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ars poetica Martin Walser – Ein Stilporträt

Seit mehr als 50 Jahren ist Martin Walser einer der sprachmächtigsten deutschen Gegenwartsautoren. Keiner versteht es wie er, zeitgenössische Befindlichkeiten mit einfühlsamer Ironie diskret und gnadenlos darzustellen.

Von: Simon Demmelhuber & Volker Eklkofer, ein Film von Angelika Kellhammer

Stand: 07.10.2012

Martin Walser  | Bild: BR

Der Erzähler, Essayist und Dramatiker Martin Walser zählt zu den bedeutendsten und prägenden Autoren der deutschen Nachkriegsliteratur. In mehr als fünfzig Jahren begleitete er mit nahezu 150 Veröffentlichungen die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland. Seine Bücher weisen ihn als sprachlich virtuosen, unbestechlichen Chronisten menschlicher Unzulänglichkeiten, als "Epiker der bundesdeutschen Wohlstandsgesellschaft" und Meister der fortgesetzten literarischen Selbsterkundung aus, die das Private stets ins Allgemeingültige zu heben versteht.

Daseinsschmerz als Schreibanlass

Alle seine Romane, sagte Walser in einem Interview, seien Ausfluss einer existenziellen Mangelerfahrung und ein "Ausdruck der Schwierigkeit, Selbstbewusstsein zu erringen und zu bewahren". Seine besondere Stärke ist in den Augen vieler Kritiker die Kunst, "mit einfühlsamer Ironie und satirischem Blick Intimitäten so diskret wie gnadenlos" darzustellen zu können.

Engagierte Zeitgenossenschaft

Walsers engagierte, in zahlreichen Reden und Aufsätzen oftmals provokant zugespitzte Zeitgenossenschaft hat immer wieder heftige Kontroversen und massive Anfeindungen ausgelöst. Seine 1988 formulierte Klage über die deutsche Teilung als nicht hinnehmbares Übel brachte das linke Meinungsspektrum gegen ihn auf. Zehn Jahre später brachte ihn die Warnung vor der "Instrumentalisierung des Holocaust als Moralkeule" und "ritualisierten Gedenkübungen" in den Geruch einer revanchistischen, latent antisemitischen Gesinnung. Der 2002 veröffentlichte Roman "Tod eines Kritikers" schien diesen von Walser selbst vehement bestrittenen Vorwurf schließlich erneut zu stärken. 2007 und 2008 sorgten die Verteidigung der Bestechungspraktiken beim Siemens-Konzern sowie die Verteidigung des wegen Steuerhinterziehung angeklagten ehemaligen Postmanagers Zumwinkel erneut für einen öffentlichen Aufschrei.

Ein bleibendes Werk

Allen Missverständnissen, Fehden und Verrissen zum Trotz hat Martin Walser ein Werk geschaffen, das ohne Zweifel zum dauernden Erbe der deutschen Literatur nach 1950 zählt. Über seine Novelle "Ein fliehendes Pferd" sagte Marcel Reich-Ranicki: "… diese Geschichte könnte zu dem gehören, das einmal übrig bleibt von einem Jahrhundert."

Das Stilportrait entwickelt am Leitfaden des 1998 erschienenen Romans "Ein springender Brunnen" zugleich mit den biografischen Linien seines Lebens die Grundzüge der Walserschen Poetik. Der Film geht zudem auf Walsers bittere Abrechnung mit den Mechanismen des Kulturbetriebs ein und skizziert seine Schreib- und Erinnerungsrituale sowie sein spezifisches Verfahren der Verschränkung von privatester Gefühlserkundung und literarischem Rollenspiel.

Informationen zur Sendereihe

Die Reihe ars poetica ist eine Kooperation zwischen ARD-alpha und der Universität Regensburg. Jede Folge ist einem bedeutenden Autor oder einer Autorin der deutschen Gegenwartsliteratur gewidmet, die sich in ihrem privaten Umfeld beim Schreiben über die Schulter schauen lassen.

Im Zentrum der jeweils halbstündigen Annäherungen mit Kamera und Mikrofon stehen neben biografischen Elementen und einer knappen Werküberblick vor allem die stilistischen Eigenheiten und narrativen Strategien des portraitierten Schriftstellers. Interviews, ausgewählte Textpassagen und exemplarische Interpretationen skizzieren die Arbeitsweise des Autors. Dabei versuchen die Beiträge stets, auf wesentliche Fragen der literarischen Produktion zu antworten:

  • Wie ist der Schreibprozess organisiert, wodurch wird er angestoßen, was fördert, was hemmt ihn?
  • Wie wichtig ist der erste Satz eines Romans?
  • Was tun bei Schreibblockaden?
  • Wie sind Leben und Werk, wie sind Dichtung und Realität verzahnt?
  • Was macht den individuellen Schreibstil aus, wodurch und warum entsteht der unverwechselbare Ton eines Autors?

So führt die Sendereihe letztlich nicht nur an das Werk und die Persönlichkeit eines einzelnen Schriftstellers heran. Sie eignet sich darüber hinaus als Annäherung an das, was Literatur, was die ars poetica eigentlich ist: Die künstlerische Auseinandersetzung mit Sprache und den immer wieder veränderten, immer wieder neu definierten und neu gewagten Möglichkeiten des Erzählens.


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