Sozialverhalten stärken So lernen Kinder Selbstbewusstsein und Empathie
Kinder, die gut mit anderen zurechtkommen, haben später bessere Chancen auf ein erfülltes und erfolgreiches Leben. Wie lässt sich gutes Sozialverhalten üben? Und was können Eltern tun, um es zu stärken?
Definition: Was ist soziale Kompetenz?
Gutes Sozialverhalten setzt zwei Dinge voraus: Dass man in der Lage ist, die eigenen Bedürfnisse zu erkennen und zu benennen. Und gleichzeitig die der anderen im Blick behält, also wahrnimmt: Wie geht es den Menschen in meinem Umfeld? Wie ist die Stimmung? Was ist das Bedürfnis meines Gegenübers? Kinder, die beides können, sich selbst wahrnehmen und gleichzeitig empathisch auf andere zugehen, tun sich grundsätzlich leichter in der Gruppe. Sie finden in der Regel schnell Freunde, können sich, wenn notwendig, besser von anderen abgrenzen, sie geraten seltener in Streitereien und erleben dadurch auch weniger Stress.
Sowohl die Fähigkeit, sich selbst wahrzunehmen, als auch die der Empathie sind prinzipiell in jedem Menschen angelegt. Doch wie sich diese Fähigkeiten im Laufe der Zeit entwickeln, ob sie verkümmern oder wachsen, das hängt stark mit der Umgebung zusammen.
Empathie bei Kindern: Warum Eltern diese Fähigkeit fördern sollten
Sozialverhalten lernen: Die ersten drei Jahre in der Familie sind prägend
Wie gut ein Kind in der Gruppe zurechtkommt, hängt von vielen Faktoren ab. "Wie viel von den eigenen Genen abhängt, wie viel erworben ist, darüber streitet sich die Wissenschaft schon lange", erklärt Familientherapeut Ulrich Wiltschko. "Natürlich ist es eine Mischung von allem."
Die kindliche Prägung beginne schon im Mutterleib, gerade die letzten drei Monate in der Schwangerschaft sind da enorm wichtig. In dieser Phase kann ein Säugling sehr wohl wahrnehmen, ob es ständig Stress und Streit in der Familie gibt. Oder ob grundsätzlich ein harmonischer Umgang miteinander gepflegt wird.
Auch die ersten drei Jahre in der Familie sind ausschlaggebend. "In einer intakten, liebevollen Familie bekommt das Kind idealerweise ein gutes Selbstwertgefühl, also das Gefühl, in Ordnung zu sein, in Sicherheit geborgen," sagt Ulrich Wiltschko. "Dann entsteht Vertrauen in sich und in die anderen." Und wer Vertrauen in sich hat, kann grundsätzlich entspannter auf andere zugehen. Wer in sich gefestigt ist, läuft weniger Gefahr, unter Druck zu geraten oder gar gemobbt zu werden.
Sozialverhalten im Kindergarten: Warum der Umgang mit Gleichaltrigen so wichtig ist
Im Kindergarten lernen Kinder beim Morgenkreis die eigenen Gefühle zu erkennen und zu benennen.
Den empathischen Umgang mit anderen lernen Kinder zunächst von den Eltern und Geschwistern. Ab einem Alter von drei Jahren ist das Zusammensein mit Gleichaltrigen mindestens genauso wichtig, erklärt Familientherapeut Ulrich Wiltschko. Deswegen ist die Zeit im Kindergarten so entscheidend. Denn hier lernen Kinder, sich in der Gruppe zurechtzufinden, Kontakte zu knüpfen, eigene Interessen durchzusetzen und mit Konflikten und Enttäuschungen umzugehen. Im Kindergarten lernen die Kinder wichtige Fertigkeiten im Umgang miteinander.
Ein wichtiges Element ist dabei der Stuhlkreis. Hier lernen Kinder, über sich zu sprechen, wie es ihnen gerade geht, was sie empfinden. Und die anderen Kinder kriegen das dann mit: "Sie merken: Ah, dieses Kind ist gerade traurig! Oder, dieses Kind ist gerade wütend", erklärt Ulrich Wiltschko. Dadurch entwickeln die Kinder gleichzeitig Selbstbewusstsein als auch Empathie. Beides wichtig für ein gutes Sozialverhalten.
Beim Spielen mit Gleichaltrigen lernen sie dann, Regeln auszuhandeln und sich daran zu halten. Sie lernen mit Frustrationen und Enttäuschungen umzugehen, wenn mal jemand nicht so mag, wie sie es gerne hätten. "Sie müssen sich behaupten und trotzdem schauen, dass sie Teil der Gruppe bleiben", erklärt Ulrich Wiltschko. All diese Fähigkeiten helfen den Kindern später in der Schule ihren Platz in der Gruppe zu finden. Beim Kindergarten gibt es allerdings noch mehr Freiräume, um sich darin zu üben, mehr Zeit für freies Spiel. In der Schule nimmt der Druck zu. Da sind viel mehr Kinder an einem Ort, größere Gruppen. Hinzu kommen Leistungsdruck und ein stärkerer Wettbewerb untereinander. "Da ist es gut, wenn Kinder schon in sich gefestigter sind, wenn sie wissen, wie sie mit anderen in Kontakt treten oder sich abgrenzen können", erklärt Ulrich Wiltschko.
Einstieg in den Kindergarten: Das hilft Kindern in der Eingewöhnungsphase
Eltern können ihren Kindern bei der Eingewöhnungsphase im Kindergarten helfen. "Wie das Kind in die Gruppe kommt, ist entscheidend", erklärt Familientherapeut Ulrich Wiltschko. Eltern und Erzieher könnten da viel tun, damit der Einstieg in den Kindergarten gut läuft. Beispielsweise, indem die Gruppe vorher darauf vorbereitet wird, dass ein neues Kind kommt. Hilfreich ist ein Begrüßungsritual am ersten Tag. Dann ist es wichtig zu beobachten, wie reagiert die Gruppe auf den oder die Neue? Rennen alle gleichzeitig darauf zu? Muss es sich zurückziehen? Oder ist es selbst zu fordernd?
"Es gibt Kinder, die stürzen sofort auf jemanden zu, wollen sofort einen Freund haben", erklärt Ulrich Wiltschko. "Dann muss es lernen, dass es auch anders geht." Eltern könnten viel dazu beitragen, gerade am Anfang, wenn sie in der Gewöhnungsphase dabei sind. "Da können sie sagen: Du, wie du auf dieses Mädchen oder diesen Jungen zugegangen bist, hast du gemerkt? Er hat sich ein bisschen gefürchtet, hat sich zurückgezogen, hast du gesehen? Der hätte gerne Kontakt gehabt."
Selbstbewusstsein stärken: Viel hängt vom Feedback der Eltern ab
Tipps für Eltern: Wie kann ich das Sozialverhalten meines Kindes verbessern?
Kindern tut es gut, wenn sie mal alleine losziehen dürfen, wie diese Kinder beim Angeln, ohne Eltern, die sich dauernd einmischen.
Hilfreich ist, dass ihr regelmäßig "signifikante Zeit" mit euren Kindern verbringt. Manchmal reicht auch eine halbe Stunde. Wichtig ist, dass ihr während dieser Zeit nicht mit anderen Dingen abgelenkt seid, dass ihr euch Zeit nehmt, eurem Kind zuhört, es wahrnehmt, dass es sich gesehen und ernst genommen fühlt.
Wenn möglich die Kinder selbst nach Lösungen für Konflikte suchen lassen. Das stärkt ihr Gefühl der Selbstwirksamkeit.
Dafür sorgen, dass die Kinder ein gutes Körpergefühl entwickeln. Zum Beispiel, in dem ihr mit euren Kindern kuschelt und schmust, so oft sie das möchten. Ebenso wichtig ist es, Kinder ihre eigenen Erfahrungen machen zu lassen. Also: Nicht immer nachhelfen, wenn ein Einjähriger versucht, aufs Sofa zu klettern. Oder, wenn ein Kind auf einen Baum steigen will, es nicht gleich verbieten. Hilfreich ist es auch, mit Kindern über ihre eigene Körperwahrnehmung zu sprechen und sie zu respektieren: Wenn sie hinfallen, sich wehtun und weinen, sollten Eltern nicht versuchen, ihnen den Schmerz auszureden. Gleiches gilt am Tisch: Wenn ein Kind sagt, es sei satt, sollten die Eltern es nicht dazu zwingen, den Teller aufzuessen, denn damit stören sie dessen Eigenwahrnehmung. Wenn das häufig vorkommt, traut das Kind irgendwann den eigenen Gefühlen nicht mehr und ist verunsichert. Das drückt sich auch körperlich aus. Kinder, die sich dagegen wohl in ihrem Körper fühlen und das auch ausstrahlen, haben einen guten Stand in der Gruppe.
Den Kindern beibringen, wie man unangenehme Gefühle aushält: Wenn ein Kind enttäuscht, wütend oder traurig ist, dies nicht gleich herunterspielen in der Art: "Ist doch nicht so schlimm!" Sondern Verständnis zeigen. Und zeigen: Dieses Gefühl geht vorbei.
Kinder, die in der Gruppe beliebt sind, haben häufig ein gutes Benehmen. Das heißt: Sie wissen, wie man grüßt, sich verabschiedet, sagen "Bitte" und "Danke", können mit Messer und Gabel umgehen und kennen die wichtigsten Regeln bei Tisch.
Vorbild sein: Indem ihr euch für andere engagiert, beispielsweise in der Nachbarschaft. Und dabei eure Kinder miteinbezieht.
Auch das ist Sozialkompetenz: Gut mit Wut und Enttäuschung umgehen zu können
"Eltern stärken das Selbstwertgefühl ihres Kindes am besten, wenn sie ihm sagen, wie sehr sie es schätzen und dass es bestimmt neue, gute Freunde finden und mit ihnen Spaß haben wird. Ob man glücklich ist, hängt von einem selbst und den eigenen Versuchen ab, nicht davon, ob ein anderer mein Freund sein will oder nicht. Die Schlüssel für ein gutes Leben findet man immer wieder. Nach Enttäuschung und Trauer kehren Freude und Glück mit der Zeit zurück, auch wenn das im Moment der Enttäuschung schwer vorstellbar ist. Auch unerträgliche Gefühle gehen vorbei. Das zu lernen ist wichtig."
Raisa Cacciatore und Erja Korteniem-Poikela, Autorinnen
Quellen und Sendungen: Mehr zum Sozialverhalten bei Kindern
- "7 Tipps for Raising Caring Kids" - Making Caring Common Projekt, Harvard Graduate School of Education
- Raisa Cacciatore und Erja Korteniem-Poikela: „Starke Kinder haben starke Gefühle“. Knaur Verlag, 2020
- Natasha Daniels: "Gut mit anderen auskommen. 50 unterhaltsame Übungen, um soziale Kompetenzen zu erlernen und Freunde zu finden". Yes Publishing, 2024
- "Wie Eltern mit großen Kindergefühlen umgehen können": Nah dran, Bayern 2, 20.09.2024, 10.10 Uhr
- "Emotionen lernen - Wie man den Umgang mit Gefühlen trainieren kann": Das Wissen, Podcast, SWR Kultur, 10.02.2024
- "Mut tut gut - Wie Eltern ihren Kindern den Rücken stärken": Notizbuch, Bayern 2, 11.03.2024, 10.05 Uhr
- "Schwimmen, Streiten, Lesen - Welche Kompetenzen brauchen Kinder?": Dienstags direkt, MDR Sachsen, 29.08.2023
- "Werte leben – Erziehung in der Schule", Campus Reportage, Bayerisches Fernsehen, 15.05.2020, 10.30 Uhr
- "Ich möchte fühlen, was Du fühlst - Empathie bei Kindern": Campus Reportage, Bayerisches Fernsehen, 18.06.2018, 10.30 Uhr