Cambodunum Die Römer in Kempten
Mediterranes Leben mitten im Allgäu: Das gab es bereits vor 2000 Jahren. Damals errichteten die römischen Eroberer die Musterstadt Cambodunum – die zum Zentrum der neuen Nordprovinz Rätien werden sollte. Mit den Kelten, die ursprünglich im Alpenvorland siedelten, verband die Römer eine wechselvolle Beziehung.
Wo heute das bayerisch-schwäbische Kempten liegt, wuchs ab der Zeit rund um Christi Geburt die Römerstadt Cambodunum aus dem Boden. Römische Truppen waren um 15 vor Christus in den Voralpenraum vorgedrungen. Am Hochufer der Iller errichteten sie – in strategisch günstiger Lage – eine Siedlung, die zur Hauptstadt der neuen Nordprovinz Rätien werden sollte. Nach und nach entstand eine mediterrane Musterstadt mitten im Allgäu: Eine "römische Gründung auf dem Reißbrett", wie die Archäologin Maike Sieler erklärt. Mit seinem orthogonalen Straßenraster, den großflächig angelegten öffentlichen Gebäuden und seinen bald mehreren Tausend Bewohnern wurde Cambodunum zum neuen, zivilen Zentrum der Region.
Mit den dort zu dieser Zeit lebenden keltischen Stämmen sprangen die Eroberer nicht zimperlich um: Die Unterworfenen mussten – wie überall im Reich – Frondienste leisten. Sie schufteten beim Bau von Straßen, die bald die neue Nordprovinz durchzogen. Mit Hilfe einheimischer Arbeitssklaven bauten die Römer ein Netz an Fernwegen und Wasserstraßen aus. Infrastruktur, die die Region für den internationalen Handel mit landwirtschaftlichen Produkten, Textilien oder Wein erschloss.
Die neuen Machthaber brachten allerlei Annehmlichkeiten mit ins Allgäu: Die Häuser aus Stein und Ziegel hielten oft empfindliche Kälte der Gegend besser ab als die traditionellen Holzbauten der Kelten. Fenster mit Glas sollten ein helles, freundlicheres Ambiente in den damals modernen Wohnblöcken von Cambodunum schaffen. Und es gab öffentliche Badeanlagen: Thermenhäuser, in denen sich die Bürger vor dem Besuch der Tempel reinigen konnten.
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Cambodunum App: Rundflug Cambodunum
Die Thermen lagen daher nahe der Heiligtümer der römischen Stadt, dem gallo-römischen Tempelbezirk, dem spirituellen Zentrum vom Cambodunum. In seinen Tempeln und auf seinen Altären huldigten nicht nur Römer ihren Gottheiten: Auch römisch geprägte Kelten aus dem westlich benachbarten Gallien sowie Germanen opferten hier hier Schafe, Schweine, Ziegen – oder zu hohen Feiertagen auch einmal ein Rind.
Eroberung – oder "friedliche Vereinnahmung"?
Dabei erlaubten die Römer den unterworfenen Kelten in Cambodunum, ihre Gottheiten weiter zu verehren – etwa die Göttin Epona, die unter anderem für Fruchtbarkeit stand und sogar ihren keltischen Namen behalten durfte. Diese Art der "friedlichen Vereinnahmung" stellte laut der Leiterin des archäologischen Parks Cambodunum, Maike Sieler, eine schlaue Strategie dar, um die besiegten Vindeliker in die neu entstandene Provinz Rätien zu integrieren. Durch die Übernahme fremder Gottheiten oder deren Verschmelzung mit römischen "konnte man sehr gut zueinander finden und letztlich damit auch ein kulturelles Zusammenwachsen ermöglichen".
Kelten und Römer: Ein Mit- und Nebeneinander
Das Zusammenleben in Cambodunum und der Provinz Rätien zeichnete sich Historikern zufolge durch ein Mit- und Nebeneinander aus – aber kaum durch ein Gegeneinander. Die Römer, sagt der Althistoriker Bernd Steidl von der Archäologischen Staatssammlung München, "hat es nicht interessiert, ob die unterworfenen Völker sich romanisierten, also auf römische Art und Weise zu leben beginnen. Wichtig war den Römern, dass sie einerseits Ruhe geben und andererseits ihre Steuern zahlen. Wenn das beides funktioniert hat, konnten diese Leute im Grunde machen, was sie wollten."
Bei der Eroberung wie bei der Etablierung ihrer Kultur und Lebensweise im Voralpenraum dürfte den Römern in die Hände gespielt haben, dass die Region zur Zeit rund um die Zeitenwende weitgehend entvölkert war: Die dort noch siedelnden keltischen Stämme waren laut Bernd Steidl militärisch geschwächt – und verfügten wohl kaum noch über eine soziale Hierarchie, um nennenswerten Widerstand zu organisieren.
Die rund um Cambodunum weiter bäuerlich vor sich hinlebenden Kelten zeichneten sich demnach durch eine gewissen Eigensinn aus. Sie hätten etwa kaum die robuste römische Bauweise übernommen, blieben bei ihren hölzernen Behausungen, und kleideten sich auch weiterhin auf keltische Weise. Steidl spricht von einem "scharfen Kontrast" zwischen mediterran geprägten Lebensart in den Städten Rätiens wie Cambodunum und Augusta Vindelicorum – dem späteren Augsburg – und nur wenige Kilometer entfernten keltischen Siedlungen auf dem Land.
Die Beibehaltung keltischer Kultur und Lebensweise mag auf den ersten Blick eigensinnig wirken – Experten zufolge gab es dafür jedoch gute Gründe. Um andere, "römische" Viehrassen zu halten etwa hätte die Kelten ihre Weidewirtschaft und die Organisation von Futtermitteln massiv umstellen müssen, betont Bernd Steidl. Eine Umstellung der Wirtschaftsweise "zieht ja eine ganze Menge an Folgen nach sich - und unsere Bevölkerung hier scheint einfach kein Interesse daran gehabt zu haben, es anders zu machen als bisher."
Das Ende vom Cambodunum – ein langsamer Niedergang
Die keltische Landbevölkerung habe relativ lange versucht, "parallel neben der römischen Kultur herzulaufen", sagt der Antikenforscher Markus Schußmann. Die Bemühungen, sich abzugrenzen, zeigten sich etwa im Festhalten an keltischen Begräbnisritualen. Im Laufe der Zeit indes, so Schußmann, "gewinnt dann der Römer doch immer mehr Einfluss. Das ging dann beispielsweise mit banalen Dingen los, wie dass man das Stroh herunterwirft und römische Ziegel auf seinen Bauernhof legt, und so weiter. Also man nähert sich im Laufe der Zeit immer weiter an - und irgendwann ist dann diese Trennung nicht mehr möglich."
Der römische Hegemonie in Rätien sollte indes nicht von langer Dauer sein.
Ab Anfang des 3. Jahrhunderts nach Christus häufen sich die Angriffe germanischer Stämme. Teile von Cambodunum werden dabei zerstört. Unterhalb der "alten" Stadt bauen die Römer die neue Siedlung Cambidanum – die sie, zermürbt und entnervt von andauernden Attacken, wohl um 450 nach Christus ebenfalls aufgeben. Damit war das triste Ende einer prachtvollen römischen Musterstadt nördlich der Alpen besiegelt.