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Wunderpflanze Seegras Die grüne Lunge der Meere

Seegraswiesen bieten Tieren eine Heimat, verhindern Erosion und binden große Mengen an Kohlendioxid. Doch in den letzten Jahrzehnten sind die dichten Grasmatten immer spärlicher geworden. Lassen sie sich wiederherstellen?

Von: Constanze Alvarez

Stand: 22.04.2021

Seegraswiesen, wie diese hier aus dem Mittelmeerraum, sind wichtig fürs Ökosystem: Sie dienen kleinen Fischen als Schutz vor Feinden, verhindern die Erosion der Böden und speichern Kohlenstoff im Boden.  | Bild: picture alliance / maxppp | Florian Launette

Seegraswiesen erfüllen im Ökosystem eine ähnliche Rolle wie Pflanzen und Wälder auf der Erde. Vielen Tieren bieten sie einen idealen Lebensraum: Im Schutz der dichten Gräser legen Fische ihre Eier ab, junge Fische verstecken sich vor Feinden, Schnecken ernähren sich von den Algen, die sich an den Gräsern ablagern.

Seegras ist fest im Meeresboden verankert

Im Gegensatz zu den Algen bildet das Seegras Wurzeln. Dadurch ist es fest im Meeresboden verankert, ein natürlicher Schutz gegen Erosion. Und ähnlich wie die Pflanzen an Land, filtern Seegraswiesen beträchtliche Mengen Kohlenstoff aus dem Wasser und geben dafür Sauerstoff ab. Der Kohlenstoff wird im Boden gespeichert.

Darin unterscheiden sich Algen von Seegras

Seegraswiesen bilden riesige CO2-Speicher

In der deutschen Ostsee beispielsweise können Seegraswiesen laut einer neuen Studie der Helmholtz-Klima-Initiative derzeit zwischen 29 und 56 Kilotonnen Kohlendioxid pro Jahr binden. Um den genauen Kohlenstoffbestand in Seegraswiesen zu bestimmen, hat das Team um Meeresbiologin Dr. Angela Stevenson Meeresbodenproben an verschiedenen Stellen entlang der gesamten deutschen Ostseeküste gesammelt und analysiert.

"Unsere vorläufigen Ergebnisse zeigen, dass hier sehr viel Kohlenstoff gespeichert ist, deutlich mehr als zuvor bekannt war. Die Sedimente unter Seegraswiesen sind zwei- bis sechzigmal so reich an organischem Kohlenstoff wie Sedimente ohne Seegras."

Dr. Angela Stevenson, GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel

Warum ...: Warum nutzen wir nicht mehr Seegraswiesen?

Seegras – ein bedrohtes Küstengewächs

Im Herbst, wenn die Stürme das Wasser aufwühlen, wirft das Seegras Blätter ab, die dann ans Ufer geschwemmt werden.

Von der Luft aus betrachtet sehen Seegraswiesen aus wie große, dunkle Unterwasser-Teppiche. Sie kommen auf der ganzen Erde in Küstengebieten vor, beispielsweise an der südchinesischen Küste, an der Nord- und Ostseeküste oder um die Balearen im Mittelmeer. Doch gerade die sensiblen Ökosysteme der Küstenregionen stehen unter einem enormen Druck: Durch intensives Düngen in der Landwirtschaft gelangen tonnenweise Stickstoff und Phosphor in die Gewässer.

Aquakulturen und Erderwärmung drängen Seegras zurück

Auch die Ausweitung der Aquakulturen verschmutzen die Gewässer: Die Ausscheidungen der Tiere und nicht gefressenes Futter werden in die Meere geschwemmt. Die Seegrasblätter bekommen nicht mehr genug Licht, sind von Algen überzogen und sterben ab. Hinzu kommen die steigenden Wassertemperaturen durch die globale Erderwärmung.

Auch Jachten und Partyboote richten Schaden an

Viele Ausflügler denken nicht darüber nach und ankern auf Seegraswiesen, wie hier in der Bucht an der Playa des Ses Illetes, Formentera.

Auf den Balearen sind vor allem die vielen Touristen im Sommer und der Bootsverkehr zwischen den Inseln das Problem. Segelschiffe, Luxusjachten und unzählige Kleinboote belagern gerade im August die schönen, glasklaren Buchten. Oft achten die Bootsbesitzer nicht darauf, wo sie die Anker auswerfen und reißen so riesige Löcher in das Gras. Löcher, die erst einmal bleiben. Denn das mediterrane Seegras, auch Posidonia genannt, wächst sehr langsam, ein bis drei Zentimeter pro Jahr, erklärt der Meeresbiologe Jorge Terrados Muñoz vom Imedea Forschungszentrum auf Mallorca:

"Das mediterrane Seegras ist eine sehr fragile Pflanze, sie blüht nicht jedes Jahr, produziert also nicht regelmäßig Samen. Wenn die Wiesen einmal beschädigt werden, ist es sehr schwierig, sie wiederherzustellen."

Jorge Terrados Muñoz, Meeresbiologe, Imedea Forschungszentrum, Mallorca

Lassen sich Seegraswiesen wieder "aufforsten"?

Vor einigen Jahren haben die Verwaltungen der Balearen erkannt, dass mit den Seegraswiesen auch die Attraktivität der Strände schwinden könnte: Denn die Posidonia ist nicht nur mitverantwortlich für das klare Wasser, sondern auch für den weißen, feinkörnigen Strand. Durch winzige Ablagerungen an den Blättern wirkt sie wie eine Art Sandfabrik.

Ungefähr fünfzehn Boote der Küstenwache passen seit einigen Jahren auf den Balearen auf, dass niemand seine Jacht auf geschützten Seegraswiesen "illegal parkt". Was bei einem großen Ansturm natürlich nicht immer gelingt. Der Meeresbiologe Jorge Terrados Muñoz wiederum versucht in der mallorquinischen Bucht von Pollenca kahle Flächen, auf denen einmal Seegras gewachsen ist, neu zu bepflanzen.

Seegras pflanzen – ein mühsames Unterfangen

Das Interesse der Wissenschaft an Seegras ist in letzter Zeit gestiegen, seitdem klar ist, wie wichtig es für das Ökosystem der Meere ist.

Dazu sammeln Taucher mit der Hand intakte, einzelne Seegraspflanzen auf, die sich durch den Wellengang vom Meeresboden gelöst haben, und setzen sie in Grüppchen alle fünf Meter neu an. Eine mühsame Arbeit, die Geduld und viel Fingerspitzengefühl erfordert. Immerhin wurden in den letzten zwei Jahren auf diese Weise zwei Hektar Meeresboden bepflanzt, was ungefähr drei Fußballfeldern entspricht. Im April 2020 wurden die Pflanzungen abgeschlossen, im Sommer darauf hatten immerhin über 90 Prozent der Setzlinge überlebt. Eine gute Nachricht, meint Jorge Terrados Muñoz.

Im Wattenmeer bei Schleswig-Holstein kehrt das Seegras zurück

Eine positive Entwicklung vermelden aktuell auch Meeresbiologen des Alfred-Wegener-Instituts über das Wattenmeer bei Schleswig-Holstein. Nachdem zwischen Sylt und der Halbinsel Eidersted die Seegraswiesen zwischen den 1970er- und 1990er-Jahren auf ein Viertel ihrer ursprünglichen Größe geschrumpft waren, haben sich die Bestände zuletzt wieder erholt, so Geograph Tobias Dolch von der AWI-Wattenmeerstation in List auf Sylt.

"Das sind wirklich gute Nachrichten, die zeigen, dass sich ein Lebensraum erholen kann, wenn man ihm die Chance dazu gibt."

Tobias Dolch, Geograph AWI-Wattenmeerstation in List auf Sylt

Der Schlüssel zum Erfolg: eine bessere Wasserqualität

Dass das Seegras sich wieder ausgebreitet hat, führen die Forscher auf eine Verbesserung der Wasserqualität zurück. Vor allem in den 1970er- und 1980er-Jahren gelangten große Mengen an Phosphor und Stickstoff mit dem Wasser von Elbe, Weser und Rhein in die Nordsee. Die Stickstoffe stammten vor allem aus der Landwirtschaft, aus Gülle und Kunstdünger, so Tobias Dolch. Das Phosphat stammte zum Teil ebenfalls aus Kunstdünger, zum anderen aber auch aus Waschmitteln, denen es damals als Enthärter zugesetzt wurde.

"Es hat mehr als zehn Jahre gedauert, bis sich die Maßnahmen in der Natur widerspiegeln, aber unsere Bestandsschätzungen zeigen uns deutlich, dass sich die Seegrasbestände seit Ende der 1990er-Jahre deutlich erholt haben."

Tobias Dolch, Geograph AWI-Wattenmeerstation in List auf Sylt

Kleiner Lichtblick in düsteren Zeiten

Auch wenn diese lokalen Erfolge Mut machen: Der Zustand der Weltmeere ist mehr als besorgniserregend. Das hat im April 2021 wieder ein Bericht der Vereinten Nationen gezeigt. Im "World Ocean Assessment" heißt es, dass die Zahl der Todeszonen zwischen 2008 und 2019 von mehr als 400 auf etwa 700 gestiegen ist. Mit Todeszonen sind sauerstoffarme Gebiete im Meer gemeint, in denen kaum noch Leben möglich ist. Besonders betroffen: neben dem Golf von Mexiko und dem Südchinesischen Meer auch die Ost- und die Nordsee.


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