Hinter den Kulissen Made of…? Wie ein klassisches Konzert entsteht
Ein Konzertabend auf dem Münchner Odeonsplatz: 160 Musiker, Sängerinnen und Sänger holen ein Stück Italien in die Stadt. Damit das Großereignis reibungslos über die Bühne geht, hat ein riesiger Tross von Organisatoren, Technikern, Künstlern und Helfern Knochenarbeit geleistet.
Die Feldherrnhalle in München ist eine überdachte Loggia am südlichen Ende des Odeonsplatzes. Ein von steinernen Löwen flankierter Treppenaufgang führt auf die offene Empore des Obergeschosses, das drei Rundbögen nach vorne abschließen. Wer hier mit der ockergelben Theatinerkirche zur Rechten und der linkerhand hingestreckten Residenzfassade sitzt und den Blick in die klassizistische Flucht der Ludwigsstraße genießt, spürt, warum sich München gerne als nördlichste Stadt Italiens bezeichnet.
Klassik an einem der schönsten Plätze Europas
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Einmal im Jahr, immer an einem Wochenende im Juli, hat der Freisitz einen ganz besonderen Auftritt: Er verwandelt sich in eine Bühne, auf der die Musiker des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, die Münchner Philharmoniker sowie prominente Gastsolisten zur "Klassik am Odeonsplatz" bitten. Die vom Bayerischen Rundfunk und der Landeshauptstadt getragene Konzertreihe hat sich in den vergangenen zehn Jahren zum größten Klassik-Open-Air-Erlebnis Münchens entwickelt, das nicht nur Einheimische, sondern Besucher aus ganz Deutschland begeistert.
Viele Schultern stemmen den Erfolg
Aber wer organisiert die Freiluftveranstaltung? Wer sorgt dafür, dass die Musiker zusammenfinden, dass die benötigten Instrumente und die richtigen Noten bereit stehen? Wer baut die Bühne und die Stuhlreihen auf, wer kümmert sich um das Licht und den Ton, wer verkauft die Karten und lockt möglichst viele Klassikfans auf den Odeonsplatz?
Jungreporter durchleuchten den Konzertbetrieb
Ulrich Wilhelm, der Intendant des Bayerischen Rundfunks, hat zehn Jugendliche aus zwei Münchner Mittelschulen dazu eingeladen, hinter die Kulissen der Konzertmaschinerie zu blicken und einen Film über die Vorbereitungen zu drehen. Das Team ist gut vorbereitet. In mehreren Workshops haben die Jungreporter gelernt, mit der Kamera und dem Mikrofon umzugehen. Bei ihren Recherchen treffen sie Tontechniker auf der Suche nach dem besten Sound und Lichtzauberer, sie interviewen Musiker und Organisatoren, besuchen Orchesterproben und finden so Zug um Zug heraus, welche Zähne ineinandergreifen, damit das fein abgestimmte Räderwerk reibungslos funktioniert.
Als erste Interviewpartnerin bitten sie Marije Grevink vors Mikro. Sie ist seit Februar 2003 erste Geigerin im Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und berichtet, dass Musik machen manchmal ganz schön anstrengt: "Wenn man sechs oder sieben Stunden täglich Geige spielt, ist es, als würde man sechs oder sieben Stunden Sport machen." Von Gabriele Weinfurter, einer Mezzosopranistin des BR-Chors, lassen sie sich erklären, warum eine "klassische" Stimme so anders klingt, als die von Popstars. Das hat zwei Gründe: "Erstens, weil die normale Bruststimme in großen Räumen nicht trägt, und weil es außerdem viel ermüdender ist, so eng im Hals zu singen."
Der Mann, ohne den gar nichts geht
Dann trifft das Team den großen Steuermann im Hintergrund, ohne den die Bühne leer bleiben und das Räderwerk gar nicht erst anlaufen würde. Johannes Backhaus leitet das Orchesterbüro des BR-Symphonieorchesters. Er ist mit seinem Stab für die gesamte Organisation des Konzerts verantwortlich, für die Aufstellung des Orchesters, die Einteilung der Musiker, die Anlieferung der Instrumente und Noten, für die Einweisung der Solisten und jede Menge anderer Koordinationsaufgaben. Mit dem Bühnenplan, der allen Musikern, Sängern und den großen Instrumenten ihren Platz auf der Empore anweist, erstellt der Orchesterdirektor ein Herzstück der gesamten Veranstaltung. An die 160 Musiker muss er auf engstem Raum unterbringen, das ist eine Tüftelarbeit, die trotz aller Erfahrung und Kopfarbeit letztlich nur ein spezielles Computerprogramm bewältigt. An diesem Plan orientieren sich alle Beteiligten: die Bühnenbauer, Tontechniker, Orchesterwarte, Beleuchter, Kabelzieher, Kameraleute und natürlich auch die Musiker und der Dirigent.
Begegnung mit dem Herrn der Klänge
Für den guten Klang ist der Tontechniker Rudolf Pirc zuständig. Er baut mit seinem Team in vier Tagen die gewaltige Beschallungsanlage und rund 100 Mikrofone auf. Kein leichter Job: Rudolf Pirc muss auf die gleichmäßige Beschallung des gesamten Platzes von der ersten bis zur letzten Stuhlreihe achten. Das sind immerhin rund 160 Meter in die Tiefe und jede Menge Hindernisse. Durch die unterschiedliche Bebauung der Flanken des riesigen Platzes, durch Fassadenvorsprünge und Lücken hat der Schall überall andere Laufzeiten und Nachhallzeiten. Diese Unterschiede muss er ausgleichen, damit nichts verschwimmt und alle Zuhörer das gleiche gute Klangerlebnis haben.
Der Soundcheck bringt es an den Tag
Zwei Tage vor dem Konzert schlägt die Stunde der Wahrheit. Während der Aufbau läuft, haben die insgesamt 160 Musiker das Programm im Herkulessaal einstudiert und drei Tage lang jeweils sechs bis acht Stunden unter der Leitung des Dirigenten geprobt. Jetzt treten sie erstmals auf der Bühne zum Soundcheck an. Und jetzt zeigt sich, ob die Tontechnik und die Aufstellung von Chor und Orchester wirklich so funktionieren, wie sich Johannes Backhaus und sein Team das vorgestellt haben.
Die Mischung macht's – beim Meister der Mikros
Auch für den Tonmeister Jörg Moser ist der Soundcheck eine wichtige Orientierungshilfe. An seinem mit unzähligen Knöpfen, Reglern, Lichtern und zappelnden Skalen bestückten Beschallungsmischpult produziert er das Klangerlebnis auf dem Platz. Dazu muss er vor allem die hundert Mikros einpegeln und sowohl auf die einzelnen Instrumente wie auf den Gesamtklang abstimmen. Damit Jörg Moser weiß, welche Klänge ihn erwarten, hat er zuvor die Proben besucht, die Partitur studiert und mit zahllosen Eintragungen übersät. Jetzt kennt er alle kritischen Stellen, ist auf besonders leise und laute Passagen vorbereitet und hat eine genaue Vorstellung davon, wie sich die ideale Tonmischung im Konzertsaal anhören würde. Genau diesen Klangeindruck versucht er nun live im Freien herzustellen. Dazu nimmt der Tonmeister zuerst jedes der über zwanzig einzelnen Instrumente auf, beurteilt, wie sie auf dem Platz klingen und pegelt die Mikros aus. Nur so kann er sicher stellen, dass sie sich auch hier optimal ineinander fügen, dass keines verschluckt wird und keines heraus sticht.
Petrus – der heimliche Gaststar des Abends
Die Bühne steht, die Zuschauer nehmen Platz, der Dirigent hebt den Taktstock. Der Moment, auf den Johannes Backhaus und seine Kollegen hingearbeitet haben, ist endlich da. Alles ist präzise geplant, nichts dem Zufall überlassen, jedes Detail geregelt. Mit Ausnahme eines Faktors, der bei jedem Open-Air die erste Geige spielt: Das Wetter ist der große Risikofaktor schlechthin.
Ob sich nicht doch plötzlich die Schleusen des Himmels öffnen, ob es stürmt, ob die Notte Italiana auf einen Schlag zur Notte Diluviana, zur Sintflutnacht, wird, kann niemand steuern. Aber auch für diesen Fall hat Backhaus vorgesorgt. Ein ausgeklügelter Notfallplan klärt minutiös, wie und in welcher Reihenfolge die kostbaren Instrumente schnell ins Trockene gebracht werden. Und wenn es nur ein bisschen windet, wissen sich die Musiker selbst zu helfen. Bei Freiluftkonzerten wie am Odeonsplatz haben sie stets Wäscheklammern dabei, um ihre Noten auf den Pulten festzuheften. Wegfliegen können sie so nicht mehr, und die Zuhörer sind ohnehin gebannt vom Zauber der Musik.