Mure und Bergsturz Wie Geröll- und Schlammlawinen entstehen
Schlammlawinen oder Muren sind eine Mischung aus Wasser, Geröll und Holz, die mit großer Wucht vom Berg ins Tal abgehen. Manchmal sprengt Wasser auch ganze Teile eines Berges: ein Bergsturz. Im Sommer ist Schlammlawinen- und Bergsturz-Saison.
Wasser kann eine Mure auslösen
Im Winter ist in den Bergen die Zeit der Schneelawinen. Im Sommer gibt es kein Aufatmen, denn dann ist die Zeit der Bergstürze und der Schlammlawinen oder Muren. Bei solch einem Bergrutsch schießen Wassermassen ins Tal, die mit Sand, Erde, Geröll und Hölzern vermischt sind. Sie begraben Häuser, zerstören Wege und sind mindestens so gefährlich wie Schneelawinen. Schlammlawinen oder Muren kommen in der Regel in hügeligem Gelände und im Gebirge vor - überall auf der Welt. Doch nicht überall entstehen Muren durch dieselbe Ursache.
Murentypen
Materiallimitierte Mure
Damit eine Mure entsteht, braucht sie "Material", also ausreichend Geröll, um loszubrechen. In vielen Gegenden der Welt kann es dauern, bis sich genügend Schutt für eine Mure an einem Hang angesammelt hat. Der Vorteil: Wenn die Mure erst einmal abgegangen ist, ist das Gebiet darunter für die nächste Zeit relativ sicher. Es dauert, bis wieder ausreichend Material zusammengekommen ist.
Transportlimitierte Mure
In den Alpen haben sich durch die Eiszeit und die Gletscher ausreichend Geröll und Schutt angesammelt, theoretisch ist fast überall genügend "Material" für einen Murenabgang vorhanden. Doch es gibt nicht ausreichend Wasser, um das Material zu transportieren. Darum werden Schlammlawinen hierzulande immer durch starken Niederschlag oder eine extreme Schneeschmelze ausgelöst. Weil es so viel loses Gestein in den Alpen gibt, ist nach einem Murenabgang das Risiko, dass danach eine weitere Mure abgeht, hoch.
Muren können sich mit bis zu sechzig Kilometern pro Stunde fortbewegen. Auslöser im Alpenraum ist in der Regel Wasser, starker Regen oder die Schneeschmelze. Das Wasser weicht den Boden auf und löst ihn vom Untergrund.
Wo Muren entstehen
Hangmure
Die Hangmure entsteht oberhalb der Vegetationszone, wo keine Bäume mehr wachsen. Wenn der Hang steil genug ist, kann sich das Geröll bei starkem Regen oder Schneeschmelze lösen und ins Tal abgehen. Dabei spielt es kaum eine Rolle, ob der Bergwald gesund ist oder nicht, da die Mure unabhängig von ihm entsteht. Helfen kann der Wald in Ausnahmefällen: Sollte die Schlammlawine noch nicht genug Tempo aufgenommen haben, wenn sie auf den Bergwald trifft, kann das Geröll zwischen den Bäumen hängen bleiben und schießt nicht bis ins Tal hinab.
Talmure
Hier entsteht die Mure in einem steilen Bergbach, ebenfalls bei starkem Regen oder Schneeschmelze. Die Uferkanten brechen ab und die Mure nimmt Geröll, Schlamm und Bäume mit ins Tal hinab. Hier könnte ein gesunder Bergwald helfen: Die Bäume sorgen dafür, dass das Wasser langsam versickert und nicht sofort in kleine Bäche fließt. Die Wurzeln halten darüber hinaus den Boden stabil, so dass er an den Uferkanten nicht so leicht abrutschen kann.
Mehr Muren durch Klimaerwärmung
Mure, Schlammlawine oder Bergsturz: Dank Klimaerwärmung sind Naturereignisse, wie hier in Oberstdorf, gar nicht mehr so selten.
Der Klimawandel hat wahrscheinlich eine Auswirkung darauf, wie häufig Muren entstehen. Denn man geht davon aus, dass es in Zukunft häufiger zu Gewittern mit Starkregen kommen wird, die dann Schlammlawinen auslösen können. Genaue Daten dazu gibt es aber noch nicht. Muren im Alpenraum vorherzusagen ist insgesamt schwierig. Je nach Gebiet ist unterschiedlich viel Regen für eine Mure nötig. Das ist abhängig vom angesammelten Material und der Bodenbeschaffenheit.
Die Wissenschaft versucht dennoch, Muren vorherzusagen. Dazu werden Frühwarnsysteme entwickelt und Gefährdungskarten erstellt. Auf der Schwäbischen Alb haben Forscher der Universität Bonn zum Beispiel Messgeräte in die Erde eingesetzt, die die Bodenfeuchtigkeit messen und rechtzeitig vor einem Murenabgang Alarm schlagen sollen.
Bergstürze - besondere Gefahr durch den Klimawandel
Zudem tauen die Permafrostböden der Berge immer weiter auf: Das Eis im Innern der Berge, das Gestein und Geröll wie Mörtel zusammenhält, verschwindet. In die entstehenden Klüfte dringen Schmelz- und Regenwasser ein und setzt den Berg unter Druck. Die enorme Sprengkraft der Wassermassen kann ganze Bergflanken absprengen, es kommt zum Bergsturz: Explosionsartig bricht ein Stück Berg auseinander und rast als gewaltige Geröll-Lawine ins Tal, angetrieben von den gespeicherten Wassermassen.
Zugspitze - Risikogebiet für Bergstürze
Der große Knall
Die Zugspitze ist mit mehr als 2.900 Metern Deutschlands höchster Berg. Früher war er noch höher - bis vor etwa 3.700 Jahren rund 300 Millionen Kubikmeter Gestein vom Gipfel stürzten. Auf 15 Quadratkilometern verteilten sie sich, bis zum heutigen Garmisch-Partenkirchen. Die Felsblöcke pflügten das Tal um, unter der Grasnarbe stapeln sie sich heute bis zu 50 Meter hoch. "Der Zugspitz-Bergsturz setzt beim Herunterfallen eine riesige Energie frei von Hunderten von Hiroshima-Bomben", meint der Geologe Prof. Michael Krautblatter, der mit seinem Team von der TU München der Zugspitze seit Jahren "auf den Zahn" fühlt, in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk im Jahr 2014.
Permafrost
Ein solcher Bergsturz könnte bei der Zugspitze wieder vorkommen, denn der Klimawandel macht das Hochgebirge instabil: Nicht nur das Eis der Gletscher schmilzt, sondern auch das Eis im Inneren der Berge, der Permafrost. Ein ehemaliger Versorgungsstollen durch den Gipfel war zum Beispiel zum Ende des 20. Jahrhunderts noch komplett vereist, heute ist der Permafrost fast verschwunden. Doch das Eis hält die Felsmassen zusammen wie Mörtel eine Mauer. Schmilzt das Eis, zerfällt der Fels.
Sprengkraft
Schmelz- und Regenwasser können in die eisfreien Klüfte eindringen. Wenn sich die Wassermassen im Fels stauen und hohen Druck aufbauen, könnten ganze Bergflanken abgesprengt werden. Mithilfe eines Gravimeters bestimmen die Wissenschaftler der TU München seit einigen Jahren die Masse der Zugspitze. Ihre Untersuchungen zeigen, dass diese schwankt: Bei Schnee- und Eisschmelze wird die Zugspitze leichter, bei Starkniederschlägen nimmt sie Wasser auf und wird schwerer.
Was die Forscher beim Vergleichen der Daten erschreckt: Insgesamt wird die Zugspitze immer schwerer. Irgendwo im Gipfelbereich scheint sich das Wasser zu stauen. Die Forscher gehen davon aus, dass die hohen Drücke den Fels unter Stress setzen.
Schmiermittel
Die Felslawine vor rund 3.700 Jahren verbreitete sich viel weiter, als sich durch einen normalen Steinschlag erklären ließe. Irgendetwas hat einen Teil des herabstürzenden Gesteins so sehr mobilisiert, dass es bis nach Garmisch gelangte. "Wir denken, ein Grund für diese Mobilisierung könnten Wasser und Schlamm sein, die er aufgenommen hat", vermutet Michael Krautblatter.
Wasser wirkt als Schmiermittel für Erde, Sand und Gestein. Hänge können deshalb nach starken Regengüssen zu einer hochmobilen und zerstörerischen Masse werden. Mit Stromimpulsen, die bis zu 70 Meter tief und mehrere Kilometer weit reichen, "durchleuchten" die Forscher den Boden. Tatsächlich entdeckten sie Hinweise auf Schlamm und Seesedimente im Untergrund, die das Ausmaß des Bergsturzes von einst erklären könnten. Michael Krautblatter und seine Kollegen vermuten: "Es gab hier vielleicht einen Paläo-Eibsee früher. In den ist der Bergsturz gefallen, hat viel Wasser und Schlamm aufgenommen und konnte sich dadurch so gut und so weit bewegen."
Warnsystem
Die Forscher werden ihre Untersuchungen ausweiten. Ziel ist es, ein Überwachungs- und Frühwarnsystem zu schaffen, das einen erneuten Bergsturz vorhersagen kann. Falls ein derart großes Ereignis drohen würde, müssten Tausende von Menschen in Sicherheit gebracht werden. Bislang haben die Forscher keine Hinweise darauf. Kleinere Felspartien könnten sich in nächster Zeit sehr wohl ablösen. Die Zugspitze bleibt unter Beobachtung.
Sendungen
"Bergsturz - Bedrohte Berge": radioWissen, Bayern 2, 26.08.2022, 09.05 Uhr
"Bergsturz - Die Alpen im Umbruch": Schulfernsehen, ARD alpha, 19.01.2022, 09.45 Uhr
"Der Berg kommt - Klimawandel lässt die Alpen bröckeln": 19.09.2019, quer, BR Fernsehen, 19.09.2019, 20.15 Uhr