Schulfernsehen


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ars poetica Christian Friedrich Delius – ein Stilporträt

Er ist der poetische Chronist deutscher Zustände, Neurosen und Befindlichkeiten. Einer, der das Politische und Gesellschaftliche im Privaten aufscheinen lässt. Wo C. F. Delius drauf steht, stecken Experimentierfreude, Klanglust und Sprachschönheit drin.

Von: Simon Demmelhuber & Volker Eklkofer, ein Film von Birgit Traublinger

Stand: 10.01.2013

Christian Friedrich Delius | Bild: BR

Christian Friedrich Delius macht es sich und seinen Lesern nicht leicht. Eigentlich ist jedes seiner Bücher ein Kraftakt, der thematisch und literarisch gewichtige Brocken stemmt, dabei die gesamte Bandbreite literarischer Gattungen und Ausdrucksmöglichkeiten ausprobiert und manchmal bis zum Zerreißen dehnt, bis dorthin, wo sich hinter dem Gewohnten neue, überraschende Leseabenteuer öffnen.

Literatur als Dauerexperiment

Für den raschen Konsum, den kleinen Lesehunger zwischendurch, für die entspannte Flucht aus dem Alltag und das müßige Schmökern sind diese Bücher nicht gemacht. Sie strengen an, sie fordern, bisweilen quälen sie sogar. Aber genau dadurch gewinnen sie Substanz und ihren eigenen, eigentlichen Wert. Genau dadurch sind sie Literatur im Unterschied zu Gebrauchstexten aller Art: Weil es eben nicht nur auf das „Was“, sondern auch und vor allem auf das „Wie“ ankommt. Literatur, wie sie Delius schreibt, ist mehr, weit mehr, als bloße Informationsvermittlung, Debattenanstoß oder bloße Unterhaltungskost. Sie ist Dauerexperiment mit offenem Ausgang, ein zeit- und gattungsübergreifendes Gespräch über die Frage, wie die Welt und das Leben in ihr durch Sprache abzubilden und in Sprache zu verwandeln sei.

Von der Sprache her denken

Delius hat sich dieser Frage mit wandlungsfähigen Mitteln, in unterschiedlichster Gestalt, aus wechselnden Blickwinkeln, und mit vielfältigen Zielsetzungen gestellt. Auf der Suche nach Antworten hat er Gedichte geschrieben, Opernlibretti, Dokumentarsatiren, politische und biografische Romane, Erzählungen, Novellen, Essays verfasst. Getrieben von der eigenen Neugier hat sich der bekennende Literomane dabei durch Notizwälder, Materialhalden und Dokumentenberge gewühlt, ohne je das letzte Ziel hinter seiner Arbeit an der Wirklichkeit aus den Augen zu verlieren: "Ich denke stets von der Sprache her", bündelt Delius sein zentrales Anliegen. "Es gibt nur ein einziges Kriterium für Literatur: Gut gebaute Sätze."

Die Wirklichkeit im Blick

Aller Sprachlust und Sprachversessenheit zum Trotz ist Delius dennoch nie im rein Privaten, im nur Poetischen, nie im nabelbohrenden Beschnuppern ausschließlich der eigenen Befindlichkeit versackt. Seine literarischen Erkundungen gehen stets über das bloß Individuelle hinaus. Sie verbinden das Persönliche mit der politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Wirklichkeit unserer deutschen Gegenwart. Und sie tun es für gewöhnlich dort, wo es weh und das genaue, unbequeme, analytische Hinschauen daher desto mehr Not tut: Im Sumpf von Ausländerhass, Nazi-Erbe, Antisemitismus und RAF-Terror, im Brackwasserbecken von Preußen-Nostalgie, Korruption und marktliberaler Gewinnvergötzung, im „Kleine Leute“-Elend von Arbeitslosigkeit, Selbstaufgabe und sozialer Isolation.

Zeitgenossenschaft als Auftrag und Antrieb

"Es gibt für mich nichts Spannenderes als unsere Gegenwart", sagt Delius. "Und ich versuche, möglichst viel davon mit meinen bescheidenen Mitteln zu erfassen." Das ist ihm gelungen, von Mal zu Mal überzeugender und so sehr, dass ein Kritiker beim Erscheinen eines neuen Buchs von Delius unlängst jubelte: "Teufel, er wird immer besser!"


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