Giftig oder heilsam? Tiergifte in der Medizin
Schlangen, Spinnen, Quallen, Skorpione, Schnecken und Muscheln produzieren Gift, um Beutetiere zu erlegen oder sich zu verteidigen. Doch als Medikament bei der Behandlung von Krankheiten könnten Tiergifte dem Menschen helfen.
Grubenottern, Kegelschnecken und Krustenechsen haben eines gemeinsam: Sie sind giftig. Genau wie rund 100.000 weitere Tierarten. Ihre Gifte dienen dazu, Beute zu lähmen und zu betäuben. Oder sind mächtige Verteidigungswaffen, um Feinde außer Gefecht zu setzen. Für den Menschen können Tiergifte aber nützlich sein. Gerade die Medizin kann von ihnen profitieren, denn tierische Giftstoffe können als Blutdrucksenker, Gerinnungshemmer oder Schmerzmittel wirken.
Beispiele von tierischen Giften und ihre potenziell heilsame Wirkung für den Menschen
Tierische Gifte und deren Bedeutung in früherer Zeit
Es gibt keine Belege, dass tierische Giftstoffe schon in der Antike bei den Griechen und Römern als Medikamente verwendet wurden. In der Renaissance haben Forscher giftige Tiere erstmals untersucht und entdeckt, dass Schlangen spezielle Giftdrüsen im Kiefer haben und das Gift in hohlen Zähnen aufbewahren. Erst im 19. Jahrhundert begann die Homöopathie, die Gifte von Schlangen und anderen Tieren zum Nutzen des Menschen einzusetzen: in der typischen Verdünnung, sogenannten Potenzierung, des jeweiligen Schlangen- oder Bienengifts.
Der lange Weg vom Tiergift zum Medikament
Anders als bei pflanzlichen Giften bestehen tierische Gifte aus sogenannten Peptiden. Das sind Eiweißverbindungen, die im Magen abgebaut werden und nicht ins Blut gelangen. Das müssten sie aber, um wirken zu können. Deshalb werden die Stoffe im Labor nach dem Vorbild der Natur nachgebaut. Doch dazu muss die chemische Struktur des Giftstoffs genau bekannt sein. Also braucht die Forschung doch das natürliche Gift. Sie muss die Tiere melken oder ihre Giftdrüsen herausnehmen. Es dauert deshalb lange, bis aus einem Tiergift ein wirksames Medikament entsteht. Denn es gibt eine Herausforderung in der Pharmakologie: Medikamente müssen immer dieselben Substanzen in genau der gleichen Dosierung enthalten. Gerade, wenn es sehr giftige Stoffe sind.
Nur wenige Medikamente auf Basis von Tiergiften
Die Pharmaindustrie hat sich weitgehend aus der Forschung mit Tiergiften zurückgezogen. Sie scheut das finanzielle Risiko, solche Stoffe zu wirksamen Medikamenten zu entwickeln. Und unter anderem auch deswegen, weil Patienten nicht bereit sind, bei Studien mitzumachen, in denen beispielsweise hochwirksames Schlangengift eingesetzt wird. Die EU dagegen investierte in die Tiergift-Forschung: Von 2011 bis 2015 unterstützte sie Wissenschaftler im Forschungsprojekt Venomics mit sechs Millionen Euro. Untersucht wurden rund 25.000 Giftstoffe aus allen Tierklassen, um sie in einer Datenbank für pharmazeutische Entwicklungen zugänglich zu machen. Doch derzeit sind noch fast keine Tiergifte in unseren Apotheken zu finden. Oft ist deren Dosierung oder die Anwendung schwierig, der Grat der Wirkungsweise zwischen tödlich und nützlich zu schmal.