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Insektensterben Drastischer Insektenschwund in Deutschland

Monokulturen, Pestizide und andere Giftstoffe, Versiegelung der Böden und fehlende Blumenwiesen - all das macht den Insekten den Garaus. Seit langer Zeit ist ein massives Insektensterben im Gange. Und wenn die Insekten sterben, leiden andere Arten.

Stand: 17.08.2022

Die Zahl der Insekten in Deutschland ist nicht nur zurückgegangen, sie ist regelrecht eingebrochen: Dreiviertel aller Fluginsekten ist im Verlauf von nicht einmal dreißig Jahren verschwunden, so dass schockierende Ergebnis einer der relevantesten Studien zum Thema. In nur 27 Jahren nahm demnach die Gesamtmasse der gezählten Insekten um 76 Prozent ab, berichten Wissenschaftler aus Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden im Fachmagazin "PLOS ONE" im Oktober 2017. Es war die erste Studie, die zum bis dahin nur "gefühlten" Insektensterben genaue Zahlen aus einem sehr großen Untersuchungsraum lieferte.

Ehrenamtliches Engagement für die Forschung

Die wesentliche Datenbasis zu den Forschungsergebnissen der Wissenschaftler um Caspar Hallmann von der Radboud-Universität in Nijmwegen trugen ehrenamtliche Insektenkundler vom Entomologischen Verein Krefeld bei. Von 1989 bis 2016 sammelten sie in insgesamt 63 Gebieten in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Brandenburg Insekten und bestimmten deren Masse. Die Vereinsmitglieder stellten zeltartige Netze auf, in denen Fluginsekten gesammelt wurden. Die Fallen wurden innerhalb einer Saison in regelmäßigen Abständen geleert.

Insektenfalle

Zwar wurden die Lebendfallen nur in drei Bundesländern aufgestellt, doch das Untersuchungsgebiet ist so groß, dass nach Einschätzung von Experten das Ergebnis auf ganz Deutschland übertragbar sein dürfte. Und: Die Fallen wurden nur in Naturschutzgebieten aufgestellt. Dass sogar dort nur noch ein Viertel der Insekten erfassbar war, zeigt, wie fortgeschritten das Insektensterben bereits ist. Die Publikation liefere den Beweis, dass der Insektenschwund nicht nur einzelne Standorte betrifft, sondern tatsächlich "ein größerflächiges Problem" ist, so die Wissenschaftler.

Pro Jahr fast ein Prozent weniger Insekten

Im April 2020 erfasste dann erstmals eine Meta-Studie den Rückgang der Insekten weltweit und kam zu dem Ergebnis, dass pro Jahr 0,92 Prozent der Insekten verschwinden, fast ein Hundertstel. Das heißt umgekehrt: In 27 Jahren verschwindet ein Viertel aller Insekten weltweit. Für die Studie werteten die Forscher 166 Einzelstudien aus mehr als 1.500 Ländern zum Insektenschwund aus.

Jede zweite Insektenart ist am Schwinden

Das Problem der Forscher in diesem Bereich: Es gibt zu wenige Menschen, die regelmäßig Insekten zählen, und damit gibt es insgesamt zu wenige umfassende Studien. Selbst auf der Roten Liste Deutschlands ist nur etwa ein Viertel der Insektenarten überhaupt erfasst. Und von diesen Arten sind fast die Hälfte in ihrem Bestand rückläufig: Bei 45 Prozent der auf der Roten Liste erfassten Insektenarten sinken die Zahlen langfristig. Es sind also nicht nur einzene Insekten wie die Bienen vom Insektensterben betroffen.

Drastischer Schwund bei Heuschrecken und Schmetterlingen

Das Insektensterben ist nicht auf Deutschland beschränkt. Im Juli 2017 meldete die Welt-Naturschutz-Union IUCN, dass weltweit mehr als ein Viertel der Grillen- und Heuschrecken-Arten vom Aussterben bedroht sind. Nicht viel besser sieht es bei den Schmetterlingen aus. Auch hier ist der Artenschwund dramatisch, wie Forscher in einer europaweit durchgeführten Studie belegen konnten, die 2021 im Fachmagazin "PNAS" veröffentlicht worden ist.

Insekten leiden unter intensiver Landwirtschaft

Auch wenn einzelne Insektenarten aufgrund unterschiedlicher Ursachen leiden, lässt sich doch zusammenfassen, was das Insektensterben auslöst: Für die Insekten gehen zunehmend Lebensraum und Nahrung verloren, Pestizide tun ihr Übriges. Der Biodiversitätsforscher Thomas Fartmann von der Universität Osnabrück sagte im Juni 2021 in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk, es sei unstrittig, dass der größte Biodiversitätsverlust in der Agrarlandwirtschaft zu verzeichnen sei.

Insekten - eine Gruppe mit über 33.000 einzelnen Arten in Deutschland - brauchen Biodiversität im Pflanzenreich. Unter Insekten gibt es viele Spezialisten, manche Arten sind auf sehr wenige Pflanzen spezialisiert. Doch auf unseren Äckern schwindet die Artenvielfalt, stattdessen nehmen riesige Monokulturen zu. Ackerrandstreifen, Raine und wildwachsende Wegesränder verschwinden, immer mehr Grünland wird in Acker umgewandelt. Und selbst das Grünland, das bleibt - die Mahdwiesen - werden intensiv bewirtschaftet: Sie werden sehr früh und möglichst oft im Jahr gemäht, und dafür auch reichlich gedüngt.

Dünger tut nicht jedem gut

Doch gedüngte, nährstoffreiche Wiesen sind nicht nach jedermanns Geschmack. Als Nahrung für Insekten dienen sie, so Andreas Segerer, Schmetterlingsforscher an der Zoologischen Staatssammlung München, vor allem dann, wenn sie im Stickstoffmangel stehen: Auch Schmetterlinge wie das Tagpfauenauge oder der Kleine Fuchs, die eigentlich häufig sind, verschwinden, wo die Pflanzen zu gut genährt sind. Besonders problematisch ist die Überdüngung aber für Arten, die auf ausgesprochen nährstoffarme Biotope spezialisiert sind.

Der Dünger ist nicht auf einzelne Felder beschränkbar. Dazu kommt die flächendeckende Düngung aus der Luft – von benachbarten Feldern und Wiesen oder durch Stickoxide aus Autoabgasen.

Hauhechel-Bläuling: Die Zahl der Fluginsekten ist in Teilen Deutschlands erheblich zurückgegangen.

Ein weiteres großes Problem ist die Zerstückelung der Landschaft, selbst für Insekten, die fliegen können. Naturschutzgebiete sind oft zu klein und liegen zu weit auseinander. Sind jedoch die Lebensräume einzelner Insektenarten zu zerstückelt, werden einzelne Populationen isoliert und leiden unter Inzucht.

Insektizide tun, was sie versprechen

Ein weiteres großes Problem sind die Insektizide, so Josef Settele, Insektenforscher am Umweltforschungsinstitut Leipzig-Halle (UFZ).

"Und dann haben wir ja die bekannten Neonicotinoide, die schon wesentlich giftiger sind als viele andere Insektizide, und dann ist das auch anspruchsvoll, das entsprechend dosiert aufs Feld zu bringen."

Josef Settele, Insektenforscher am Umweltforschungsinstitut Leipzig-Halle

Was passiert, wenn die Insekten fehlen

So ist es vor allem die Landwirtschaft, die den Insekten das Leben schwer macht, mit Folgen auch für viele andere Arten, wie Josef Settele erklärt. Gerade die insektenfressenden Vögel seien bei uns im Lauf der vergangenen Jahre auf der Roten Liste als immer gefährdeter aufgelistet. "Was ein Indiz dafür ist, dass die Nahrungsbasis fehlt", so Settele. Auch Fledermäuse und andere Kleinsäugetiere, die ausgewachsene Insekten oder ihre Larven, Maden oder Raupen fressen, sind betroffen. Und vielen Pflanzen fehlen die Bestäuberinsekten: nicht nur Bienen, sondern auch Schmetterlinge, manche Käfer- und einige Fliegenarten.

Öko-Dienstleister mit sechs Beinen

Neunzig Prozent aller Wildblumen werden von Insekten bestäubt, aber auch Dreiviertel unserer Nutzpflanzen. Keine Bienen, keine Birnen! Insekten erbringen aber auch noch ganz andere, "elementare Ökosystemleistungen", wie es das Bundesumweltministerium ausdrückt. Sie transportieren Samen quer durch Wald und Flur, lockern die Böden auf, vernichten Aas oder entsorgen tierischen Kot, sie bauen organische Masse wie Totholz oder das abgeworfene Laub ab und erhalten damit die Fruchtbarkeit der Böden. Und Insekten reinigen Gewässer, die Dunkelmücken zum Beispiel.

Deswegen sind Wissenschaftler und Umweltschützer sehr besorgt: Insekten sind von überlebenswichtiger Bedeutung für viele Ökosysteme. Diese könnten kollabieren, wenn die Insekten fehlen. Und dazu muss eine Art nicht einmal ausgestorben sein. Kommen von ihr nur noch einzelne Individuen in weit auseinanderliegenden Gebieten vor, ist der Nutzen der Insektenart für ein Ökosystem verloren.

Datenmangel macht Insekten-Forscher hilflos

Vor unseren Augen verschwinden riesige Mengen von Tieren, mit erheblichen Folgen für viele Ökosysteme, und doch ist das schwer nachzuweisen. Denn dazu braucht man Insekten-Zählungen über viele Jahrzehnte.

"Es gibt wirklich wenig dazu, weil diese Art von Erfassung wissenschaftlich nicht so spannend ist, das heißt die Wissenschaft macht da wenig, und man ist darauf angewiesen, dass Ehrenamtler so was machen, was immer schon der Fall war."

Josef Settele, Insektenforscher am Umweltforschungsinstitut Leipzig-Halle

Experten, die in ihrer Freizeit Insekten fangen und Arten bestimmen, machen dies meist am toten Exemplar. Nur so lässt sich die Artenvielfalt wissenschaftlich dokumentieren. Doch dafür brauchen die ehrenamtlichen Forscher eine Genehmigung. Dieser bürokratische Akt lässt viele Freizeitforscher die Lust am Bestimmen verlieren. So brechen den Fachleuten die Fachamateure weg, die die Wissenschaftler aber dringend brauchen, "um in der Fläche die Daten generieren zu können, um sie wissenschaftlich auswerten zu können", so Settele.


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