Von Gruppen und Herden Wenn Einzelgänger das Nachsehen haben
Menschen verbringen ihre Zeit am liebsten in Gruppen: gemeinsam beim Grillen mit den Kumpels, beim Mittagessen mit den Kollegen, an Weihnachten bei der Familie und am Feierabend im Fußballverein. Dabei unterscheiden wir uns kaum von unseren Vorfahren.
Menschen sind eigentlich auch nur Affen. Zumindest für die Forschung. Denn wenn man etwas darüber erfahren will, warum wir so gerne in den Kegelclub gehen oder gemeinsam mit den Kollegen die Weihnachtsfeier organisieren, dann muss man sich das Zusammenleben der Primaten, also der Affen, genauer anschauen.
Kampf in der Gruppe
Ein Drittel der Primaten sind Einzelgänger, bei zehn Prozent der Arten gibt es Paare, die mit ihren Nachkommen zusammenleben. Der Rest lebt in Gruppen zusammen, die mehr als zwei erwachsene Mitglieder haben. Da leben dann bis zu mehrere hundert Individuen pro Gruppe zusammen. Typische Gruppentiere sind Bonobos, Schimpansen und Gorillas - die Menschenaffen gehören zu unseren nächsten Verwandten. Warum schlagen die sich nicht gern allein durchs Leben?
"Auf den ersten Blick ist das mit einigen Nachteilen verbunden, weil man da mit anderen Artgenossen auf engstem Raum zusammenlebt, die für dieselben Krankheitserreger anfällig sind, von denen man also Krankheiten bekommen kann oder Parasiten. Es wird auch Konkurrenz um Nahrung und um Fortpflanzungspartner geben. Das heißt, es muss eine Reihe von Vorteilen geben, die diese Nachteile des Gruppenlebens mehr als ausgleichen."
Professor Peter Kappeler, Verhaltensökologe und Soziobiologe am Deutschen Primatenzentrum, Göttingen
Jeder ist in mehreren Gruppen verankert
Zwei Gründe scheinen zumindest für diese Menschenaffen und auch die frühen Menschen ausschlaggebend: Futter und Schutz. Gemeinsam kann man Feinde besser abwehren und kommt auch leichter an Nahrung heran. Mehr Ohren hören mehr - und warnten die Frühmenschen vor Löwen und anderen Raubtieren in der Savanne Afrikas.
Wichtige Gruppen heute
Familie
Das ist die Keimzelle aller Gruppen. Sie geht beim Menschen zurück bis in die Anfangszeiten unserer Geschichte.
Gleichaltrige
Die Gruppe der Gleichaltrigen spielt vor allem für Jugendliche eine große Rolle. Man entfernt sich vom Elternhaus und diese Gruppe fängt die jungen Menschen auf. Hier kann man seine Identität erproben und entwickeln.
Kollegen
Die Gruppen, in denen wir uns bewegen, sind oft sehr unterschiedlich aufgebaut und keine Gruppe kann eine andere ersetzen.
Individualität trotz Gruppen
Aber auch wenn wir Menschen grundsätzlich Gruppentiere sind - es gibt kulturelle Abstufungen auf der Individualitätsskala. Kulturen, in denen der Einzelne stärker als Individuum hervortritt, nennt man "low context"-Kulturen. Deutschland gehört dazu, aber auch die angelsächsische Kultur, sprich Großbritannien und Nordamerika.
"Sprachlich zeigt es sich, indem man dort den Familiennamen nicht verwendet, man kennt die Leute mit dem Vornamen. Das ist das Mini-Zeichen des Individuums. Die englische Sprache ist vom Typus her eine, die Individualität fördert und fordert. Es ist alles frei beweglich. Die Wörter sind so frei wie die Leute. Diese Beweglichkeit der Sprache ist Ausdruck einer Auflösung der alten Gruppenstrukturen."
Professor Klaus Dirscherl, Leiter des Instituts für interkulturelle Kommunikation, Universität Passau
Atempause für Fremde
Gruppen ohne Abgrenzung gibt es nicht. Bis heute denkt der Mensch gerne in Kategorien von Feind und Freund. Das zeigen auch Experimente:
"Man hat eine Gruppe, die eng zusammengehalten hat, unter einem Vorwand geteilt und in zwei Gruppen verwandelt. Die Gruppen wurden noch durch andere Mitglieder ergänzt. In kurzer Zeit waren die zwei neuen Gruppen rivalisierend und verfeindet, wenn es um Wettbewerb ging. Das, was früher zusammengehalten hat, ging auseinander."
Professor Rolf Oerter, emeritierter Professor für Entwicklungspsychologie, Ludwig-Maximilians-Universität München
Heute ist es für unsere moderne Gesellschaft nicht sinnvoll, alles Fremde misstrauisch zu beäugen. Wie kann man dieses evolutionsgeschichtlich sehr alte Programm überlisten? Klaus Dirscherl ist Leiter des Instituts für interkulturelle Kommunikation in Passau. Er hat für diesen Fall eine Theorie entwickelt: den "dritten Raum". Dabei räumt man dem Fremden sozusagen eine gewisse Schonzeit ein, hier ist es erlaubt, Fehler zu machen und in Fettnäpfchen zu treten.
"Der dritte Raum ist ein Zwischenraum zwischen der Kultur A und der Kultur B. Die beiden einander fremden Kulturen setzen ihre Regeln für eine Zeitlang außer Kraft. Der dritte Raum ist nicht ein permanenter Raum, sondern einer, den man einrichtet für die Dauer der ersten, zweiten oder dritten Begegnung. Da gilt, dass alles transparent ist, dass man alles nachfragen darf, was normalerweise nicht nachgefragt wird."
Professor Klaus Dirscherl, Leiter des Instituts für interkulturelle Kommunikation, Universität Passau
Übrigens: Genau wie die Jäger und Sammler früherer Zeiten haben wir es auch heute regelmäßig mit maximal 100 bis 150 Personen zu tun. Mehr kann unser Gehirn nämlich nicht bewältigen. Man kann nur mit einer begrenzten Anzahl Menschen Kontakte pflegen, sich regelmäßig treffen und Freundschaften und Bekanntschaften pflegen.
Gruppen in sozialen Netzwerken
Theoretisch könnte man über elektronische Medien mit der ganzen Welt in Kontakt treten und tausende "Freunde" sammeln - ein Paradigmenwechsel im menschlichen Beziehungsgefüge? Eher nicht, sagt die Forschung: Denn nur zu einem Bruchteil seiner virtuellen Freunde hält man tatsächlich Kontakt. Und auch hier suchen die Menschen den Anschluss an kleinere Einheiten. Das zeigt sich auch daran, dass man bei Facebook zum Beispiel seine virtuellen Freunde in Gruppen wie "Bekannte", "Familie" oder "Kollegen" einteilen kann. Bei Google+ sortiert man seine Kontakte in sogenannten Kreisen, also ebenfalls in Gruppen.