Gründe, einen "automatischen Rechner" zu bauen, gibt es viele: zum Beispiel Faulheit. Der Ingenieurstudent Konrad Zuse, geboren am 22. Juni 1910, bekennt in den 1930er-Jahren ganz offen, dass er einfach zu faul ist zum Rechnen. Und das motiviert ihn, eine Maschine zu bauen, die ihm das abnimmt.

Konrad Zuse entwickelt eine Rechenmaschine für Faule

1935 beginnt er im Wohnzimmer seiner Eltern in Berlin-Kreuzberg mit der Arbeit. Da er kaum Geld hat, muss er improvisieren, erinnert sich sein Sohn Horst Zuse.

Aus solchen Blechen und aus Stahlstiften bastelt Zuse einen mechanischen Arbeitsspeicher, in dem sich Zahlen ablegen und wieder auslesen lassen.

Konrad Zuses Pionierleistung: Rechnen mit Null und Eins (Binärsystem)

Besonders interessant: Zuse setzt von Anfang an auf das Binärsystem. Seine Maschine soll quasi nicht wie ein Mensch mit zehn Fingern rechnen, sondern nur mit "ja" und "nein", mit Null und Eins. Zum Bespiel durch Blechschienen, die man vorwärts und rückwärts schiebt. Darauf basiert auch sein erster Prototyp, der Z1 - der allerdings noch so manche Kinderkrankheiten hat. Schließlich entdeckt Zuse die ausrangierten Telefonrelais der Post als preiswerte, zuverlässige Alternative.

Computer-Vorläufer: Konrad Zuse stellt die Z3-Rechenanlage vor

Nachbau des Rechners Z3 von Konrad Zuse

Zuse baut seinen Rechner also mit Material aus der Abfallkiste. Und dennoch wird der Z3 ein Meilenstein. Am 12. Mai 1941 stellt er sie offiziell vor: die "erste vollautomatische, frei programmierbare, programmgesteuerte Rechenanlage im Dualsystem".

Wettlauf der Erfinder: Zuse kommt der US-Konkurrenz zuvor

Zuse hat damit eindeutig die Nase vorn. Auch vor Computerpionieren wie zum Beispiel Howard Aiken in den USA, der ebenfalls einen elektromechanischen Rechner baut, den Mark I. Dieser wird aber erst drei Jahre später im Jahr 1944 in Harvard fertiggestellt.

Bomben zerstören Konrad Zuses Rechenmaschine Z3

Als Konrad Zuse seine Rechenanlage präsentiert, tobt der Zweite Weltkrieg. Der Z3 geht im Bombenhagel auf Berlin unter. Die Nachfolgemaschine, den Z4, kann Zuse gerade noch zerlegt auf einem Militär-LKW vor den Alliierten nach Süddeutschland retten. 1945 sitzt er in Hinterstein im Allgäu, immer noch überzeugt davon, dass seine Konzepte weit über das hinausgehen, woran andere arbeiten.

Mathematiker John von Neumann macht Konrad Zuses Erfindung Konkurrenz

Die Rechenmaschine Z4 steht heute im Deutschen Museum in München, das voraussichtlich bis 2028 renoviert wird.

Die Computerbranche ist aber auch damals schon recht schnelllebig. Innovationen haben ein kurzes Verfallsdatum: Inzwischen hat ein gewisser John von Neumann, damals Professor am Institute for Advanced Study (IAS) in Princeton, das Konzept eines elektronischen Computers formuliert. Nur dass der an einem Tag das berechnete, wozu Zuses Rechner Jahre gebraucht hätte.

John von Neumann - Mathematiker mit Ausnahmetalent

John von Neumann wurde 1903 als Sohn eines jüdischen Bankiers in Budapest geboren. Sein Talent für Mathematik fiel schon früh auf. In den 1920er-Jahren studierte von Neumann gleichzeitig Chemie in Berlin und Zürich und war Doktorand für Mathematik in Budapest. Nach ein paar Lehrjahren als Privatdozent in Deutschland ging von Neumann als Gastprofessor für mechanische Physik von 1930 bis 1933 in die USA. Dort blieb er dann auch und bekam eine Professur in Princeton, New Jersey, wo auch Albert Einstein zuletzt tätig war. John von Neumann gilt als einer der größten Mathematiker des 20. Jahrhunderts. Und auch seine zweite Ehefrau ging in die Annalen der Geschichte ein: Klara Dan von Neumann war Informatikerin und eine der ersten Computerprogrammiererinnen.

Neumann, Oppenheimer und der erste US-Computer ENIAC

US-Großrechenanlage ENIAC

Auch in den USA kämpft man mit Problemen, die man mit den alten Rechenschiebern nicht lösen kann. Zum Beispiel im Los Alamos Projekt. Dort arbeitet John von Neumann ab 1943 zusammen mit Robert Oppenheimer an einem gemeinsamen Ziel: eine Atombombe zu entwickeln, und zwar vor den Nazis. Doch für die komplexen Modellrechnungen braucht Neumann dringend einen Computer. 1944 stößt er daher zum sogenannten ENIAC-Team. ENIAC steht für Electronic Numerical Integrator and Computer. Es ist der erste elektronische Allzweckrechner, entwickelt an der University of Pennsylvania, von den Computerpionieren Presper Eckert und John Mauchly. Finanziert wird das Projekt von der US-Army. Der Rechner ist zwar bereits fertig konzipiert, doch Neumann deckt Schwachpunkte auf und macht Verbesserungsvorschläge.

Computerpionier: Von-Neumann-Prinzipien prägen Informatik-Lehrbücher bis heute

Mathematiker John von Neumann im Jahr 1954

Zum Beispiel müssen die Ingenieure, wenn sie die ENIAC umprogrammieren wollen, den Rechner fast neu zusammenbauen. Ein mühsames Geschäft. Neumann fordert daher einen einheitlichen, flexiblen Speicher, in dem Programm und Daten abgelegt werden können. Weder Zuse noch die Pioniere in den USA hatten das bis dahin so umgesetzt. Neumann notiert seine Ergebnisse allesamt in einem "First draft of a Report", ein "Entwurf für einen Bericht". Dieser Bericht wird zu einer Art Bibel für den Computerbau. Zwar hatten viele Kollegen ähnliche Ideen zur Architektur und Arbeitsweise von Rechnern, doch niemand hatte sie derart genial auf den Punkt gebracht. Als "von-Neumann-Prinzipien" prägen sie bis heute alle Informatik-Lehrbücher und die Blaupausen für moderne Computer.

Das bedeutet: Zuses Rechner sind kein direktes Vorbild für die elektronischen Maschinen der Nachkriegszeit. Denn einige wichtige Probleme hat er nicht gelöst. Die Wissenschaftsgemeinde blickt in die USA, nicht ins Allgäu. Nicht auf Zuse, sondern auf die Traktate eines John von Neumann.

Der Computer - Konrad Zuse kämpft erfolglos ums Patent

Erfinder Konrad Zuse im Jahr 1989

Konrad Zuse ist kein Wissenschaftler vom Schlag eines von Neumann. Er ist Erfinder-Unternehmer, der seine Maschinen auch selbst baut, um sie zu verkaufen. Er erhält aber niemals ein Computerpatent. Zuse stellt zwar jede Menge Anträge, hat dabei aber keine guten Berater und geht daher, nach vielen Jahren Kampf und Streit um die Anerkennung, leer aus, erinnert sich Sohn Horst Zuse: "Das Bundespatentgericht stellt 1967 fest: der Fortschritt wird anerkannt, die Neuheit wird anerkannt, aber die Erfindungshöhe wird abgelehnt." Für Konrad Zuse ist das eine Katastrophe. Dabei geht es am Ende gar nicht mehr um finanzielle Interessen, sondern um die Ehre:

Beim Großrechner Z22 der Zuse AG wurden Röhren verwendet.

Konrad Zuse hat sich trotz der Niederlage gerne als der Erfinder des Computers in Szene gesetzt. Es entstand der Mythos vom verkannten Erfindergenie, das gegen ausländische Interessen nicht ankommt. In der Tat konnte man sich in den USA wohl einfach nicht vorstellen, dass man selbst zwar Google, das Internet, den Mikrochip und den PC erfunden hat - der Computer aber ausgerechnet aus Deutschland kommen soll, aus dem Land der ehemaligen Nazis.

Erfindung des Computers - ein historischer Prozess mit Ideen vieler Köpfe

Unterm Strich bedeutet das: Die Erfindung des Computers war - wie die Erfindung der Fotografie - ein komplizierter historischer Prozess. An Stelle eines großen Übervaters kann man jede Menge Vor-, Mit- und Paralleldenker setzen, die oft gar nichts voneinander wussten. Auch wenn die Sehnsucht nach dem einen, glänzenden Helden traditionell groß ist, und sich auch Wissenschaftler nach Identifikationsfiguren sehnen. Das schmälert die Leistung von Konrad Zuse nicht. In den heutigen Computern stecken irgendwie auch seine Gene. Es sind eben nicht nur die Gene eines Vaters, sondern die Gene vieler Väter.

Sendungen über Konrad Zuse und John von Neuman: