Gehirn der Tiere auf einem Monitor verfolgt.

"Immer wenn die Krähen dieses dunkelgraue Quadrat gesehen hatten, also bewusst wahrgenommen hatten, waren die Gehirnzellen aktiv. Und immer wenn die Krähen genau das Gleiche dunkle Quadrat nicht wahrgenommen haben, also uns angezeigt haben, dass sie nichts sehen, blieben diese Zellen stumm. Das bedeutet: Die Zellen antworteten in Abhängigkeit von der bewussten Wahrnehmung der Krähe, nicht in Abhängigkeit von der Helligkeit des Reizes."

Andreas Nieder, Institut für Neurobiologie und Tierphysiologie an der Universität Tübingen

Tauben lernen Rechtschreibung

Im Jahr 2016 konnten Wissenschaftler aus Bochum und Neuseeland belegen, dass auch Tauben über unglaubliche Fähigkeiten verfügen. Die Tiere lernten, ein Gefühl für die englische Rechtschreibung zu entwickeln. Sie trainierten die Tiere, auf das Wort zu picken, wenn es sich um einen existierenden Begriff handelte: zum Beispiel das Wort „done“. Bei Nicht-Wörtern, wie etwa „dnoe“, mussten sie auf ein Symbol neben dem Wort picken.

"Nach ein paar Jahren Training konnten die Tauben bei einem neuen Wort, das ihnen präsentiert wurde, ziemlich sicher sagen, ob es richtig oder falsch geschrieben ist. Einfach indem sie Grundprinzipien englischer Orthografie gelernt hatten. Das sind nur Beispiele dafür, wie viel Tauben und andere Tiere und vor allen Dingen natürlich Raben und Papageien leisten können."

Onur Güntürkün, Institut für kognitive Neurowissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum

Das Vogelgehirn ist klein, aber oho

Das Gehirn einer Taube hat die Größe einer Walnuss. Trotzdem können Vögel erstaunliche Dinge leisten. Krähen finden sich erfolgreich in Städten zurecht und lernen, wie man mit Ampeln umgeht, wer ihnen Nüsse mitbringt und welche Menschen man besser meiden sollte.

"Heute wissen wir, dass Rabenvögel und Papageien die gleichen kognitiven Leistungen, die gleichen Denkprozesse und Denkleistungen erbringen wie Menschenaffen, wie zum Beispiel Schimpansen, aber mit kleinerem Gehirn."

Onur Güntürkün, Institut für kognitive Neurowissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum

Wissenschaftler gehen davon aus, dass trotz aller Unterschiede der Gehirne von Vögeln und Primaten diese doch nach ähnlichen Regeln funktionieren.


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