Computerspiele Wann wird Gaming für Kinder schädlich?

Von: Jutta Henkel

Stand: 13.08.2024

Computerspiele machen nicht nur vielen Kindern Spaß und trainieren das Gehirn. Was macht Gaming so verführerisch? Bei welchen Verhaltensweisen eures Kindes solltet ihr als Eltern aktiv werden, um Abhängigkeit und Spielsucht zu vermeiden?

Ein Mädchen und ein Junge spielen ein Computerspiel. Computerspiele machen vielen Kindern Spaß. Zuviel Gaming kann jedoch zur Abhängigkeit führen. Was sind die Anzeichen einer Sucht? Wann solltet ihr einschreiten? | Bild: picture alliance/Zoonar/Przemek Klos

Gaming: Welche Auswirkungen können Computerspiele auf Kinder haben?

Jakob ist zehn Jahre alt und liebt Computerspiele: Fremde Welten zu erschaffen und Außerirdische zu besiegen, das begeistert ihn. Wenn er dürfte, würde er jeden Tag am Computer sitzen und spielen. Jakobs Vater Tobias Müller ist Sozialpädagoge und will seinen drei Kindern das Computerspielen nicht generell verbieten.

Gaming verändert Jakobs Verhalten

Tobias Müller sieht mit Sorge, wie sich Jakob verändert, wenn er längere Zeit zockt: Wenn die Computerspielzeit beendet ist, kommt Jakob immer schwerer davon los. Lange und ausführlich berichtet er von seinen Erlebnissen in der fiktiven Welt der Außerirdischen. Und er fordert immer dringender nach häufigeren und längeren Spielzeiten. "Wenn man dann sagt, dann geh jetzt bitte irgendwas spielen, dann ist es auf einmal alles immer langweilig. Wenn dann der Bruder kommt, dann wird angefangen zu raufen. Dadurch, dass er die ganze Zeit still saß, muss sein Körper diese Energie rauslassen, die sich da angestaut hat. Also das Aggressionslevel ist einfach deutlich höher."

Das ist für Jakobs Eltern ein deutliches Warnzeichen. Sie kürzen seine Computerspielzeiten. "Wir wollten es mit unserem Kind nicht so weit kommen lassen, dass das ganze Leben nur noch aus Computerspielen besteht!", so Tobias Müller. Jakob darf jetzt nur noch einmal pro Woche eine halbe Stunde spielen. Am Anfang war das sehr schwierig, sagt sein Vater. Es gab viel Wut und Gejammere und es war für die Eltern nicht einfach, standhaft zu bleiben. Aber es hat sich gelohnt, wie der Sozialpädagoge berichtet: "Wir merken einfach, dass er insgesamt in vielerlei Hinsicht ausgeglichener ist. Dass es ihm auch leichter fällt, sich auf die Schule zu konzentrieren und dass eben nicht ganz so viel Geschichten über das Computerspielen kommen."

Computerspiele: Gaming beeinflusst Kreativität und körperliche Ausdauer

"Eines Teils werden dann natürlich bestimmte Fähigkeiten geschult, die man so nicht trainiert. Also gerade die Hand-Augen-Koordination wird besser. Man merkt allerdings, wenn die Kinder viel spielen, dass andere Fähigkeiten, wie Kreativität zum Beispiel oder körperliche Ausdauer weniger werden."

Tobias Müller Sozialpädagoge und Vater von Jakob

Video: Wie ein Computerspiel entsteht

Computerspiele: Warum Kinder gerne spielen

Nach der Schule eine Runde am Computer zocken? Der Wunsch danach ist normal. Videospiele sind beliebt, egal ob auf dem Handy, dem Tablet oder auf der Konsole. Es gibt für jeden Geschmack etwas: Außerirdische Welten erbauen, digital Fußball spielen, ins Mittelalter eintauchen. Übers Netz können die Spieler auch zusammen spielen und gemeinsam etwas aufbauen. Knapp die Hälfte aller Jugendlichen ab zwölf Jahren spielt mehrmals die Woche im digitalen Raum.

Das Bedürfnis zu spielen ist uns angeboren. Beim Spiel trainieren wir, egal ob jung oder alt, risikolos neue Verhaltensweisen, probieren uns aus, entdecken neue Welten und lernen dabei mit Spaß. "Spielen schafft Verhalten auf Vorrat, Variationsmöglichkeiten, legt den Grundstein für zukünftig richtiges Tun. Spiele machen uns optimistisch, wir lernen, mit Herausforderungen umzugehen, Probleme zu meistern," schreibt der Spielforscher Prof. Jens Junge. Und da ist es zunächst egal, ob wir Fußball, "Mensch ärgere dich nicht" oder ein Computerspiel spielen. Trotzdem sind digitale Spiele immer wieder in der Kritik. Denn anders als analoge Spiele können Computerspiele zu Spielsucht führen.

Gaming: Wie Computerspiele Spielende emotional binden

Die Spieleindustrie hat ein großes Interesse daran, dass ihre Kunden, egal ob jugendlich oder erwachsen, möglichst lange dabeibleiben. Dazu bauen sie in mehreren Schritten eine emotionale Bindung zum Spieler oder zur Spielerin auf.

Erfolgserlebnisse: Es gibt besonders am Anfang schnell viele Punkte oder Belohnungen wie neue virtuelle Klamotten oder besondere Fähigkeiten. Das hält die Motivation hoch und schafft ein Gefühl der Zufriedenheit.

Selbstwirksamkeit: Schnell die eigene Welt bauen? Bitte sehr! Ein paar Mausklicks und schon steht der Bauernhof oder die Weltraumbasis. Diese Möglichkeit, sich selbst als aktives, handelndes Wesen zu erleben, ist in der Realität viel schwieriger, langwieriger oder teurer. Denn selber ein Baumhaus zu bauen, dauert lang und ist mühsam, von einer Raumstation ganz zu schweigen.

Soziale Verantwortung: Funktionen wie Freundschaftsanfragen und Einladungen fördern die soziale Interaktion und verstärken das Gemeinschaftsgefühl.

Endlossysteme: Diese sorgen dafür, dass es immer etwas Neues zu entdecken oder zu erreichen gibt, was die Nutzer motiviert, weiterzuspielen.

Nach einiger Zeit entsteht der sogenannte Besitztums-Effekt: Spätestens nach ein paar Wochen im Spiel fällt es schwer, diese Welt zu verlassen oder gar zu löschen. Je mehr Geld und Zeit investiert wurden, umso stärker festigt sich auch die emotionale Bindung an die App oder das Spiel. Dies macht es mit der Zeit immer schwerer, die eigene Nutzung wieder einzuschränken. Deswegen gilt: Achtet daher von Beginn an auf eure eigene Mediennutzung und die eurer Kinder.

Video: Gaming - Zwischen Spaß und Sucht

Tipps für Eltern: Wie viel Spielzeit sollten Kinder für Computerspiele bekommen?

Wieviel Spiel- und Social Media-Zeit darf ich meinem Kind zugestehen? Dafür gibt es keine pauschalen Antworten, sagt die Medienpsychologin Dr. Silvana Weber. Eltern sollten sich mit folgenden Fragen beschäftigen: Was fällt alles unter "Spielzeit"? Auch die Zeit, die Kinder und Jugendliche mit sinnvollen Lernspielen verbringen? Was fällt unter Social Media-Zeit? Auch der Austausch mit Sportkameraden über das anstehende Fußballturnier? All diese Themen sollten mit den Kindern und Jugendlichen besprochen werden.
"Hier in den Dialog zu treten, mit einer positiven Haltung, wäre ein sehr hilfreicher Schritt, um gemeinsam für alle zu akzeptablen Regeln für die Mediennutzung zu gelangen", empfiehlt die Medienpsychologin und Systemische Beraterin Silvana Weber. Wenn Regeln gefunden worden sind, dann sollten diese auch verbindlich eingehalten werden.

Tipp 1: Spielt mit!
Durch das gemeinsame Erleben des Spiels könnt Ihr die Faszination eures Kindes nachvollziehen und eher erkennen, ob das Spiel geeignet ist. Zudem ändern sich plötzlich die Rollen: Euer Kind ist hier Experte und kann euch was erklären. Diesen Rollentausch empfinden Kinder meist als sehr ermutigend.

Gerade ältere Kinder und Teenager reizt an manchen Spielen die Möglichkeit, sich von den Vorlieben der Erwachsenen abzugrenzen. Ihr als Eltern solltet versuchen, eure pädagogische Einschätzung eines Spiels von eurem Geschmack zu trennen. Lasst eurem Nachwuchs seinen Spaß, solange die Inhalte altersgerecht sind. Das sollte auch bei den Spielen geklärt werden, die euer Kind bei Freunden spielt. Ein offenes Gespräch mit den Eltern der Freunde und auch in der Schule ist hilfreich. Hier könnt ihr die Altersempfehlungen der Spiele nachschauen.

Tipp 2: Andere Aktivitäten anbieten

Kinder und Jugendliche brauchen Kontakt zu Gleichaltrigen. Sportvereine, Naturschutzgruppen, die Pfadfinder und die Kirchen bieten gemeinsame Erlebnisse an. Die meisten Kinder brauchen einige Zeit, bis sie sich in einer neuen Gruppe wohlfühlen. Helft eurem Kind über die ersten Schwellen. Checkt die Eltern ab, die ihre Kinder bringen. Findet Ihr sie sympathisch? Wenn ja, sprecht sie an und nehmt Kontakt auf! Wenn Ihr die Eltern mögt, dann mögen sich sehr oft auch die Kinder. Kleiner Nebeneffekt: Vielleicht lassen sich ja auch Fahrgemeinschaften bilden.

Gemeinsame alters- und kindgerechte Spiele und Ausflüge im richtigen Leben sind meist viel spannender als Computerspiele. Noch schöner ist es, wenn auch ein Freund oder eine Freundin mitkommen darf! Dann sind die "doofen" Erwachsenen zwar nur noch Beiwerk, aber man hat etwas Gemeinsames erlebt und mehr Verständnis füreinander entwickelt.

Sozialverhalten: Wann euer Kind weniger Computerspiele spielen sollte

Jedes Kind ist unterschiedlich. Während die einen im Internet nur kurz die Lage checken und von allein aufhören, verlieren sich andere Kinder schnell im Netz und im digitalen Spiel. Hier gilt es, das Kind zu beobachten: Wie groß ist der Druck des Kindes, weiterzuspielen? Gibt es Tränen, Wut und Aggressionen, wenn die Spielzeit beendet ist? Findet das Kind andere Beschäftigungen doof? Gibt es Konzentrationsschwierigkeiten und nicht zuletzt: Werden die Noten schlechter? Das alles sind Hinweise darauf, dass ein Kind zu viel Zeit im Internet verbringt und Eltern die Spielzeiten einschränken sollten.
"Die erste Zeit, war schwer für Jakob, nachdem wir das Gaming eingeschränkt hatten," berichtet der Sozialpädagoge Tobias Müller über seinen zehnjährigen Sohn. Er habe geweint und geschimpft. "Aber für uns war das nur die Bestärkung, dass es wirklich notwendig war, die Computerzeiten zu reduzieren."

Gaming kann auch eine Flucht sein. Die schnellen Erfolge, die diese Spiele bieten, könnten ein Ersatz sein für schlechte Noten in der Schule oder auch fehlende positive Kontakte im richtigen Leben. Hier hilft wieder: Mit dem Kind reden, sich im Zweifel an die Lehrer wenden und frühzeitig externe Hilfe suchen.

Video: Wann macht Gaming abhängig?

Zu viel Gaming: Wie ihr Computerspielsucht erkennt

Kann Computerspielen süchtig machen? Ja, sagt die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Sie hat das exzessive Spielen von Videospielen (Gaming Disorder) als psychische Erkrankung anerkannt. Experten vermuten, dass die langsame Entstehung der Spielsucht im Belohnungszentrum des Gehirns stattfindet. Immer wieder erhalten die Nutzer und Nutzerinnen beim Spielen kleine Belohnungen: Hier geht eine Tür auf, dort wird eine Aufgabe gelöst. Dieser Erfolg bewirkt eine Freisetzung des Botenstoffs Dopamin, ein Glücksgefühl entsteht. Gleichzeitig konnten die Wissenschaftler in einer Studie zeigen, dass beim regelmäßigen Computerspielen der orbitofrontale Kortex kleiner wird. Das ist eine Region im Gehirn, die Emotionen und Impulse reguliert. Was bedeutet, dass die Fähigkeit abnimmt, sich selbst zu sagen, dass man besser aufhören sollte, weil andere wichtige Aufgaben wie zum Beispiel die Hausaufgaben anstehen.

Aber: Um tatsächlich von einer Sucht zu sprechen, müssen laut WHO viele Kriterien über die Dauer von einem ganzen Jahr erfüllt sein. Nach dieser Definition liegt eine Computerspielsucht vor:

  • wenn Gamerinnen und Gamer andere Interessen wie Freunde oder Sport und tägliche Aktivitäten hinter dem Spielen zurückstellen,
  • sie eigentlich das Spielen reduzieren wollen, aber es nicht mehr können und
  • wenn sie das exzessive Spielen fortsetzen, obwohl negative Konsequenzen drohen, wie zum Beispiel schlechte Noten bis zum Verlust des Ausbildungs- oder Arbeitsplatzes.

Audio: Warum Eltern Kinder beim Computerspielen begleiten sollten

Kinder und Computerspiele: Bei welchen Zeichen Eltern einschreiten sollten

Computerspielsucht: Hier findet ihr Infos und Beratungsstellen

Medienabhängigkeit ist vermeidbar und therapiebar. Hier haben wir eine kleine Auswahl an Beratungs- und Präventionsstellen zusammengestellt. Sie arbeiten bereits seit mehreren Jahren erfolgreich und helfen euch gern weiter:

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