Ursachen des Artensterbens Kein Platz, keine Potenz
Bis zu 150 Pflanzen- und Tierarten sterben derzeit aus - pro Tag. Viel mehr, als sich durch natürliche Evolution erklären lässt. Jagd, Wilderei oder knapper Lebensraum: Die Gründe für das Artensterben sind vielfältig. Wir zeigen, warum so viele Tiere und Pflanzen aussterben.
Das Verschwinden von Pflanzen- und Tierarten kann natürliche Ursachen haben. Das Aussterben einer Art ist aus evolutionsbiologischer Sicht genauso "normal" wie das Entstehen neuer Arten. Doch momentan läuft der Artenschwund nach den Schätzungen von Experten viel schneller ab, als aus evolutionären Gründen erklärbar ist. Die globale Aussterberate pro Jahr ist derzeit etwa tausendmal höher als die natürliche, so Thomas Hickler vom Senckenberg-Forschungszentrum für Biodiversität und Klima in Frankfurt.
"Derzeit tragen vor allem die Habitatzerstörung, aber auch die Überdüngung und die Invasion fremder Arten maßgeblich zum globalen Artensterben bei. Das wird sich allerdings höchstwahrscheinlich ändern, wenn sich die eher wärmeren Klimaszenarien bewahrheiten."
Thomas Hickler, Senckenberg-Forschungszentrum für Biodiversität und Klima, Goethe-Universität Frankfurt
Der Mensch ist - direkt oder indirekt - die Hauptursache für das schnelle Massensterben der Pflanzen- und Tierarten auf der ganzen Welt. Denn wir Menschen nutzen unsere Umwelt nicht nur, wir verbrauchen sie geradezu - auf vielfältige Weise. Wir essen sie auf oder gestalten sie so um, dass für andere Arten kein Platz mehr bleibt. Und während die Zahl der verschiedenen Tier- und Pflanzenarten stetig sinkt, wächst die Zahl der humanen Weltbevölkerung stetig an.
Die wohl naheliegendste Ursache für das Sterben einer Tierart: Wir Menschen jagen sie. Wir wollen sie essen, ihr Fell oder ihre Knochen nutzen oder empfinden sie als Bedrohung. Oder wir schießen sie einfach nur gerne - so erging es lange Zeit den Elefanten Asiens. Manche Arten hat der Mensch auf diese Weise völlig ausgerottet, bei anderen soll ein Jagdverbot das Aussterben der Art verhindern. Manchmal ist es fast zu spät, wie beim Blauwal, der erst seit 1967 geschützt ist. Und bei vielen Tierarten ist die Jagd nach wie vor die Todesursache Nr. 1.
Vielen Pflanzen- und Tierarten wird der Lebensraum knapp: Immer mehr Flächen werden landwirtschaftlich genutzt oder im rasanten Städtewachstum versiegelt, Tropenwälder abgeholzt. Sämtlichen Menschenaffen, Gorillas, Orang-Utans, Schimpansen wie Bonobos, schwindet der Lebensraum dadurch rapide. Manche Arten, die früher in freier Wildbahn im ganzen Land anzutreffen waren, sind jetzt nur noch in Nationalparks zu finden, wie etwa Elefanten auf Sri Lanka. Für den Löwen ist der schwindende Lebensraum einer der Hauptgründe der Gefährdung: Als Jäger gerät er zunehmend mit dem Menschen in Konflikt.
Durch das rasante Bevölkerungswachstum entsteht häufig ein Kampf um Flächen. Oft sind besonders arme Siedler betroffen, die in den Randgebieten der für die Tiere bestimmten Parks und Reservate leben. Ohne sich dessen bewusst zu sein, dringen sie zum Beispiel auf der Suche nach Feuerholz in das Revier der Tiere ein. Auf der anderen Seite gibt es nicht überall ausreichende Absperrungen und Warnsysteme, die verhindern, dass die Tiere ihr Revier verlassen. Regierungen und Aktivisten wollen den Konflikt zwischen Tieren und Menschen entschärfen. Mitarbeiter installieren zum Beispiel Biogasanlagen, damit die Anwohner auf der Suche nach Feuerholz nicht mehr mit den Raubkatzen zusammentreffen. Am wichtigsten ist es jedoch, die Tiere zu überwachen und ihren Lebensraum besser abzugrenzen. Im afrikanischen Botswana sollen Löwen mithilfe von GPS-Sendern überwacht werden. Überschreiten sie eine virtuelle Grenze, werden die Bewohner in der Umgebung direkt gewarnt, zum Beispiel per Nachricht auf ihre Handys.
Die rasant steigende Zahl der Menschen auf der Erde benötigt auch immer mehr Rohstoffe und Lebensmittel und bedroht damit viele Arten direkt. Der Lebensraum vieler Tier- und Pflanzenarten wird buchstäblich abgeholzt und umgepflügt, um Erdöl und andere Ressourcen abzubauen oder um Getreide und andere Nahrungsmittel wie Palmöl anzubauen. Der Landwirtschaft fällt die Artenvielfalt zum Opfer: Pestizide lassen viele Pflanzenarten verschwinden, die Lebensgrundlage für Schmetterlinge, Bienen, Insekten und andere Tierarten sind.
Immer wieder erscheinen Untersuchungen, die verschiedene Pflanzenschutzmittel wie Glyphosat in den Gewässern nachweisen. Es sind oft niedrige Konzentrationen, deren Wirkung nicht auf die Schnelle zu ersehen ist. Doch Forscher konnten nachweisen, dass gerade die Kleinstorganismen im Wasser von den Giften aus der Landwirtschaft geschädigt werden. Besonders wirbellose Tiere wie Libellen und Eintagsfliegen, aber auch Würmer und Muscheln, die für die Nahrungskette wichtig sind, leiden unter den Schadstoffen.
Ob zerstoßenes Nashorn oder zerriebene Tigerklauen - immer wieder taucht ein- und derselbe Grund auf, warum bedrohte Tierarten weiterhin gewildert und geschmuggelt werden: die angeblich potenzsteigerende Wirkung ihrer Körperteile. Insbesondere in China gibt es einen großen Absatzmarkt für Pülverchen aus allen möglichen Tier-Teilen; je seltener das Tier, desto besser. Fakten spielen eine untergeordnete Rolle. So wird das Schuppentier trotz Handelsverbot weiterhin in großer Stückzahl in China gehandelt, weil seinen Schuppen potenzsteigernde Wirkung nachgesagt wird. Die Schuppen bestehen aus dem gleichen Material wie unsere Fingernägel.
Zwei Tierarten wird ein einziges Körperteil zum Verhängnis: Elefanten und Nashörner werden wegen ihrer Stoßzähne in großer Zahl gewildert. Obwohl der internationale Handel mit Elfenbein seit Langem verboten ist. Die Hauptabnehmer-Staaten für Elfenbein liegen in Südostasien, vor allem in Vietnam und China. Hier ist das Horn als Inhaltsstoff der traditionellen Medizin beliebt und ist in etwa so wertvoll wie Gold.
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Der immer schneller fortschreitende Klimawandel könnte eine der größten Bedrohungen von Pflanzen- und Tierarten weltweit werden. Schon jetzt macht er etlichen Arten schwer zu schaffen, nicht nur dem Eisbären, dem die Scholle unter den Tatzen schmilzt. Ganze Ökosysteme sind bedroht: Die Erwärmung der Meere etwa führt zu deren Versauerung, das wiederum zerstört die Korallenriffe. Und die sind die Kinderstube vieler Fischarten und anderer Meeresbewohner.
Wie viele Arten der Klimawandel kosten wird, lässt sich schwer prognostizieren, doch zahlreiche Studien zeigen: Die Erderwärmung wird zu einer ernsthaften Gefahr vor allem für die Artenvielfalt in besonders schützenswerten Erdregionen. Insbesondere in artenreichen Gebieten wie dem Amazonas oder Madagaskar sind bei einem weiteren Temperaturanstieg viele Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht.
- Living Planet Report 2020, WWF
- Kleingewässer in Agrarlandschaften stark mit Pestiziden belastet, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung 2021
- Hohe Insektizidbelastung in Gewässern, Studie (2015 veröffentlicht in "PNAS")
- Pestizide reduzieren Gewässer-Artenvielfalt, Studie (2013 veröffentlicht in "PNAS")
- Elefanten-Wilderei in Afrika, Studie (2019 veröffentlicht in "nature communications")
- Bedrohung der Artenvielfalt durch den Klimawandel, Studie (2021 veröffentlicht in "Biolological Conversation")
- "Wildlife in a warming world", Studie im Auftrag des WWF, 2018