Erdbeben Deutsches Tsunami-Warnsystem für Indonesien
Der Tsunami, der sich 2004 im Indischen Ozean ereignete, kostete mehr als 250.000 Menschen das Leben. Vier Jahre später wurde in der Region ein Frühwarnsystem in Betrieb genommen. Deutsche Forscher haben es mitaufgebaut.
Im Dezember 2004 tötete eine gigantische Flutwelle Hunderttausende Menschen an den Küsten rund um den Indischen Ozean. Eine funktionierende Frühwarnung vor Tsunamis fehlte. "Bis dahin hatte die indonesische Regierung die Katastrophenvorsorge völlig vernachlässigt", sagte damals Erhard Bauer vom Deutschen Roten Kreuz, der die Geschehnisse von der indonesischen Hauptstadt Jakarta aus verfolgte.
Messstationen an gefährdeten Küsten
Knapp vier Wochen nach der Naturkatastrophe kündigte das Bundesforschungsministerium an, Deutschland werde ein System für den Indischen Ozean entwickeln und einrichten. Wissenschaftler am GeoForschungsZentrum (GFZ) in Potsdam entwickelten zusammen mit internationalen Experten das Hightech-Frühwarnsystem GITEWS (German-Indonesian Tsunami Early Warning System). Die Bundesregierung stellte für das Projekt mehr als 53 Millionen Euro bereit. Das Warnsystem stützt sich auf rund 300 Messstationen an den gefährdeten Küsten, die ihre Daten in Echtzeit an die Warnzentralen übermitteln. Bereits am 11. November 2008 wurde das Tsunami-Warnsystem samt seiner Zentrale in Jakarta offiziell in Betrieb genommen. Im März 2011 wurde es vollständig an Indonesien übergeben. Der Verantwortliche Betreiber des Systems ist seither der Meteorologische, Klimatologische und Geophysikalische Dienst in Jakarta. GITEWS bildet mittlerweile die Kernstruktur des jetzigen indonesischen Tsunami-Frühwarnsystems.
Warnsystem GITEWS erkennt Erdbeben und Tsunamis
Seit der Inbetriebnahme von GITEWS konnten bereits tausende Erdbeben und mehr als zehn Tsunamis erfolgreich registriert werden. Die speziell entwickelte Software kann innerhalb weniger Minuten Lage und Stärke eines Erdbebens ermitteln. Doch nicht jedes Erdbeben löst einen Tsunami aus. "Wenn man sich nur auf die Erdbebeninformation konzentriert, ist es schwierig, vorherzusagen, ob sich daraus ein Tsunami generiert", sagt Geologin Ute Münch vom GFZ. GITEWS arbeitet deshalb mit verschiedenen Sensorsystemen.
So funktioniert das System GITEWS
300 vollautomatische, landgestützte Messstationen überwachen die Region rund um die Uhr. Über GPS (Global Positioning System) werden etwaige Erdverschiebungen ermittelt, sie könnten bereits die Vorboten eines Tsunamis sein. Registrieren lässt sich dieser mit Messungen im Ozean: Dazu wurden entlang der Küste Pegelstationen eingerichtet. Acht Schwimmbojen überwachen den Wellengang mit GPS-Antennen. Sie geben Alarm, wenn der Meeresspiegel plötzlich steigt oder fällt. Zusätzlich registrieren Druckmessgeräte am Ozeangrund jede Veränderung des Meeresspiegels. So lassen sich die Riesenwellen bereits kurz nach ihrer Entstehung orten. Per Satellit werden die Daten dann ins Warnzentrum in Jakarta weitergeleitet. Von dort gelangt die Warnung über fest geschaltete Telefonleitungen, SMS oder Satellitentelefon an festgelegte Ansprechpartner vor Ort, die dann mit Lautsprechern, Sirenen oder Trommeln Alarm schlagen. Weil die Vorwarnzeit vom Beben bis zur Welle kurz ist, musste die Bevölkerung auch in den entlegensten Regionen lernen, wie man bei einer Tsunami-Warnung reagiert. Auch hier halfen die Deutschen mit Katastrophenplänen.
Karten veranschaulichen Tsunami-Gefahr
"Wir müssen uns bemühen, eine Frühwarnung innerhalb der ersten fünf bis zehn Minuten zu produzieren, damit überhaupt noch eine Chance besteht, zu reagieren", erklärte der Projekt-Koordinator Jörn Lauterjung vom GFZ. Das System ist schlau: Es kann normalen Seegang von einer plötzlichen Tsunamiwelle unterscheiden. Und entsprechend der Ozeantopographie berechnet es, wann an welchem Küstenabschnitt mit welcher Gefährdung zu rechnen ist. Möglich ist dies, weil neben den aktuellen Messungen vorherige Tsunami-Verläufe in die Software einfließen. In Sekundenschnelle wird so deutlich, ob eine Welle lebensbedrohlich werden kann oder nicht. Allerdings kann das System nicht in allen Fällen verheerende Folgen verhindern. So gab es 2010 ein Erdbeben nahe den Mentawei-Inseln vor Sumatra mit einem Tsunami, bei dem rund 400 Menschen ums Leben kamen. "In diesem Fall ereignete sich das Erdbeben direkt vor der Küste, und die Vorwarnzeit war einfach zu kurz", erklärte Lauterjung.
Kritik am Frühwarnsystem
Trotz Frühwarnsystem kamen beim Erdbeben und dem anschließenden Tsunami entlang der Küste der indonesischen Insel Sulawesi im September 2018 über 4.000 Menschen ums Leben. Das führte zu viel Kritik am Frühwarnsystem GITEWS. Doch Jörn Lauterjung, der das System mitentwickelt hat, sagt im Januar 2019 auf Nachfrage des Bayerischen Rundfunks, das System habe technisch funktioniert. Probleme habe es nur auf der "Last Mile" gegeben, bei der Kommunikation zwischen den Katastrophenschutzbehörden in Jakarta und der Bevölkerung vor Ort. Da sei die Information wohl nicht weitergegeben worden, vermutet Lauterjung.
Konsequenzen aus dem Unglück in Indonesien
Mit einer besseren Ausbildung der Leute vor Ort sollen solche Kommunikationsprobleme künftig vermieden werden. So muss die Bevölkerung unter anderem lernen, starke Erdbeben als natürliches Warnzeichen für einen herannahenden Tsunami zu werten und entsprechend darauf zu reagieren. Damit gewinne man schon ein paar Minuten, erläutert Lauterjung. Aber auch die Installation und Wartung der lokalen Kommunikationseinrichtungen, wie zum Beispiel die Sirenen, müssen regelmäßig überprüft werden, damit diese im Unglücksfall auch funktionieren und eine rechtzeitige Warnung vor Ort überhaupt möglich ist. Ein Risikofaktor bleibt allerdings: Die Psyche der Bevölkerung. Es könne gut sein, dass die Leute in einer derartigen Stresssituation falsch reagieren und am Strand bleiben anstatt wegzulaufen, sagt Lauterjung. Auch bei einem Tsunami, der schon zwei, drei Minuten auf ein starkes Erdbeben folgt, sei eine rechtzeitige Warnung der Bevölkerung nicht möglich. "Da sind uns einfach physikalische Grenzen gesetzt", erklärt Lauterjung.
Auch Europa von Tsunamis bedroht
Die Inselrepublik Indonesien liegt mitten in einem berüchtigten Seebebengebiet: Hier schiebt sich die indoaustralische Platte unter die eurasische – sechs Zentimeter weit pro Jahr. Doch nicht nur im weit entfernten Indischen Ozean und in Japan, auch in Europa können Tsunamis auftreten. Italien und Griechenland sind besonders gefährdet. Hier brodeln nicht nur zahlreiche Vulkane, auch am Meeresgrund ist es alles andere als ruhig: Die afrikanische Platte schiebt sich dort unter die eurasische. Die Spannungen führen immer wieder zu starken Beben: 2003 war Algerien betroffen, 2008 die Ferieninsel Rhodos, 2009 Westgriechenland. Im Oktober 2020 kam es zu einem Erdbeben in der Türkei mit einem darauffolgenen Tsunami, der die griechische Kleinstadt Vathy auf der Insel Samos getroffen hat.
Tsunami-Frühwarnsystem für das Mittelmeer gefordert
Wissenschaftler haben die Errichtung eines Frühwarnsystems für Tsunamis im Mittelmeerraum gefordert. Es gebe die Erfahrung und auch die Instrumente, sagte Jörn Lauterjung, der Koordinator des deutsch-indonesischen Frühwarnsystems 2011 in Wien. Die Gefahr einer Riesenwelle dürfe nicht unterschätzt werden. Ein Tsunami in der Region würde das Land sehr schnell - in vier oder fünf Minuten nach einem Erdbeben - erreichen, sagte Lauterjung. Was erschwerend hinzukommt: "Das Mittelmeer ist ein sehr kleines Meeresbecken. Egal, wo sich da ein Erdbeben ereignet oder ein Vulkan ausbricht, die Welle läuft sehr schnell an irgendwelchen Küstenzonen auf", erklärte Geologin Münch.
In dieser Hinsicht ist die Mittelmeerregion durchaus mit Indonesien vergleichbar. Nur dass es im Mittelmeer noch kein so komplexes Frühwarnsystem wie im Indischen Ozean gibt. Aber immerhin: Seit 2005 können Tsunamis in Europa von der Zugpspitze aus mit dem Klimamessgerät GRIPS aufgespürt werden. Das System alleine ermöglicht es allerdings noch nicht, die betroffene Bevölkerung vor Ort im Falle eines Tsunamis zeitnah zu warnen.
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