Andere mediale Texte Analyse und Interpretation eines Kurzfilms
Wenn nötig, schau dir den Film Schluss.Punkt nochmal an.
Analysiere und interpretiere Stephanie Olthoffs Kurzfilm 'Schluss.Punkt' (D 2012). Gehe dabei besonders auf die filmische Inszenierung von (Un-)Glaubwürdigkeit ein.
Analysieren bedeutet hier die Erschließung der visuellen, auditiven und narrativen Ebene, um schließlich zu einer nachvollziehbaren Deutung, also Interpretation, des Films zu gelangen. Die Aufgabe gibt hierbei sogar schon einen Hinweis, in welche Richtung es gehen soll. Offensichtlich spielt Glaubwürdigkeit bzw. Unglaubwürdigkeit eine besondere Rolle. Hierauf muss bei der Analyse und bei der Interpretation besonders geachtet werden.
Ein besonderes, filmsprachlich spannend inszeniertes Charakteristikum des Filmes ist, dass der Zuschauer bis zum Schluss darüber im Unklaren gelassen wird, ob Sara Felber tatsächlich Opfer häuslicher Gewalt geworden ist, oder ob sie die Übergriffe – aus welchen Motiven auch immer – erfindet. Der Film neigt dazu, den Zuschauer Letzteres glauben zu machen, um der Auflösung zum Schluss ein besonders intensives und erschütterndes Überraschungsmoment zu verleihen.
Folgende Aspekte können – z. B. in Form eines Einstellungsprotokolls – erarbeitet werden, um die filmische Gestaltung der scheinbaren Unglaubwürdigkeit Sara Felbers zu analysieren und zu interpretieren.
Motion Stills (Standbilder) fungieren wie ein untermauerndes Zitat.
Die auf die Fragestellung bezogenen Besonderheiten auf der visuellen und auditiven Ebene werden in jeweils eine Spalte eingetragen.
Die Spalte "Analyse" führt die einzelnen Beobachtungen zusammen und liefert so die Basis für die Interpretation.
Anschließend werden die Ergebnisse in einen Fließtext gebracht.
Besonderheiten auf der visuellen Ebene | Besonderheiten auf der auditiven Ebene | Analyse |
---|---|---|
Halbnahe; Normalsicht | Dialog; Atmo;
exemplarischer Dialogauszug: Polizist David: "[...] Worum geht's denn?" Sara: "Ich ... ich weiß nicht ..."; | Unsicherer, verängstigt wirkender Auftritt und stockendes Sprechen Saras zu Beginn des Films. Sara fällt die Kontaktaufnahme zum Polizisten David sichtlich schwer. |
Besonderheiten auf der visuellen Ebene | Besonderheiten auf der auditiven Ebene | Analyse |
---|---|---|
Titelbild | Dialog; Atmo | Interessant ist der Punkt innerhalb des Kompositums 'Schlusspunkt'. Die Rettung aus der gewalttätigen Beziehung Saras zu Tobias als Konsequenz der sich im Folgenden entwickelnden Geschichte wird durch die Zäsur zwischen 'Schluss' und 'Punkt' angedeutet. |
Besonderheiten auf der visuellen Ebene | Besonderheiten auf der auditiven Ebene | Analyse |
---|---|---|
Interviewsituation: durchweg in nahen und ungewöhnlich langen Einstellungen | Atmo; erstmals: leiser Soundeffekt, der an das Rauschen von Wind erinnert. Effekt verstummt mit Beginn des Dialogs. | Der Zuschauer kann und soll die Mimik beider Darsteller genau verfolgen. Der Soundeffekt unterstreicht hier und später Saras Verzweiflung und Eingeschüchtertsein, lässt die Situation aber auch bedrohlich wirken. Zudem scheint er dem Zuschauer hier und später eine Art subjektive Innensicht aus der Perspektive Saras zu ermöglichen. |
Besonderheiten auf der visuellen Ebene | Besonderheiten auf der auditiven Ebene | Analyse |
---|---|---|
Schärfentiefe auf dem Gespräch der Polizisten | Atmo; Dialog; Effekt setzt erneut ein. | Gespräch zwischen älterem und jüngerem Polizisten: Der Polizist Rainer scheint David über Sara Felber aufzuklären. Dieser blickt überrascht und skeptisch zu ihr hinüber, so als ob er neue Erkenntnisse über sie gewonnen hätte. Der Soundeffekt unterstreicht Saras ängstlichen und eingeschüchterten Zustand und die Bedrohlichkeit der Situation, sorgt aber auch dafür, dass sich der Zuschauer nicht sicher ist, wie es um Saras Glaubwürdigkeit bestellt ist. Der Eindruck, Sara sei paranoid, entsteht. |
Besonderheiten auf der visuellen Ebene | Besonderheiten auf der auditiven Ebene | Analyse |
---|---|---|
Nahe; Normalsicht | Dialog; Atmo; Effekt verstummt. | Der Polizist David weist sie anschließend darauf hin, dass sie bei ihrer Aussage die Wahrheit sagen müsse; dem Zuschauer vermittelt dies, dass das eben nicht der Fall sein könnte. |
Besonderheiten auf der visuellen Ebene | Besonderheiten auf der auditiven Ebene | Analyse |
---|---|---|
Nahe; Normalsicht | Dialog; Atmo | Der jüngere Polizist prüft skeptisch den Wahrheitsgehalt von Sara Felbers Anschuldigungen. Doch Sara Felber war bei keinem Arzt, wodurch sie frühere Übergriffe beweisen könnte. |
Besonderheiten auf der visuellen Ebene | Besonderheiten auf der auditiven Ebene | Analyse |
---|---|---|
Halbnahe, Normalsicht | Dialog; Atmo;
exemplarischer Dialogauszug: Sara: "Er hat nur manchmal ..."; exemplarischer Dialogauszug: Polizist Rainer: "Tut mir leid, da müssen Sie jetzt durch." | Sara Felber reagiert aufgebracht auf die Ankündigung, dass ihr Mann geholt werden solle (ab 05:36 Min). Sie wiegelt sogar ab. Sie versucht die Polizeistation zu verlassen, wird aber vom älteren Polizisten aufgehalten. Seine Aussage entmachtet Sara Felber, er nimmt ihre Situation nicht ernst. |
Besonderheiten auf der visuellen Ebene | Besonderheiten auf der auditiven Ebene | Analyse |
---|---|---|
Inszenierung der Aussage Sara Felbers in großen, wieder verhältnismäßig langen Einstellungen; Großaufnahme in Aufsicht von Saras nervös spielenden Händen. | Dialog; Atmo; Effekt setzt erneut ein. | Die Kamera rückt noch näher an Sara Felber heran, als ob sie der Wahrheit auf den Grund gehen möchte. Der Soundeffekt unterstreicht Saras ängstlichen und eingeschüchterten Zustand und die Bedrohlichkeit der Situation, sorgt aber auch dafür, dass sich der Zuschauer nicht sicher ist, wie es um Saras Glaubwürdigkeit bestellt ist. |
Besonderheiten auf der visuellen Ebene | Besonderheiten auf der auditiven Ebene | Analyse |
---|---|---|
Großaufnahme, Normalsicht | Dialog; Atmo | Sara Felber weiß nicht, wann die Tat stattgefunden hat, was sie verwirrt wirken lässt. |
Besonderheiten auf der visuellen Ebene | Besonderheiten auf der auditiven Ebene | Analyse |
---|---|---|
Schärfentiefe liegt auf dem Polizisten. | Dialog; Atmo | Während Saras Aussage wird häufig nicht sie selbst scharf im Bild gezeigt, sondern der Polizist David. Der Zuschauer kann gut dessen skeptische Mimik und Körperhaltung studieren. |
Besonderheiten auf der visuellen Ebene | Besonderheiten auf der auditiven Ebene | Analyse |
---|---|---|
Nahe, Normalsicht | Dialog; Atmo; Effekt setzt mit dem Auftreten des Ehemannes ein. | Saras Ehemann Tobias betritt das Präsidium: Es handelt sich nicht um den vielleicht erwarteten Schlägertypen, sondern um einen freundlichen, sympathischen jungen Mann. Das Einsetzen des Soundeffekts lässt die Situation aus Saras Perspektive bedrohlich wirken. |
Besonderheiten auf der visuellen Ebene | Besonderheiten auf der auditiven Ebene | Analyse |
---|---|---|
Halbtotale, Normalsicht | Dialog; Atmo; Effekt klingt aus. | Tobias wirkt besorgt um Sara, er bittet sie um ein Gespräch. Sara weiß sich nicht zu helfen, sie geht – sichtlich ungern und eingeschüchtert – mit. |
Besonderheiten auf der visuellen Ebene | Besonderheiten auf der auditiven Ebene | Analyse |
---|---|---|
Großaufnahme; Normalsicht | Dialog; Atmo;
exemplarischer Dialogauszug: Tobias weinerlich: "Sara. Tu so was nie wieder!" | Sara wird als Schuldige dargestellt, Tobias als Opfer inszeniert. |
Besonderheiten auf der visuellen Ebene | Besonderheiten auf der auditiven Ebene | Analyse |
---|---|---|
Großaufnahme; Normalsicht | Dialog; Atmo; Effekt setzt mit zunehmender Lautstärke ein. | Tobias spricht betont langsam und behutsam mit Sara, so als ob man sie schonen müsste und so als ob sie ihn sonst nicht verstehen würde. Er wirkt besorgt, fast zärtlich. Der Effekt setzt mit Tobias' Vorschlag ein, nach Hause zu gehen. Wieder wirkt die Situation bedrohlich. |
Besonderheiten auf der visuellen Ebene | Besonderheiten auf der auditiven Ebene | Analyse |
---|---|---|
Großaufnahme; Normalsicht | Atmo, Dialog aus dem Off, wird überlagert von Effekt. | Im Gespräch mit den Polizisten weist Tobias darauf hin, Sara hätte ihre Medikamente nicht genommen. Der Effekt verdeutlicht Saras Verzweiflung, wieder scheint der Zuschauer ihre Gefühle hören zu können. Zudem verstärkt sich auch das Gefühl, Sara könnte tatsächlich paranoid sein. |
Besonderheiten auf der visuellen Ebene | Besonderheiten auf der auditiven Ebene | Analyse |
---|---|---|
Halbnahe; Normalsicht | Dialog; Atmo; Effekt setzt aus. | Vor allem der Polizist Rainer scheint auf der Seite des Ehemanns zu stehen; dessen Mimik und Gestik vermittelt Verständnis für die Situation des Ehemanns. |
Besonderheiten auf der visuellen Ebene | Besonderheiten auf der auditiven Ebene | Analyse |
---|---|---|
Großaufnahme; Normalsicht | Dialog; Atmo;
exemplarischer Dialogauszug: Tobias belehrend: "Konzentrier' dich auf das, was auch wirklich da ist!" | Sara weigert sich, mit Tobias mitzugehen. Tobias verweist auf Saras Therapeut und behandelt sie, als wäre sie paranoid. |
Besonderheiten auf der visuellen Ebene | Besonderheiten auf der auditiven Ebene | Analyse |
---|---|---|
Halbnahe; Normalsicht | Dialog; Atmo | Tobias möchte Sara gegen ihren Willen mitnehmen und zieht sie mit sich. Sara wehrt sich mit einem Schlag gegen Tobias, was ihre scheinbare Unglaubwürdigkeit unterstreicht: Nicht der Ehemann scheint in den Augen der Polizisten zu gewalttätiger Konfliktlösung zu neigen, sondern Sara. |
Besonderheiten auf der visuellen Ebene | Besonderheiten auf der auditiven Ebene | Analyse |
---|---|---|
Amerikanische; Normalsicht | Dialog; Atmo;
exemplarischer Dialogauszug: Polizist Rainer: "Sie haben beide nicht geschlafen, sie sind völlig übermüdet. Gehen sie nach Hause und klären sie das in Ruhe!" Effekt setzt ein. | Polizist Rainer verwehrt Sara indirekt den Schutz. Der Soundeffekt setzt in dem Moment ein, als Tobias seiner Frau erneut nahelegt, nach Hause zu gehen – ein für Sara zutiefst bedrohlicher Vorschlag. |
Besonderheiten auf der visuellen Ebene | Besonderheiten auf der auditiven Ebene | Analyse |
---|---|---|
Halbtotale; Normalsicht | Effekt nimmt an Lautstärke deutlich zu; Markierung des Höhepunkts | Angesichts des Unglaubens, der Sara entgegen gebracht wird, und angesichts der Machtlosigkeit, in die das Verhalten ihres Ehemannes, aber auch das Verhalten der Polizisten sie gebracht hat, muss Sara zu sich entwürdigenden Mitteln greifen, um ihre Glaubwürdigkeit wiederherzustellen: Sie liefert den schockierenden Beweis und zeigt den Polizisten ihren blaugeprügelten Körper. |
Besonderheiten auf der visuellen Ebene | Besonderheiten auf der auditiven Ebene | Analyse |
---|---|---|
Schwarzbild | Ton verstummt abrupt. Erst mit dem Abspann setzt leise der charakteristische Soundeffekt ein. | Das verstummte Schwarzbild lässt den Zuschauer mit den Erinnerungen an die letzten, schockierenden Bilder zurück. Es fungiert als Reflexionsinstanz. |
Der fünfzehnminütige deutsche Kurzfilm "Schluss.Punkt" der Regisseurin Stephanie Olthoff aus dem Jahr 2012 handelt von der 27-jährigen Sara Felber, die spät nachts bei der Polizei Anzeige gegen ihren anscheinend gewalttätigen Ehemann erstattet. Während der verängstigten und unsicheren Frau die Aussage, die der junge Polizist David sachlich, aber zugewandt entgegennimmt, sichtlich schwer fällt, betritt dessen älterer Kollege Rainer das Präsidium.
Der Anblick von Sara Felber scheint ihn dazu zu bewegen, den jungen Polizisten in seinem benachbarten Büro beiseite zu nehmen. Er scheint seinen Kollegen über die Frau aufzuklären. Skeptisch blicken beide zu ihr herüber. Der Polizist David kehrt zurück, er scheint misstrauisch und klärt Sara Felber darüber auf, dass sie stets die Wahrheit sagen müsse. Erst jetzt fragt er nach den Hintergründen der Tat.
Stockend berichtet die Frau über die Tritte, die ihr Mann Tobias ihr zugefügt habe. Der junge Polizist möchte veranlassen, dass der Ehemann in das Präsidium geholt wird. Sara Felber reagiert auf diese Ankündigung aufgebracht und verängstigt und bittet die Polizisten, ihren Mann nicht zu informieren.
Dieser aber scheint geahnt zu haben, wohin seine Frau mitten in der Nacht gegangen ist, denn er taucht unvermittelt auf der Polizeistation auf. Er bittet um ein Gespräch mit seiner Ehefrau unter vier Augen, dem Sara verängstigt zustimmt. Im Büro des älteren Polizisten scheint es, als hätte nicht Tobias, sondern Sara Felber etwas Furchtbares getan, unter dem ihr Mann schwer zu leiden hätte.
Der Ehemann schlägt vor, dass beide wieder zurück in die gemeinsame Wohnung fahren sollten, wogegen sich die Frau erbittert wehrt. Die Polizisten jedoch leisten keine Unterstützung, vielmehr empfehlen sie den Eheleuten, sich erst einmal auszuschlafen, um wieder zu Verstand zu kommen.
Da sich Sara nicht anders zu helfen weiß, zieht sie Mantel und Bluse aus. Der Film endet mit einem Blick auf Sara Felbers Rücken, der von Blutergüssen gezeichnet ist.
Ein besonderes, filmsprachlich spannend inszeniertes Charakteristikum des Filmes ist, dass der Zuschauer bis zum Schluss darüber im Unklaren gelassen wird, ob Sara Felber tatsächlich Opfer häuslicher Gewalt geworden ist, oder ob sie die Übergriffe – aus welchen Motiven auch immer – erfindet. Der Film neigt dazu, dem Zuschauer Letzteres glauben zu machen, um der Auflösung zum Schluss ein besonders intensives und erschütterndes Überraschungsmoment zu verleihen. Hierfür bedient er sich unterschiedlicher Stilmittel auf visueller, auditiver und narrativer Ebene. Doch erst das Zusammenspiel dieser Wirkungsebenen ermöglicht die fortwährende Irritation des Zuschauers.
Auf der Figurenebene korrespondiert das unsichere, verängstigt wirkende Auftreten und das stockende Sprechen Saras mit ihrer zögerlichen, mitunter von Wissenslücken (Polizist David: "[...] Worum geht's denn?" Sara: "Ich ... ich weiß nicht ...") und Abwiegelungen ("Er hat nur manchmal ..."; vgl. 05:50 min) geprägten Aussage.
In fast durchweg nahen und ungewöhnlich langen Einstellungen kann und soll der Zuschauer die Mimik beider Darsteller genau verfolgen. Neben der Atmo setzt immer wieder ein leiser Soundeffekt ein, der entfernt an das Rauschen von Wind erinnert. Er unterstreicht hier und später Saras Verzweiflung und Eingeschüchtertsein, lässt die Situation aber auch bedrohlich wirken. Zudem scheint er dem Zuschauer eine Art subjektive Innensicht aus der Perspektive Saras zu ermöglichen.
Zu Beginn der Aussage betritt ein Kollege des Polizisten das Büro, der beim Anblick von Sara Felber, die er zu kennen scheint, den die Aussage aufnehmenden Daniel in einen Nebenraum ruft. Es scheint, als kläre der ältere und augenscheinlich erfahrenere Polizist seinen jüngeren Kollegen über vergangene Begegnungen mit Sara Felber auf.
Während des Gesprächs ermöglicht eine veränderte Schärfentiefe dem Zuschauer, Daniels Blick zu Sara durch die Glasscheibe als überrascht und skeptisch zu deuten, so als hätte Daniel neue Erkenntnisse über Sara und deren Anklage gewonnen. Der erneut einsetzende Soundeffekt unterstreicht Saras ängstlichen und eingeschüchterten Zustand und die Bedrohlichkeit der Situation, sorgt aber auch dafür, dass sich der Zuschauer nicht sicher ist, wie es um Saras Glaubwürdigkeit bestellt ist. Der Eindruck, Sara sei paranoid bzw. zumindest unglaubwürdig, entsteht und wird durch den Hinweis des zurückgekehrten Polizisten unterstrichen, Sara müsse bei ihrer Aussage die Wahrheit sagen. Dem Zuschauer vermittelt dies, dass eben das nicht der Fall sein könnte. Arztbesuche, die frühere tätliche Übergriffe gegen Sara beweisen könnten, hat es ihrer Aussage nach nicht gegeben.
Auf die Ankündigung, dass ihr Mann geholt werden solle (ab 05:36 min), reagiert Sara Felber aufgebracht. Sie wiegelt sogar ab. Sie versucht die Polizeistation zu verlassen, wird aber vom älteren Polizisten aufgehalten. Seine Aussage "Tut mir leid, da müssen Sie jetzt durch." (vgl. 06:22 min) entmachtet die Frau, er nimmt ihre Angst nicht ernst.
Mit der Fortführung der Aussage Sara Felbers ändert sich das Verhalten der Kamera. Sie rückt noch näher an Sara Felber heran, als ob sie der Wahrheit auf den Grund gehen möchte. In Großaufnahmen – unter anderem in Aufsicht auf Saras nervös spielenden Händen –, in verhältnismäßig langen Einstellungen und unter Einsatz des schon bekannten Soundeffekts wird Saras ängstlicher und eingeschüchterter Zustand und die Bedrohlichkeit der Situation einerseits unterstrichen, andererseits sorgt dies aber auch dafür, dass sich der Zuschauer nicht sicher ist, wie es um Saras Glaubwürdigkeit bestellt ist. Dass Sara Felber selbst nicht weiß, wann die Tat stattgefunden hat (vgl. 06:58 min), verleiht ihr nicht gerade mehr Glaubwürdigkeit.
Immer wieder während Saras Aussage wird nicht sie selbst scharf im Bild gezeigt, sondern der Polizist David. Der Zuschauer kann gut dessen skeptische Mimik und Körperhaltung studieren.
Als schließlich Saras Ehemann Tobias das Präsidium betritt, überrascht dessen Figurenzeichnung: Es handelt sich nicht um den vielleicht erwarteten Schlägertypen, sondern um einen freundlichen, sympathischen jungen Mann, der von der Kamera gleichwertig zu Sara in Szene gesetzt wird. Der mit dem Auftreten des Ehemanns einsetzende Soundeffekt lässt die Situation aus Saras Perspektive bedrohlich wirken.
Tobias wirkt sogar besorgt um Sara, er bittet sie um ein Gespräch. Sara weiß sich nicht zu helfen, sie geht – sichtlich ungern und eingeschüchtert – mit. In Nah- und Großaufnahmen gefilmt nimmt die Handlung nun eine neue Wendung: Sara wird als Schuldige dargestellt, indem sich Tobias als das eigentliche Opfer inszeniert ("Sara. Tu so was nie wieder!"; vgl. 10:55 min).
Tobias spricht betont langsam und behutsam mit Sara, so als ob man sie schonen müsste und sie ihn sonst nicht verstehen würde. Er wirkt besorgt, fast zärtlich. Mit Tobias' Vorschlag, nach Hause zu gehen, setzt erneut der Soundeffekt mit zunehmender Lautstärke ein; wieder wirkt die Situation bedrohlich.
Im Gespräch mit den Polizisten weist Tobias darauf hin, Sara hätte ihre Medikamente nicht genommen. Das Sounddesign verdeutlicht Saras Verzweiflung, wieder scheint der Zuschauer ihre Gefühle hören zu können. Zudem verstärkt sich der Eindruck, Sara könnte tatsächlich paranoid sein. Vor allem der Polizist Rainer scheint auf der Seite des Ehemanns zu stehen; dessen Mimik und Gestik vermittelt Verständnis für die Situation des Ehemanns.
Sara weigert sich schließlich, mit Tobias mitzugehen. Tobias, aus einer leichten, aber trotzdem dessen Dominanz über Sara verdeutlichenden Untersicht gefilmt, verweist auf Saras Therapeut und behandelt sie, als wäre sie paranoid, indem er sie belehrend anherrscht: "Konzentrier' dich auf das, was auch wirklich da ist!" (12:54 min) Tobias möchte Sara gegen ihren Willen mitnehmen und zieht sie mit sich.
Sara wehrt sich mit einem Schlag gegen Tobias, was ihre scheinbare Unglaubwürdigkeit unterstreicht: Nicht der Ehemann scheint in den Augen der Polizisten zu gewalttätiger Konfliktlösung zu neigen, sondern Sara. Der Polizist Rainer reagiert mit der schon zuvor zur Schau gestellten süffisanten Abgeklärtheit: "Sie haben beide nicht geschlafen, Sie sind völlig übermüdet. Gehen Sie nach Hause und klären Sie das in Ruhe." (13:25 min) Die Hilflosigkeit und Angst, die sich bei Sara nun einstellt, wird durch den erneut einsetzenden und an Intensität zunehmenden Soundeffekt unterstrichen.
Angesichts des Unglaubens, der Sara entgegen gebracht wird, und angesichts der Machtlosigkeit, in die sie das Verhalten ihres Ehemannes, aber auch das Verhalten der Polizisten gebracht hat, muss Sara zu entwürdigenden Mitteln greifen, um ihre Glaubwürdigkeit wiederherzustellen: Sie liefert den schockierenden Beweis und zeigt den Polizisten ihren blaugeprügelten Körper. Der Ton verstummt abrupt, das Bild wird schwarz.
Dieses verstummte Schwarzbild fungiert als Reflexionsraum, in dem die Zuschauer mit den Erinnerungen an die letzten, schockierenden Bilder, aber auch mit ihren eventuellen und nun unter Umständen beschämenden Zweifeln an Saras Glaubwürdigkeit zurückgelassen werden.
Der für einen Kurzfilm relativ konventionell und kausal-linear erzählte Film "Schluss.Punkt" thematisiert das Thema "häusliche Gewalt" eindrucksvoll und nachhaltig. Denn nicht nur die Tatsache, dass – so Regisseurin Stephanie Olthoff – jede vierte Frau Opfer von körperlichen Misshandlungen wird, trägt zu dem Leid der Opfer bei, sondern auch der Unglauben, der den Frauen oft entgegengebracht wird. Entsprechende Berichterstattungen sind in den Medien allgegenwärtig und haben beispielsweise im Juli 2016 zu einer Verschärfung des deutschen Sexualstrafrechts geführt.
Auch wenn es in "Schluss.Punkt" nicht spezifisch um sexuelle, sondern allgemein um körperliche Gewalt geht, sind es vergleichbare Mechanismen, die dazu führen, an der Glaubwürdigkeit des Opfers zu zweifeln. Nur durch die drastischen Maßnahmen, sich vor dem gewalttätigen Ehemann und den skeptischen Polizisten zu entblößen, gelingt es der geschlagenen Frau, ihre Glaubwürdigkeit wiederherzustellen. Dem Zuschauer obliegt es nun, die gesellschaftlichen und psychologischen Mechanismen, die zu solchen Verbrechen, aber auch zu solchen Zweifeln an den Aussagen misshandelter Frauen führen, ebenso zu hinterfragen wie die eigene Wahrnehmung des Filmes.
Michael Klant/Raphael Spielmann: Grundkurs Film 1: Kino, Fernsehen, Videokunst, Braunschweig 2011
Joachim Pfeiffer/Michael Staiger, Michael: Grundkurs Film 2: Filmkanon, Filmklassiker, Filmgeschichte, Braunschweig 2010
James Monaco: Film verstehen. Kunst, Technik, Sprache, Geschichte und Theorie des Films und der Neuen Medien. Mit einer Einführung in Multimedia. Reinbek bei Hamburg 2009
Rüdiger Steinmetz et. al: Grundlagen der Filmästhetik. Filme sehen lernen (1), Frankfurt/M. 2008 [DVD]
Rüdiger Steinmetz et. al.: Licht, Farbe, Sound. Filme sehen lernen (2), Frankfurt/M. 2011 [DVD]
Rüdiger Steinmetz et. al.: Filmmusik. Filme sehen lernen (3), Frankfurt/M. 2011 [DVD]