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Gier nach Sand Wenn die Strände schwinden

Es klingt wie ein schlechter Scherz: Unserer Erde geht der Sand aus. Es gibt ihn eben nicht wie Sand am Meer. Doch Sand ist nach Wasser der wichtigste Rohstoff, vor allem für die Bauindustrie, und die nimmt nicht jeden Sand.

Stand: 28.09.2021

Bagger verteilt Sand am Strand von Cancun in Mexiko, im Hintergrund der Saugbagger, der das Sand-Wasser-Gemisch an den Strand pumpt. | Bild: picture-alliance/dpa

Türkisblaues Meer, weißer Sandstrand und Kokospalmen - so sieht er aus, der perfekte Strand. So kennen wir ihn aus der Werbung, aus dem Kino oder Zeitschriften. Bald könnte damit aber Schluss sein - bei drei von vier Stränden. Denn jeden Tag karren LKW Tonnen von Strandsand davon, saugen riesige Schwimmbagger den Meeresboden rund um den Globus ab, bunkern den Sand in ihren Kielräumen und verkaufen ihn teuer an Baufirmen: Der Sand schwindet, und mit ihm die Strände.

Sand im weltweiten Getriebe

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Sand Überall vorhanden und doch knapp

Sand ist mehr als der Traum eines jeden Touristen. Sand ist auch ein sehr beliebter Rohstoff - fast so wichtig wie Wasser. Sand steckt in vielen unserer Produkte, von denen Sie es nicht vermuten würden: etwa in Seife, in Reinigungsmitteln, in jedem Computer. Glas wird aus Sand hergestellt. Aber vor allem: Stahlbeton, der wichtigste Baustoff heutzutage. Unsere Städte sind buchstäblich aus Sand gebaut, denn Beton besteht zu zwei Dritteln aus Sand. Und für jede Tonne Beton werden mehrere Tonnen Sand benötigt.

Wo steckt der Sand?

Sand im Alltag

Überall ist Sand versteckt, im Computer und im Handy, in der Pflanzenzucht, in Farben und Klebstoffen, aber auch Keramik und Ziegel gäbe es ohne Sand nicht. Fast nur aus Sand besteht Glas, nämlich zu 75 Prozent. Doch auch in der Jeansherstellung geht nichts ohne ihn, mit Sandstrahlen wird der Stoff ausgeweicht und gebleicht.

Gebäude- und Anlagenbau

Für ein mittelgroßes Haus benötigt man 200 Tonnen Sand. Ein Krankenhaus braucht schon 3.000 Tonnen und in einer Autobahn stecken sage und schreibe 30.000 Tonnen Sand pro Kilometer.

Stahlbeton

Weltweit werden zwei Drittel aller Gebäude und Anlagen aus Stahlbeton gebaut - und der wiederum besteht zu zwei Dritteln aus Sand. Beton ist mittlerweile das am häufigsten verwendete Baumaterial der Welt. 98 Prozent der weltweiten Sandförderung stecken am Ende im Beton.

Sand - begehrter Rohstoff weltweit

Die UNEP, das Umweltprogramm der Vereinten Nationen, schätzt, dass weltweit Jahr für Jahr rund dreißig Milliarden Tonnen Sand durch die Betonmischer fließen. Eine kaum vorstellbare Menge.

"Das ist genug Material, um eine Mauer zu bauen, zwanzig Meter hoch und zwanzig Meter dick, rund um den Äquator."

Dr. Pascal Peduzzi, Director of Science, Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP)

Sand ist begehrter Rohstoff

Dazu kommen noch einmal - konservativ geschätzt - etwa zehn Milliarden Tonnen Sand jährlich für Straßenbau und Industrie. Kein anderer Rohstoff wird in solchen Mengen abgebaut wie Sand. Jährlich werden rund 70 Milliarden Dollar mit Sand umgesetzt - auf jedem Kontinent wird er abgegraben.

Nichtregierungsorganisationen sprechen von einer Sandmafia: Mittlerweile haben sich in vielen Ländern mafiöse Strukturen entwickelt, die sich weder um Gesetze noch um die Betroffenen scheren - und erst recht nicht um die Umwelt. Insbesondere in Drittweltstaaten gibt es immer mehr Fälle von illegalem Sand-Abbau. Und dort - in Afrika und Asien - entstehen die großen Megastädte der Zukunft, aus Sand.

Selbst Wüstenländer importieren Sand

Selbst Länder mit Wüsten importieren Sand

Für den Laien verwunderlich: Auch die Länder der arabischen Halbinsel importieren Sand in großen Mengen. Denn Wüstensand eignet sich für die Betonherstellung nicht. Er ist zu feinkörnig, zu rund. Wind und Bewegung haben alle Ecken und Kanten der Sandkörnchen abgeschliffen. Genau die Ecken und Kanten braucht es aber im Bau, die sorgen für die nötige Reibung. Ecken und Kanten hat aber nur der Sand aus Flüssen und Meer.

Beim Sand kommt es auf die Größe an

Stein

Je nach Korngröße wird Gesteinsmaterial von Geologen unterschiedlich benannt. Alles was größer als 6,3 Zentimeter ist, heißt Stein.

Kies

Material zwischen 6,3 Zentimetern und 2 Millimetern bezeichnen Geologen als Kies.

Sand

Sand sind Körnchen zwischen 2 Millimetern und 0,063 Millimetern Durchmesser. Doch es geht noch kleiner.

Schluff

Von 0,063 Millimetern bis 0,0002 Millimetern spricht man von Schluff. Alles was noch kleiner ist, wird als Ton bezeichnet.

Die Sanduhr läuft

Woher kommt der Sand im Meer?

Wenn Korallen und Muscheln in der steten Bewegung der Ozeane zerrieben werden, entsteht Sand. Doch der meiste Sand entsteht nicht im Meer selbst, sondern kommt mit dem Lauf der Flüsse aus den Bergen: verwittertes und erodiertes Gestein.

40 Milliarden Tonnen Sand werden weltweit pro Jahr abgebaut - und damit etwa doppelt so viel, wie alle Flüsse der Welt in einem Jahr an die Küsten bringen. Dazu verhindern immer mehr Staudämme, dass der Sand aus den Gebirgen überhaupt bis zum Meer gelangt. Oder der Sand wird gleich in den Flüssen abgebaut und abtransportiert. Laut Studien erreicht jedes zweite Sandkorn so die Ozeane gar nicht mehr.

Der Sand im Meer stammt meist aus den Bergen

Wir holen viel mehr Sand aus dem Meer, als die Natur dort wieder hinbringen kann. Wir verbrauchen überhaupt viel mehr Sand, als reproduziert werden kann. Denn Sand entsteht aus der langsamen, Jahrtausende dauernden Erosion von Bergen. Bei uns in Deutschland etwa stammt der Sand aus der Eiszeit. Er wächst nicht einfach bis übermorgen nach. Der Sand rinnt uns buchstäblich durch die Finger.

Ökologische Folgen des Sand-Abbaus

Wenn Sand in solchen Mengen vom Meeresgrund abgesaugt und von Küsten abgegraben wird, wirkt sich das auf die Küstengebiete und Ozeane aus. Mikroorganismen und Tiere werden getötet, Lebensräume zerstört. Darüber hinaus können sich Strömungen verändern. Das wiederum gefährdet die Existenzgrundlage der Menschen, die vom Meer leben.

"Rund 92 Prozent des indonesischen Fischbedarfs werden durch die traditionelle Fischerei gedeckt. Durch den Sandabbau verlieren wir unsere Korallenriffe und unsere Fische. Die Fischer verlieren ihre Lebensgrundlage, ihre Familien haben kein Einkommen mehr, wir verlieren alles."

Riza Damanik, Leiterin einer lokalen Nicht-Regierungsorganisation

Weggespülter Sand gefährdet Küsten

Und der Sand-Abbau im Meer zerstört am Ende auch die Küste und das Land: Je mehr Sand vom Meeresboden gesaugt wird, umso mehr Sand rutscht von den Küsten und Stränden nach. Das kennt vermutlich jeder, der schon mal den Sand für die Sandburg am Strand mit seinem Eimerchen direkt davor abgegraben hat.

"Indonesien beschuldigt Singapur mittlerweile, verantwortlich zu sein für das Verschwinden von über 80 Inseln in den letzten zehn Jahren."

Prof. Dr. Dirk Hebel, Future Cities Laboratory Singapur (2016)

Überall auf der Welt gehen Strände zurück, Schätzungen der UNEP zufolge sind drei von vier Stränden im Verschwinden begriffen. Zum Teil, weil der begehrte Sand direkt am Strand abgebaut wird. Zum Teil, weil die Strände durch das Absaugen von Sand am Meeresgrund wegrutschen. Und weil Sand eigentlich nie da bleibt, wo er mal lag. Das liegt an der immensen Kraft des Meeres.

"Der Strand war früher etwa so breit wie ein Fußballfeld, aber in den letzten beiden Jahren ist er viel schmaler geworden. Die Erosion schreitet an diesem Teil des Strandes viel schneller voran als wir es erwartet hatten, oder es normal wäre."

Eileen Teen, Anwohnerin, North Carolina

Sandtransport an den Strand

80.000 Kubikmeter Sand-Wasser-Gemisch werden im Frühjahr 2014 in Westerland auf Sylt an den Strand gepumpt.

Für Tourismusgebiete wie Florida ist der Sandverlust eine wirtschaftliche Katastrophe. Milliarden an Dollars investiert der Staat darum in seine Strände, aber nicht, indem der Sandabbau bekämpft wird. Florida setzt auf die sogenannte "Sandvorspülung". Dabei wird Sand aus dem Meeresboden gegraben und mit Hochdruck an die Küste gespritzt. Auch auf Sylt wird diese Methode verwendet. Doch ob solche Maßnahmen dauerhaft helfen können, den Strand zu erhalten, ist fraglich. Auch durch Wellenbrecher und Dämme lässt sich der Sand nur schwer stabilisieren.

"Jedes einzelne Sandkorn wird von den Wellen immer in Bewegung gehalten. Der Sand bewegt sich nicht nur vor und zurück, sondern auch entlang der Küsten. Alles, was wir an den Küsten bauen, wirkt sich auf dieses Gleichgewicht automatisch negativ aus. Was passiert, wenn wir eine Mauer errichten, um den Sand zurückzuhalten? Wir hindern den Sand daran, an den Strand unseres Nachbarn zu gelangen. Also baut der auch eine Mauer und damit eskaliert das Problem erst richtig."

Michael Welland, Geologe, Sandexperte und Autor

Ohne Sand fehlt mehr als der Strandurlaub

Sandstrände - mehr als nur ein Urlaubsidyll

Strände sind nicht nur für schöne Sommerfotos da. Strände schützen das Hinterland vor der Kraft des Meeres und die Hälfte der Menschheit lebt an den Küsten. Doch der Hunger gerade der Immobilienbranche nach immer mehr Sand ist kaum zu stillen. Dabei stehen Millionen Gebäude weltweit leer, sie werden laut Experten nicht genutzt, sondern nur als Kapitalanlage gebaut.

Gebäude- und Glasrecycling

Spekulatives Bauen zu unterbinden, das wird kurzfristig kaum möglich sein. Es gibt Bestrebungen, Sand zu recyclen - sprich ganze Gebäude und vor allem Glas wieder zu Sand umzuwandeln. Doch das hilft den Stränden der Welt nur wenig, denn die Mengen, die man so erhalten würde, wären gering. Zudem ist der Sand, der durch Recycling von Bauschutt entsteht, von schlechter Qualität: Er hat nicht die richtige Körnung für die Herstellung von Beton. Und er ist verunreinigt, beispielsweise durch Teilchen von Putz oder Estrich.

Andere Forscher versuchen, Wüstensand so zu behandeln, dass er für die Bauindustrie tauglich wird. Das rettet uns zwar dann die Strände, geht aber einem anderen Ökosystem an den Kragen.


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