Veränderungen im Leben: Was bedeutet "Neuanfang"?

Ein Neuanfang ist eine Zäsur im Leben, die unseren Alltag oft komplett verändert.

Weltreise statt Bürojob, mehr Freizeit statt Workaholic-Leben oder Landleben gegen Großstadt eintauschen - viele Menschen träumen von einem kompletten Neuanfang. "Der Begriff 'Neuanfang' ist nicht klar definiert oder eingegrenzt. Neuanfänge können unterschiedliche Formen annehmen: Sie können klein, groß oder selbstgewählt sein. Wir können aber auch von außen mit Veränderungen wie Krankheit, Tod, Trennung oder Jobverlust konfrontiert werden. Meistens stellen Neuanfänge eine Zäsur im Leben dar", erklärt Eva Asselmann, Psychologin und Professorin für Differentielle und Persönlichkeitspsychologie an der HMU Health and Medical University in Potsdam.

Veränderungen sind Teil des Lebens: Wir durchlaufen verschiedene Lebensphasen wie Schule und Berufsleben, gründen vielleicht eine Familie oder gehen in Rente. Heute sind Lebensphasen jedoch gesellschaftlich weniger stark vorgegeben als noch vor Jahrzehnten. Wir sind heute flexibler und offener für verschiedene Lebensentwürfe. Berufliche Veränderungen wie ein Jobwechsel oder ein Umzug und private Neuanfänge wie eine Auszeit oder eine Trennung werden heute von der Gesellschaft stärker akzeptiert.

Es gibt Situationen, in denen wir uns selbst eine Veränderung wünschen: Wollt ihr zum Beispiel mehr Sport treiben, euch gesünder ernähren und abnehmen oder eine Fremdsprache lernen? Dann handelt es sich um Routinen, die ihr verändern und in euren Alltag integrieren könnt. In anderen Fällen kann der Wunsch nach Wandel tiefgreifende Veränderungen zur Folge haben: Bei Neuanfängen handelt es sich um Einschnitte im Leben, die häufig den gesamten Lebensstil betreffen. "Wenn wir zum Beispiel in ein fremdes Land auswandern oder ein Kind bekommen, müssen wir unsere Routinen stark umstellen", sagt die Psychologin Eva Asselmann.

Neue Wege gehen: Warum Neuanfänge im Leben wichtig sind

Risikobereitschaft ist oft die Voraussetzung für einen Neuanfang.

Sind wir unzufrieden mit dem Status quo oder dem Alltagstrott, kann das der Motor für einen Neuanfang sein. Das Ausharren in unglücklichen Lebenssituationen, Grübeleien, Streit in der Partnerschaft oder unterdrückter Ärger können sogar Bluthochdruck oder Depressionen zur Folge haben.
Unfreiwillige und überraschende Neuanfänge wie Krankheit, Jobverlust oder eine Trennung lösen meist negative Gefühle wie Angst, Scham oder Wut bei uns aus. Solche belastende Lebensereignisse können sogar zu einer depressiven Erkrankung führen. Aber auch Lebenskrisen kann man mithilfe von professioneller Unterstützung überwinden und aus ihnen sogar gestärkt hervorgehen. Beispielsweise kann der Jobverlust zu einer beruflichen Neuorientierung und mehr Zufriedenheit führen. Eine Krankheit kann zur Folge haben, dass wir Routinen überdenken und uns weniger Stress, Multitasking und Belastung aussetzen. Aber auch vorhersehbare Veränderungen wie der Beginn der Rente oder der Auszug der Kinder können Stress verursachen. Ob ein Rentner die neu gewonnene Zeit nutzt, um ein neues Hobby auszuüben oder eine Depression entwickelt, hängt häufig von der jeweiligen Persönlichkeit ab. Aber auch andere Faktoren spielen eine Rolle: Zum Beispiel das soziale Umfeld oder die persönliche Resilienz.

Zeit für einen Neuanfang: So gelingt der Neubeginn im Leben

Zeit für einen Tapetenwechsel? Euer Neuanfang klappt besser, wenn ihr vorher auch mögliche Hindernisse und Lösungen durchdenkt.

"Obwohl wir Gewohnheitstiere sind, streben wir danach, Erfahrungen zu sammeln. Viele Menschen sind von Natur aus neugierig", erläutert Eva Asselmann. Risikobereitschaft und Mut seien häufig die Voraussetzungen für einen Neuanfang. Der Persönlichkeitsforscherin zufolge sind diese Eigenschaften in jedem Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt und hängen auch von der individuellen Lebenssituation ab. Neuanfänge seien jedoch auch ein Privileg, denn sie können kostspielig sein. Ein Jobwechsel oder das Auswandern in ein anderes Land kann von ausreichend finanziellen Mitteln abhängig sein. Das solltet ihr bedenken.

"Nach einem Neuanfang ist immer eine Anpassungsleistung erforderlich", betont Eva Asselmann. Das bedeutet: Wir müssen uns neu auf eine Situation einstellen und sie meistern. Eine Studie der Universität New York und der Universität Hamburg kam 2020 zu dem Ergebnis, dass ein guter und zufriedener Abschied mit dem Lebensabschnitt davor entscheidend für einen erfolgreichen Neuanfang ist. Ein positives Mindset reicht jedoch nicht für einen erfolgreichen Neubeginn aus: Eine Studie der Universität Hamburg kam 2018 zu dem Schluss, dass Träume und Zukunftsfantasien häufiger scheitern, wenn sie ausschließlich positiv sind. Wir strengen uns dann einfach weniger an. Führen wir uns jedoch auch die Hindernisse vor Augen und spielen mögliche Hürden durch, erreichen wir eher unser Ziel. Die Forscher nennen diesen Vorgang "mentales Kontrastieren". Außerdem sollte man sich unbedingt anschauen, ob man die jetzigen Bedingungen und den Umgang mit einer Situation ändern kann, bevor man einen kompletten Neuanfang wagt.

Neuanfang im Alter: Können wir unser Leben im Alter noch ändern?

Auch im Alter können sich Neuanfänge lohnen: Durch Herausforderungen halten wir uns fit und gesund.

"In jungen Jahren sind wir tendenziell offener für neue Erfahrungen und Veränderungen als im Alter. Menschen können jedoch ein Leben lang persönlich wachsen", sagt die Psychologin Eva Asselmann. In der Mitte des Lebens wird vielen Menschen die eigene Sterblichkeit bewusster. Vielleicht haben wir auch erste gesundheitliche Einschränkungen und realisieren, dass die eigene Lebenszeit endlich ist. Viele Menschen haben sich kräftezehrend etwas aufgebaut und sortieren sich dann neu. "Was habe ich schon erreicht? Wo stehe ich? Was ist mir wirklich wichtig und wo will ich hin?", das seien zentrale Fragen, die dann häufig gestellt werden, fasst Eva Asselmann zusammen.

In der Glücksforschung geht man von einer U-Kurve aus, die die Lebenszufriedenheit im Laufe des Lebens der meisten Menschen abbildet: Zu Beginn und am Ende des Lebens ist die Kurve am höchsten und die meisten Menschen sind am zufriedensten. Eine Studie der Ludwig-Maximilians-Universität München aus dem Jahr 2021 kam jedoch zu dem Ergebnis, dass die Kurve der Lebenszufriedenheit im Laufe des Lebens konstant abnimmt und im hohen Alter, etwa fünf Jahre vor dem Tod, stark abfällt. In einer älterwerdenden Gesellschaft sind deshalb das Wohlbefinden und die Gesundheit im Alter entscheidend: Weniger Stress, mehr Bewegung und eine gesunde Ernährung können zu einem gesunden Altern beitragen.

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