Schaltzentrale Gehirn Wie tickt unser Gedächtnis?
Unser Gehirn arbeitet stets auf Hochtouren, denn es sortiert, filtert und speichert Erlebnisse, Eindrücke und Erfahrungen im Gedächtnis ab. Wie funktioniert unser Gedächtnis und wie holen wir diese Informationen wieder hervor?
Im Vergleich zur Festplatte eines Computers speichert unser Gehirn nicht Null und Eins, sondern bei jeder Informationsverarbeitung verändert sich die Verknüpfung der Nervenzellen im Gehirn. Dieses sogenannte neuronale Netz ist bei jedem Menschen unterschiedlich. Der Unterschied zum Computer ist jedoch eindeutig: Das menschliche Gehirn ist individuell und einzigartig.
"Wenn wir uns was merken, dann ändert sich wirklich physiologisch unser Gehirn. Das heißt, es ändert sich was an den Strukturen, an den Verschaltungen von Nervenzellen miteinander."
Roland Rupprecht, Psychologe, Institut für Psychogerontologie, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Drei verschiedene Gedächtnisbereiche sind im Gehirn für das Lernen von Bedeutung: das Ultrakurzzeitgedächtnis, das Arbeits- oder Kurzzeitgedächtnis und das Langzeitgedächtnis.
Das Gehirn filtert Informationen
Unser Gehirn filtert relevante Informationen aus und vergleicht sie mit bereits gelerntem Wissen und Erlebnissen.
Jeden Augenblick sind alle Sinne aktiv und unser Gehirn muss die vielen verschiedenen Informationen aus einem großen Angebot an Eindrücken herausfiltern. Wir riechen, hören, sehen, schmecken und fühlen. Mit diesen unterschiedlichen Sinnen nehmen wir Informationen auf. Nur für gerade mal zwei Sekunden bleibt das Wahrgenommene im Ultrakurzzeitgedächtnis, wird dann verworfen oder gelangt ins Kurzzeitgedächtnis. Deshalb ist es so wichtig, wenn eine Information gespeichert werden soll, dass wir uns nur auf eine Sache konzentrieren. Wenn wir einen Text verstehen und behalten wollen und gleichzeitig einen Film verfolgen, dann wird keine der beiden Inhalte vollständig gespeichert. Nur der Inhalt, der die volle Konzentration bekommt, wird festgehalten. Diese Information muss dazu noch relevant sein, erst dann kann sie die nächste Stufe erreichen: Das Arbeits- oder Kurzzeitgedächtnis.
"Das heißt deswegen auch Arbeitsgedächtnis, weil in diesem Bereich des Gedächtnisses Information verarbeitet wird. Da versuchen wir Informationen zu ordnen, zu systematisieren, mit bereits Bekanntem in Verbindung zu bringen und uns das so zu merken."
Roland Rupprecht, Psychologe, Institut für Psychogerontologie, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Im Kurzzeitgedächtnis werden Informationen bis zu 20 Minuten gespeichert. Danach werden sie gelöscht, um den Platz für Neues freizugeben. Möchten wir das Gelernte länger behalten, hilft es nun eine kurze Pause einzulegen, da unsere Konzentration auf eine Sache nicht so lange ausreicht. Gerade beim Vokabel lernen hilft es, um die neuen Wörter zu behalten, dazwischen immer Pausen einzulegen und dann alles nochmal zu wiederholen. Dann ist die Chance größer, das Wissen im Langzeitgedächtnis zu verankern.
Informationen im Langzeitgedächtnis behalten
Wenn Informationen in die dritte Stufe, ins Langzeitgedächtnis übergehen sollen, dann beginnt der Prozess der Konsolidierung. Will man etwas langfristig speichern, ist es besonders notwendig, das Gelernte sich erst einmal setzen zu lassen. Es ist eine Phase, in der unser Gedächtnis allerdings auch sehr störanfällig ist und Informationen schnell vergessen kann.
Welche Gedächtnisbereiche es im Gehirn gibt
Wenn wir Informationen abspeichern und wieder abrufen, dann sind ganz unterschiedliche Gedächtnisbereiche aktiv. Erlebnisse, Wissensinhalte oder Erfahrungen können dabei unbewusst oder bewusst wieder hervorgeholt werden.
- Das prozedurale Gedächtnis hilft uns, dass wir uns an einmal gelernte Bewegungsabläufe automatisch erinnern und sie immer wieder hervorholen können. Fahrradfahren müssen wir zum Beispiel nur einmal erlernen und können dann ohne nachzudenken immer wieder darauf zurückgreifen.
- Das perzeptuelle Gedächtnis hilft uns Personen wieder zu erkennen, die wir lange nicht mehr gesehen haben. Obwohl sie sich äußerlich verändert haben, mit einer neuen Frisur oder einer anderen Haarfarbe, werden wir uns trotzdem an sie erinnern. Denn unser Gedächtnis verfügt über die Fähigkeit, die einmal gelernte Muster wieder abzurufen und zu ergänzen.
- Das semantische Gedächtnis wiederum speichert alle Informationen, die wir im Laufe unseres Lebens erworben haben. Dazu zählen Fremdsprachen und Wissensinhalte.
- Das episodische Gedächtnis bewahrt unsere autobiographischen Erlebnisse. Diese können gute, aber auch schlechte Erinnerungen beinhalten. Sie sind meist als bewusste Informationen gespeichert.
Gedächtnisinhalte im Gehirn abrufen
Erst im Alter von drei Jahren ist das Gehirn so weit entwickelt, dass es Informationen im episodischen Gedächtnis speichert. Erlebnisse aus der Kindergartenzeit sind meist die ersten Erinnerungen. Was davor passiert ist, daran kann man sich nicht bewusst erinnern. Das ist abhängig von Entwicklungsprozessen des Gehirns, die sich nacheinander aufbauen und erst im Erwachsenenalter abgeschlossen sind.
Emotionen unterstützen unsere Erinnerungen
Mit einem Reiz aktivieren wir das ganze Netz an Neuronen, d.h. Nervenzellen, die miteinander verbunden sind. Sind damit noch Emotionen verknüpft, dann verweilen diese Informationen besonders lange im Gedächtnis. An die erste große Liebe und an den ersten Kuss wird man sich lange erinnern. Emotionale Momente bleiben deshalb länger im Gedächtnis gespeichert und sie sind mit dem Erinnern eng verbunden. Wenn zu diesen emotionalen Ereignissen noch Gerüche hinzukommen, dann werden die Erinnerungen besonders lange behalten.
"Ganz wichtig für das Gedächtnis ist ein Bereich des Gedächtnisses, den man das limbische System nennt. Und das limbische System besteht aus dem Hippocampus und der Amygdala. Und durch diese beiden Instanzen werden eigentlich alle Informationen gefiltert, die in unser Gedächtnis gehen."
Roland Rupprecht, Psychologe, Institut für Psychogerontologie, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Erinnerungen können sich verändern
Unser Gedächtnis spielt manchmal ganz schön verrückt, wenn es versucht, Lücken zu schließen und nicht abgespeicherte Informationen zu ergänzen. Dabei können unbewusst Falschaussagen entstehen, von deren Wahrheitsgehalt man generell überzeugt ist, aber die notwendige Information nicht abgespeichert hat. So kann schnell bei einer Unfallbeschreibung aus einem blauen Auto, ein rotes Auto werden. Oder wir erinnern uns an eine bestimmte Situation und blicken durch eine rosarote Brille. Das ist auch der Grund, warum wir oft nostalgisch auf unsere Jugend zurückblicken. Der Rückblick kann sich im Laufe des Lebens jedoch wieder verändern. Ein Abgleich mit der Gegenwart kann die guten Erlebnisse ebenso zu schlechten verwandeln.
Erinnerungen prägen den Menschen, deshalb ist die Persönlichkeit eines Menschen immer individuell - selbst wenn das Gedächtnis zum Beispiel aufgrund einer Demenzerkrankung nachlässt. Bestimmte Informationen sind trotzdem gespeichert. Auch wenn man sich nicht mehr an seinen Namen erinnern kann, bleiben Erinnerungen vorhanden, die unbewusst abrufbar sind.
Wir können unser Gedächtnis aber auch trainieren. Eine wichtige Rolle bei Erkrankungen spielt Bewegung: In der Bevölkerungsstudie Rheinland Studie standen Untersuchungen des Gehirns im Fokus. Basierend auf diesen Daten kam das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE) in weiteren Untersuchungen 2022 zu dem Schluss, dass das Gehirn bereits von leichter körperlicher Aktivität profitiert. "Wir konnten zeigen, dass sich körperliche Aktivität in nahezu allen untersuchten Hirnregionen deutlich bemerkbar machte. Prinzipiell kann man sagen: Je höher und intensiver die körperliche Aktivität, umso größer waren die Hirnregionen, entweder in Bezug auf das Volumen oder auf die Dicke des Kortex. Das haben wir unter anderem beim Hippocampus beobachtet, der als Schaltzentrale des Gedächtnisses gilt. Größere Hirnvolumina bieten einen besseren Schutz vor Neurodegeneration als kleinere", fasst Neurowissenschaftlerin Fabienne Fox die Forschungsergebnisse zusammen.
Sendungen über das Gehirn und das Gedächtnis
- "Richtig motiviert - wie Dopamin unser Gehirn beeinflusst": Quarks, 22.11.2024, 18.45 Uhr
- "Vergessen - Eine elementare Strategie des Gehirns": Nah dran, Bayern 2, 19.04.2024, 9:05 Uhr
- "Erinnern und Vergessen - So funktioniert unser Gedächtnis": Planet Wissen, ARD alpha, 05.02.2024, 14.00 Uhr
- "Das Gehirn": TELEKOLLEG Biologie, ARD alpha, 26.01.2024, 06.30 Uhr
- "Lebenslanges Lernen: Gut fürs Gehirn": Notizbuch, Bayern 2, 10.01.2024, 10.05 Uhr
- "Demenz - Was hilft und was kann jeder tun?": Gesundheit!, BR, 05.12.2023
- "Unser phänomenales Gehirn": Planet Wissen, ARD alpha, 24.08.2023, 04.30 Uhr
- "Unser phänomenales Gehirn": Planet Wissen, ARD alpha, 23.08.2023, 13.30 Uhr
- "Prof. Dr. Gregor Eichele: Gehirnströme - wie 'Denken' funktioniert": CampusTalks, 30.06.2023, 12.00 Uhr
- "Erinnerungslücken: Warum wir auch mal was vergessen müssen": Notizbuch, Bayern 2, 20.06.2023, 10.05 Uhr
- "Gehirn": Sehen statt Hören, ARD alpha, 22.05.2023, 09.30 Uhr
- "Wie geht unser Gehirn mit Gewohnheiten um?": Campus Talks, ARD alpha, 18.03.2023, 12.00 Uhr
- "Unser phänomenales Gehirn": Planet Wissen, SWR, 06.12.2022
- "Leben ohne Erinnerung - ein Unfall und seine Folgen": Gesundheit!, ARD alpha, 27.08.2022, 18.30 Uhr
- "Tatort Gehirn: Wie funktioniert Erinnern und Vergessen?": Gut zu Wissen Doku, ARD alpha 01.07.2022, 18.15 Uhr
- "Wie kann man sich Dinge besser merken?": 1000 Antworten, SWR, 10.05.2022
- "Manipulierte Erinnerung?": aktiv und gesund, BR Fernsehen, 22.04.2022, 14.10 Uhr
- "Vergessen und Erinnern": radioWissen, Bayern 2, 21.07.2021, 15.05 Uhr
- "Gehirn - Wie es tickt und was es auf Trab bringt": Xenius, BR Fernsehen, 02.12.2020, 15.05 Uhr
- "Howto besser lernen - mit Musik, Apps und Games": Campus Magazin, ARD alpha, 26.10.2020, 22.45 Uhr
- "Wie tickt das Gehirn und was bringt das Gedächtnis auf Trab?": Campus Magazin, ARD alpha, 13.06.2020
- "Wie manipulierbar ist unsere Erinnerung?": W wie Wissen, Das Erste, 07.12.2019, 16.00 Uhr
- "Das Gen-Gedächtnis - Sind Traumata vererbbar?": Campus DOKU, ARD alpha, 11.02.2019, 22.45 Uhr