Andere mediale Texte Filmische Gestaltung eines Comics
"Die Comics von Hermann galten in den 70er Jahren als vorbildlich für ihre filmische Gestaltung."
(Burkhard Ihme: Montage im Comic. Spezifische Nutzung eines Erzählmittels, in: Dietrich Grünewald (Hrsg.): Struktur und Geschichte des Comics, Bochum 2010, S. 69)
Erläuterung der Aufgabe
Auf der visuellen Ebene haben Comic und Film auffällige Gemeinsamkeiten. Genauso wie der Kameramann muss sich auch der Comiczeichner genau überlegen, welchen Bildausschnitt er wählt und aus welcher Perspektive er was wie groß zeigen möchte. Spannend ist auch zu untersuchen, in welcher Abfolge welche Panels (so nennt man die Einzelbilder im Comic) mit welcher Einstellung und Perspektive montiert werden. Dies gilt es im Folgenden zu erläutern.
Hermanns (gemeint ist der unter seinem Vornamen publizierende belgische Comiczeichner Hermann Huppen) Comic weist in vielen Aspekten eine typisch filmische Gestaltung auf. Das erste Panel zeigt den Helden Red Dust auf seinem Pferd. Wir sehen ihn in einer Halbtotalen, in der wir den Protagonisten vollständig samt einem wesentlichen Ausschnitt des Hintergrunds erkennen können. Genauso wie der Cowboy können auch wir Leser uns mit Hilfe dieses Panels orientieren, das Bild gleicht einem Establishing Shot im Film (= der Orientierung dienende, einführende Aufnahme am Anfang des Films). Durch die Aufsicht sehen wir das Geschehen von einem erhöhten Standpunkt aus, was es uns ermöglicht, sowohl den Cowboy zu sehen als auch dessen Blickachse nachvollziehen zu können.
Zwischen dem ersten und zweiten Panel scheint einige Zeit vergangen zu sein, da er mittlerweile das zuvor erblickte Gasthaus erreicht hat. In diesem und dem folgenden Panel sehen wir Red Dust auf seinem Pferd von hinten erneut in der Halbtotalen. Die leichte Untersicht lässt die Situation und den Helden hier und in den nächsten drei Bildern angespannt wirken.
Diese Anspannung zeigt sich besonders im vierten, fünften und sechsten Panel: Hermann wählt in diesen Bildern durchweg große Einstellungen, die uns nah am Geschehen sein lassen. Zuerst sehen wir in einer Detaileinstellung die Hand des misstrauischen und zugleich wachsamen Cowboys, die nach dem Colt greift. Im fünften und sechsten Panel erlaubt uns die Groß- und die Detaileinstellung einen Blick auf die Mimik des Helden, der kritisch prüfend durch das Fenster in den Gastraum sieht.
Waren die ersten vier Panels eher wenig ausgeleuchtet (vergleichbar mit dem Low key im Film), um die Dunkelheit der Nacht widerzuspiegeln, erhellt nun das Barlicht das Gesicht des Protagonisten. Interessant ist, dass sich die imaginäre Kamera hier ungefähr auf Augenhöhe des Helden befindet. Zusammen mit der Fokussierung der Augen des Cowboys wird beim Leser die Erwartung geweckt, dass das nächste Panel eben das zeigt, worauf Red Dusts Blick im vorhergehenden Panel gerichtet war. Entsprechend stimmig ist die Perspektive, Größe und Distanz der abschließenden Totalen gewählt: So wie wir das Gästehaus sehen, sieht es auch der Held. Im Film nennt man diesen Kontinuität herstellenden Effekt passenderweise "Eyeline Matching".