Schritte zählen 10.000 Schritte pro Tag - gesund oder Marketing-Gag?

Von: Bernd Thomas

Stand: 10.07.2022 17:47 Uhr

10.000 Schritte sollen wir täglich gehen, zumindest heißt es so. Habt ihr euch auch schon mal gefragt, woher diese Zahl eigentlich kommt und was sie bewirken soll? Werden wir dadurch wirklich fitter und gesünder? Sollten es mehr Schritte sein, reichen auch weniger – oder solltet ihr doch besser auf einen ganz anderen Sport umschwenken? Wir haben für euch Studien und Fakten rund ums Schrittezählen gesammelt.

10.000 Schritte: Marketing-Gag oder gesund? | Bild: picture-alliance/dpa

10.000 Schritte? So viele schaffen wir im Durchschnitt

10.000 Schritte: Marketing-Gag oder gesund? | Bild: picture-alliance/dpa

Smartwatches zählen Schritte einfach mit. Und auch für Smartphones gibt es viele kostenlose Schrittzähl-Apps.

10.000 Schritte, das sind - je nach Schrittlänge - zwischen fünf und sieben Kilometer. Wissenschaftler der Stanford University machten 2017 eine Studie zum Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität und Übergewicht. Dazu werteten sie die täglichen Schritte von rund 720.000 Nutzern aus 111 Ländern aus. Der Durchschnitt insgesamt lag bei 4.900 Schritten. Spitzenreiter waren die Bewohner Hongkongs mit fast 7.000, in Europa waren es die Schweden mit rund 6.000 Schritten. Wir Deutsche lagen mit durchschnittlich 5.200 Schritten im internationalen Vergleich gar nicht so schlecht, zwischen Briten mit 5.400 und den Franzosen mit 5.100 Schritten.
Auf nur rund 3.500 Schritte am Tag kamen die Menschen in Indonesien, ähnlich wenig wie die Bewohner Saudi-Arabiens oder der Philippinen. Übrigens schaffen Büroangestellte oft nur 1.500 Schritte am Tag. Briefträger dagegen kommen auf bis zu 18.000 - das sind zwischen neun und elf Kilometer täglich!

Anschauen: Was ist dran an der 10.000-Schritte-Regel?

Schritte zählen: Nur ein Fitnessmythos?

Tägliches Gehen: Was bringt es, jeden Tag 10000 Schritte zu gehen?

Schritte zaehlen: Marketing-Gag oder gesund? | Bild: BR

"10.000 Schritte zu gehen ist ein super Basistraining. Damit kann ich gut abschätzen, ob ich gut unterwegs bin, mich ausreichend bewege. Aber als Training, das gezielt den Stoffwechsel anspricht, Herz und Gefäße gesund erhält, da gibt es für die 10.000 Schritte keine wissenschaftliche Evidenz. Das ist wahrscheinlich mehr ein Marketing-Gag."

Prof. Dr. med. Martin Halle, Präventive Sportmedizin, TU München

Gewusst? 10.000 Schritte - Marketing aus Japan

Schritte zählen: Marketing-Gag oder gesund? | Bild: Yamasa, Japan

Der Slogan "10.000 Schritte pro Tag gehen" begleitet uns bis heute.

Die Zahl 10.000 haben wir erfolgreichem japanischen Marketing zu verdanken: 1964 finden in Tokio die Olympischen Sommerspiele statt, die Begeisterung in der Bevölkerung ist groß. Die Firma Yamasa nutzt die Stimmung im Land und bringt im Jahr darauf ihren ersten Schrittzähler auf den Markt, den "Manpoke": "Man" bedeutet übersetzt 10.000, "Po" Schritt und "Ke" Zähler. Der Manpoke zählte, am Gürtel getragen, mechanisch jeden Schritt fleißig mit. Auf Werbeplakaten stand der Slogan: "Jeden Tag 10.000 Schritte gehen." Denn 10.000 war die größte Zahl, die das Gerät anzeigen konnte, dann begann der Manpoke wieder bei null.

Geht das? Fitter werden mit 10.000 Schritten?

  • Bewegung ist natürlich gesund, aber um fitter zu werden, müsst ihr vor allem mit Belastung trainieren. Wenn ihr geht, ist sie deutlich geringer als wenn ihr joggt, radelt, schwimmt oder im Fitnesssstudio an Geräten trainiert.
  • Es kommt darauf an, wie ihr die Belastung dosiert: Sie muss euch fordern, darf aber nicht überfordern. Mit den täglichen Schritten kommen wohl nur die wenigsten von euch in eine echte Belastung, deshalb sind ausschließlich Schritte als Fitnesstraining für die meisten nicht geeignet.
  • Wollt ihr fitter werden, lohnt sich eine sportmedizinische Untersuchung mit einem Belastungstest. Damit lässt sich individuell zum Beispiel bestimmen, in welchem Pulsbereich das Training für euch am effektivsten ist.
  • Auch Krafttraining ist dabei für euch wichtig. Um fitter zu werden oder fit und vor allem schnell zu bleiben, solltet ihr regelmäßig auf Krafttraining setzen.
  • Fangt langsam an und habt Geduld. Wahrscheinlich macht ihr am Anfang die größten Fortschritte. Aber wenn ihr dran bleibt, circa sechs oder sieben Wochen lang, macht es meistens "Klick", wie Martin Halle sagt. Eure neue Sportroutine ist fest verankert und die Bewegung gehört für euch ab jetzt dazu.  

Effektives Training: Intensität schlägt Dauer

"Entscheidend für das Training ist: Intensität schlägt Dauer. Das heißt, die Effekte sind viel größer, wenn die Intensität höher ist. Wenn ich fitter werden will, muss ich strukturiert trainieren und mit Belastung, damit ich ins Schwitzen komme. 10.000 Schritte pro Tag kosten viel Zeit. Gesundheitseffekte steigern kann jeder schon mit kürzeren, intensiveren Einheiten. Die können dann auch mal nur fünf oder sieben oder zehn Minuten dauern, bringen einen aber ins Schwitzen und fordern so Herz und Muskeln, was den eigentlichen Trainingseffekt ausmacht."

Prof. Dr. med. Martin Halle, Präventive Sportmedizin, TU München

Tatsache: Gehen senkt gesundheitliche Risiken

10.000 Schritte: Marketing-Gag oder gesund? | Bild: picture-alliance/dpa

Viele Studien belegen positive Effekte von niederschwelliger Bewegung im Alltag, wie dem Gehen.

Es gibt etliche Studien, die sich mit niederschwelliger körperlicher Aktivität beschäftigen, zu denen auch das Gehen gehört. Regelmäßige körperliche Aktivität ist mit einem geringeren Risiko verbunden, an einem Typ 2 Diabetes zu erkranken, das zeigen auch Untersuchungen der Schrittzahl. In einer großen schwedischen Studie hatten Teilnehmer, die 4.500 Schritte oder mehr pro Tag gingen, ein um 50 Prozent geringeres Risiko an Diabetes zu erkranken, als Teilnehmer, die es auf weniger Schritte brachten.
In einer 2022 veröffentlichten Metaanalyse wurden 15 Kohortenstudien aus Asien, Europa und Nordamerika mit fast 50.000 Personen ausgewertet. Bei den unter 60 Jahre alten Studienteilnehmern waren etwa 8.000 bis 10.000 Schritte pro Tag mit einem geringeren Risiko für einen frühzeitigen Tod assoziiert. Die über 60-Jährigen brauchten dafür sogar nur 6.000 bis 8.000 Schritte täglich.
Je nach Studie konnte zwischen 6.000 und 10.000 Schritten ein Plateau beobachtet werden, bei dem eine Steigerung der Schrittzahl keinen weiteren Vorteil mehr zeigte, fasst Endokrinologin Katrin Ritzel zusammen. Das bedeutet, es müssen nicht unbedingt 10.000 Schritte sein. Gerade ältere Menschen profitieren von der Bewegung schon bei geringerer Schrittzahl. Wichtig ist, dass überhaupt Bewegung in den Alltag integriert ist. Die Wissenschaftlerin vom Klinikum der Universität München weiß auch um das Problem vieler Studien. Die Evidenz ist nicht ausreichend gesichert, da es sich oft um Beobachtungsstudien handelt.

Sinn des Schrittezählens: Kausale Zusammenhänge nicht sicher

Schritte zaehlen: Marketing-Gag oder gesund? | Bild: BR

"Beobachtungsstudien entsprechen, im Gegensatz zu medizinischen Interventionsstudien, nur bedingt strengen wissenschaftlichen Kriterien. Aus den Ergebnissen lassen sich deshalb oft keine kausalen Schlussfolgerungen ziehen. Gehen zum Beispiel bei einer Studie gesündere Probanden mehr Schritte als weniger gesunde, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, ob das wirklich die Folge oder Ursache der körperlichen Aktivität ist. Damit bleibt unklar, ob ein beobachteter positiver Effekt wirklich ursächlich durch die höhere Schrittzahl erreicht wird. Aber grundsätzlich scheint zwischen Schrittzahl und dem Risiko für Diabetes und auch der Sterblichkeit eine Art Dosis-Wirkung-Beziehung zu bestehen."

PD Dr. med. Katrin Ritzel, Endokrinologin, Klinikum der Universität München

Schritte zählen: Bringen mehr Schritte mehr?

Schritte zählen: Marketing-Gag oder gesund? | Bild: BR

Schritte zählen kann den Einstieg in ein Leben mit mehr Bewegung erleichtern.

Professor Andreas Matzarakis hat es selbst ausprobiert. Er leitet das Zentrum für Medizin-Meteorologische Forschung des Deutschen Wetterdienstes in Freiburg. Er sitzt jeden Tag und viel zu lange. Zu Beginn der Corona-Pandemie sah er ein Foto von sich und erschrak. Radikal stellte er seinen Tagesablauf um und geht seither zwischen 20.000 und 30.000 Schritte täglich - in normalem Tempo. Besprechungen, Telefonate und sogar Interviews erledigt er heute teilweise unterwegs, denn er wollte mehr Bewegung in sein Leben bringen. Der Nebeneffekt: Inzwischen hat er rund 20 Kilo abgenommen, nur durch seine Spaziergänge und obwohl er seine Ernährung gar nicht umgestellt hat.       

Weniger Wetterfühligkeit, mehr Entspannung

Prof. Dr. Andreas Matzarakis, Zentrum Medizin-Meteorologische-Forschung, DWD Freiburg | Bild: BR

"Wir empfehlen den Menschen, sich zu bewegen, viel an der frischen Luft zu sein, sich abzuhärten, weil das auch gegen Wetterfühligkeit hilft. Außerdem ist es wunderbar, draußen zu sein, die Lichtwechsel zu erleben, die Jahreszeiten wahrzunehmen und das Wetter unmittelbar zu spüren. Für mich ist das kein Sport, sondern einfach Bewegung und Entspannung. Ich bekomme den Kopf frei und habe unterwegs auch schon knifflige, wissenschaftliche Probleme gelöst. Einziger Nachteil: Alle drei Monate brauche ich neue Schuhe."

Prof Dr. Andreas Matzarakis, Zentrum für Medizin-Meteorologische Forschung des Deutschen Wetterdienstes, DWD, Freiburg

Tägliche Bewegung: Das empfiehlt die WHO

Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat 2020 ihre Empfehlungen für Bewegung im Alltag aktualisiert. Sie empfiehlt:

  • für Kinder: 60 Minuten pro Tag moderate bis intensive körperliche Aktivität, mindestens drei mal pro Woche intensive Ausdauerbelastungen und spielerisches Krafttraining.
  • für Erwachsene von 18 bis 64 Jahren: Mindestens 150 bis 300 Minuten moderate Ausdauerbelastungen oder mindestens 75 bis 150 Minuten intensive körperliche Belastungen pro Woche. An mindestens zwei Tagen Übungen für alle größeren Muskelgruppen. Außerdem: Die Sitzzeit reduzieren und durch Bewegung ersetzen.
  • für ältere Erwachsene über 65 Jahre: Mindestens 150 bis 300 Minuten moderate Ausdauerbelastungen oder mindestens 75 bis 150 Minuten intensive körperliche Belastungen pro Woche. An mindestens zwei Tagen pro Woche kräftigende Übungen für alle größeren Muskelgruppen für zusätzliche Gesundheitseffekte. Sitzzeit reduzieren und durch körperliche Aktivität jeder Art ersetzen. An mindestens drei Tagen Gleichgewichtsübungen und Krafttraining, um Stürze zu vermeiden.

Entscheidend: Dreißig Minuten Bewegung am Tag

Das absolute Entscheidende ist, meint Martin Halle, aus dem Sofa rauszukommen und sich, egal wie, einfach zu bewegen. Denn die ersten 30 Minuten Bewegung am Tag, am besten intensiv, sind das, was die Risiken für Herz-Kreislauf-Erkrankungen um 20 Prozent senkt und damit gesundheitlich das absolute Nonplusultra. Falls ihr heute noch nicht draußen wart und euch bewegt habt, dann legt mal los. Und wenn ihr dabei leicht ins Schwitzen kommt, umso besser. Denn dann trainiert ihr richtig: euer Herz und eure Muskeln.