Forschung auf der ISS Wohin treibt die Raumstation?
In der Schwerlosigkeit können Astronauten Experimente durchführen, die auf der Erde nicht möglich sind. Doch lohnt sich der gewaltige Aufwand für die Forschung?

Auf der Internationalen Raumstation wird Forschung auf höchst unterschiedlichen Feldern betrieben. Zum Beispiel wird die Sonnenaktivität gemessen, Metalle werden zu neuen Legierungen geschmolzen und Proteine in Reinform als Kristalle gezüchtet.
Knappe Ressourcen im All
Viel zu sehen ist davon auf der ISS nicht: Die meisten Experimente sind in standardisierten Schubfächern untergebracht, die Anschlüsse für Strom, Kühlflüssigkeiten, Gase und Datenübertragung haben. Die meisten Experimente laufen automatisch ab oder werden von der Erde aus gesteuert.
Experimente während des zweiten ISS-Aufenthalts von Alexander Gerst
Myotones - Müde Muskeln im All
Im Rahmen des Experiments Myotones untersuchten Wissenschaftler der Berliner Charité und der Universität von Southampton an Alexander Gerst die biomechanischen Eigenschaften des ruhenden menschlichen Muskels. Die Ergebnisse sollen für die astronautische Raumfahrt genutzt werden und künftig auch in die Rehabilitation nach Knochenbrüchen einfließen.
Metabolicspace - Kabelsalat ade
Flumias - Echtzeitmikroskop in 3D
Spacetex 2 - Schöner schwitzen
Asim - Gewitterstürmen auf der Spur
EML - Neue Kamera für heißen Ofen
DESIS - Ökosysteme unter Beobachtung
Gene Control Prime - Genregulation von Immunzellen
CompGran - Dynamik von Granulaten
CAL - Minilabor für große Kälte
Zeitkapsel - Wünsche von Schülern
Trotzdem haben die Astronauten mit der Betreuung der Versuche viel zu tun. Möglicherweise wäre sogar mehr Forschung auf der ISS möglich, aber die Ressourcen sind knapp. Nicht nur Energie, Kühlung und andere technische Voraussetzungen müssen unter allen anstehenden Experimenten aufgeteilt werden, sondern auch das Personal.
"Die kritische Ressource ist die Verfügbarkeit von Astronauten. Wenn wir sechs Astronauten an Bord haben, dann würde ich sagen: Mindestens die Hälfte muss bereitgestellt werden, um diese ganze Infrastruktur zu warten, und die andere Hälfte, wahrscheinlich sogar etwas weniger, um diese Experimente durchzuführen."
Ernst Messerschmidt, Professor für Astronautik und Raumstationen, Universität Stuttgart
Daran wurde bei der ersten Mission von Gerst auf der ISS geforscht
6 Monate - 160 Experimente
Bei seinem Aufenthalt im Jahr 2014 auf der ISS war Alexander Gerst Bordingenieur und damit für wissenschaftliche Experimente zuständig. Zusammen mit seinen Weltraum-Kollegen betreute er rund 160 Versuche, die in dem halben Jahr seines Aufenthalts in den Laboren der Raumstation durchgeführt wurden. Hier einige Beispiele.
Der elektromagnetische Levitator
Kristallklare Ziele
Wissenschaft am eigenen Leib
Columbus, das europäische Weltraumlabor
Im Februar 2008 brachte die US-Raumfähre Atlantis das europäische Weltraumlabor Columbus zur ISS. Neben dem US-amerikanischen Labor Destiny und Japans Labor Kibō ist es das dritte Forschungsmdoul der Raumstation. Das heißt allerdings nicht, dass europäische Forschungsprojekte auch ein Drittel der Forschung auf der ISS ausmachen.
"Das ist eine Kostenfrage: Der Anteil der Europäer hinsichtlich der Nutzung der Anlagen beträgt nur 8,3 Prozent, wobei den Amerikanern vielleicht zwei Drittel der Raumstation gehören und sie auch entsprechende Nutzungsmöglichkeiten haben. Und als 8,3-Prozent-Partner, da muss man dann einfach Rücksicht nehmen auf das, was die europäischen Regierungen bereit sind zu bezahlen."
Ernst Messerschmidt
Kleiner Bruder Bartolomeo
Um der Forschung mehr Platz zu bieten, bekommt Europas Columbus-Modul noch einen Balkon: Im März 2020 wurde das Modul Bartolomeo mit einem Dragon-Frachter zur ISS gebracht. Es ist eine zwei mal zweieinhalb Meter große Außenplattform, die Platz für 12 Experimente bietet, die sich dann in freier Weltraumumgebung befinden. Der Namensgeber Bartolomeo war der jüngere Bruder von Christoph Columbus, nach dem das europäische Forschungsmodul benannt ist, an dem der Balkon angebracht wird.
"Von der neuen Plattform werden daher Strahlenbiologen, Astro- und Sonnenphysiker, Erdbeobachter, Atmosphären- oder Klimaforscher profitieren. Besonders geeignet ist Bartolomeo zur Technologieerprobung und -validierung. Hier existieren einzigartige Möglichkeiten, die in keinem Labor der Erde erreicht werden, weil optische Sensoren, Materialien, Robotikkomponenten und Antennen in direkter Weltraumumgebung getestet werden können."
Dr. Julianna Schmitz, DLR Raumfahrtmanagement
Platz für kommerzielle Forschung
Auch private Industrie und Forschung können sich ein Plätzen auf dem europäischen Weltallbalkon sichern: für eine Jahresmiete von 300.000 bis 3,5 Millionen Euro, je nach Größe der Nutzlast.
Viele Aufträge, lange Wartezeit
Rund 300 Millionen Euro gibt die ESA pro Jahr für die ISS aus. Trotzdem bleiben von der knappen Forschungszeit der Astronauten für europäische Forschung unterm Strich nur siebzig Stunden pro Halbjahr. Das ist ein Grund dafür, warum die ESA zwar volle Auftragsbücher für Weltraumforschungsprojekte hat, aber auch eine lange Wartezeit. Auftraggeber sind hauptsächlich staatliche Forschungseinrichtungen wie das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR. Der Industrie sind die Versuche auf der ISS zu teuer und die Wartezeit zu lang.
Forschung im Weltraum für den Aufenthalt im Weltraum
Langzeitbesatzungen auf der ISS haben aber noch eine andere Aufgabe als Experimente in den Laboren durchzuführen und zu überwachen. Die Astronauten, die ein halbes Jahr oder länger auf der Raumstation leben, erforschen an sich selbst die Möglichkeiten Herausforderungen zukünftiger Raumfahrt-Missionen.
"Wir lernen an Bord der Raumstation, wie wir wirklich für lange Zeit in den Weltraum fliegen können. Das ist unser Versuchslabor für spätere Reisen zum Mars, zum Mond, zu Asteroiden."
Alexander Gerst, deutscher Astronaut
Die Astronauten versuchen dazu etwa herauszufinden, wie sich der Bedarf an Nahrung, Kleidung und Gerätschaften so weit reduzieren lässt, dass eine Jahre dauernde Reise überhaupt möglich ist. Außerdem brauchen sie Lebenserhaltungssysteme zur Versorgung mit Sauerstoff, Wasser und Strom. Diese müssen zuverlässig und zugleich so einfach zu handhaben sein, dass ein Expeditionsteam sie ohne Eingriff einer Bodenkontrolle warten kann.
Langzeittest für das Leben im All
Die Bewohner der ISS erfahren zudem am eigenen Leib, welche Auswirkungen das Leben im All auf den menschlichen Organismus hat. Viele Astronauten werden auf der ISS schnell krank. Dabei gibt es auf der ISS weit weniger Krankheitserreger als auf der Erde. Doch das Immunsystem verliert gerade deswegen auf der Raumstation an Biss. Daher wurde auf der ISS auch schon erforscht, ob weiße Blutkörperchen, die "Fresszellen", sich bei Schwerelosigkeit anders verhalten als auf der Erde. Besonders prominent wurde in diesem Zusammenhang der US-Astronaut Scott Kelly, der von März 2015 bis Februar 2016 insgesamt 340 Tage, also fast ein Jahr, auf der ISS verbrachte, während sein Zwillingsbruder Marc auf der Erde blieb.