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Nacktmull - faszinierend für die Wissenschaft Der nackte Nager mit den unglaublichen Eigenschaften

Der Nacktmull ist splitterfasernackt und wirkt vielleicht hässlich. Dafür ist er mit Fähigkeiten ausgestattet, die ihn von allen anderen Säugetieren abheben. Forscher staunen über seine Widerstandsfähigkeit gegen Krebs und seine hohe Lebenserwartung.

Von: Bernhard Kastner

Stand: 10.03.2023

Nacktmull auf Chillis  | Bild: picture alliance / dpa | Thomas Park

Ein Nacktmull ist bis zu 15 Zentimeter lang und bis zu 50 Gramm schwer. Sein rosig-faltiger, langgestreckter Körper auf kurzen Beinchen endet am Hinterteil in einen mittellangen Schwanz. Sein eher oval-rundlicher Kopf hat winzige Augen, kaum sichtbare Ohren und furchterregend schräg nach vorne vorstehende Zähne, die ständig nachwachsen. Das Nagetier ist ein Verwandter von Hamster und Meerschweinchen und vom Stachelschwein.

Gesund Altern wie ein Nacktmull

Warum ist dieses hässliche Tier für die Wissenschaft so interessant? Zum Beispiel, weil Nacktmulle über 30 Jahre alt werden. Thomas B. Hildebrandt vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin studiert die Tiere seit 1995 und vergleicht sie mit anderen Nagern: Eine Maus oder Ratte wird ungefähr drei Jahre alt, ein Meerschweinchen bis zu zehn.

Nacktmulle leben nur unterirdisch.

Und: Nacktmulle erkranken nie an Krebs - eine Erkrankung, für die Ratten, Mäuse oder Meerschweinchen extrem anfällig sind. Daher versuchen die Forscher herauszufinden, wie die Nacktmulle dieses hohe Alter gesund erreichen, um daraus eventuell Rückschlüsse auf das menschliche Altern, auf Krankheiten und unsere alternde Gesellschaft zu ziehen.

"Wir leiden an Diabetes, an Rückenschmerzen, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen und der Nacktmull scheint all diese Probleme nicht zu haben. Man sagt natürlich, wer möchte schon so alt werden, wenn man so aussehen muss, wie so ein Nacktmull."

Thomas B. Hildebrandt vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung

Nacktmulle sind organisiert wie Bienen oder Ameisen

15 Zentimeter spannende Nacktheit: der Nacktmull

Das Berliner Institut erforscht einige Hundert Nacktmulle in einem eigens eingerichteten, durchsichtigen Plastikröhrensystem im wohltemperierten Keller. Hier tummeln sich die Tiere in weitverzweigten tunnelartigen Behausungen auf unterschiedlichen Ebenen, die in größere runde Plexiglasbecken münden, mit einer Kinderstube, Schlaf- und Lagerräumen und einer Toilette. Wie die Forscher beobachten konnten, ist das Leben der Tiere straff in einer Art "Hofstaat" organisiert, ähnlich wie bei den Bienen oder Ameisen: Das Säugetier lebt in Gemeinschaften mit einer Königin, die ein dominantes Männchen, einen Pascha an ihrer Seite hat und einen Staat von Arbeiterinnen und Arbeitern anführt. Im Jahr 1980 wurde entdeckt, dass der Nacktmull die einzige sogenannte eusoziale Säugetierart ist.

"Es gibt eine Königin und es gibt einen Pascha, und alle anderen sind nicht fruchtbar und müssen dieser Königin helfen beim Kinderkriegen und beim Regieren."

Thomas Hildebrandt, Nacktmull-Forscher am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung

Nacktmull-Nachwuchs bis ins hohe Alter

Die Königin einer Nacktmull-Kolonie kann bis ins hohe Alter Nachwuchs bekommen.

Weibliche Nacktmulle haben laut einer Studie, veröffentlicht im Fachjournal "Nature Communications", allen anderen weiblichen Säugetieren etwas voraus. Sie sind zum einen von Anfang an mit deutlich mehr Eizellen ausgestattet. Im Vergleich mit gleichalten weiblichen Mäusen besitzen sie 95 Prozent mehr Eizellen, obwohl die Eierstöcke der beiden Tiere eine vergleichbare Größe haben. Die Eizellen sterben zudem in deutlich geringeren Raten ab. Außerdem sind weibliche Nacktmulle laut den Erkenntnissen der Studie in der Lage, ihr ganzes Leben lang Eizellen zu produzieren. Bei allen anderen weiblichen Säugetieren geht man bisher davon aus, dass sie mit einer endlichen Zahl an Eizellen ausgestattet sind, ohne dass weitere dazukommen können.

Brutaler Kampf um den Nacktmull-Thron

Nacktmulle leben unterirdisch in weitverzweigten Höhlensystemen.

Die Nacktmull-Königin kann so im Laufe ihres langen Lebens bis zu 1.100 Nachkommen gebären. Geht alles gut und hat sie ihre Untertanen nebst Pascha fest im Griff, kann sie über einige Jahre hinweg einen Staat von bis zu 300 Individuen anführen. Solch eine Königin kann potenziell jedes weibliche Tier werden. Weibchen sind, wie Reinhardt es erklärt, sozusagen in einem inaktiven Zustand, der jederzeit im Laufe ihres Lebens aktiviert werden kann, wenn die bis dahin regierende Königin stirbt oder abgesetzt wird. Doch der Weg zur Spitze des Nacktmull-Staates ist grausam.

"Dann muss diese Königin - oder potenzielle Königin - relativ viele Artgenossen umbringen. Es kommt zu erheblichen Todesfällen bei dieser Palastrevolution. Das ist ein Phänomen, was man so auch nicht aus dem Säugertierbereich kennt, es ist also sehr, sehr blutig."

Thomas Hildebrandt, Nacktmull-Forscher am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung

Hat sie den Kampf gewonnen, ist dies nur ein erster Schritt auf dem Weg zum Nacktmull-Thron. Um die anderen Aspirantinnen auszustechen, verändert sie sich auch morphologisch: Hat sie sich durchgesetzt, ist auch ihr Körperbau ein anderer, wie Hildebrandt erklärt.

"Das fängt damit an, dass sie länger wird, sie wächst plötzlich wieder, wir nennen das das 'Schulbus-System', weil eine Königin, die die Babys der gesamten Kolonie kriegen muss, kann natürlich nicht unendlich dick werden in einem Tunnelsystem. Sondern sie wird lang wie ein Schulbus, um die Babys entsprechend anzuordnen."

Thomas Hildebrandt, Nacktmull-Forscher am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung

Königin, Soldat, Bruthelfer - der Nacktmull-Staat

Ihr unterirdisches Tunnelsystem legen die Nacktmulle mit den Zähnen an.

Die Königin wird, was Wissenschaftler bisher nicht erklären können, heller und ist schon an der Hautfarbe zu erkennen. Sie bekommt ein Gesäuge, das vorher nicht sichtbar war. An den Geschlechtsorganen gibt es nun einen markanten roten Strich, der den Königinnenstatus erkennen lässt. Und dann führt sie den Nacktmull-Staat an, der extrem spezialisiert ist. So gibt es unter anderem sozusagen Soldaten, Bruthelfer, Rohrreiniger, eine Baukolonne und auch Wärmekissen.

Ostafrika - Heimat der Nacktmulle

Nacktmulle stammen aus Ostafrika, wo sie ein gleichmäßig warmes, gemäßigtes Klima vorfinden. Als Nager leben sie von Gräsern, Samen und Pflanzenknollen. Ihren Durst stillen sie durch die Flüssigkeit aus ihrer Nahrung.

Nacktmull als Wärmekissen

Sie sind gleichwarme Tiere, die aber auch überraschende wechselwarme Fähigkeiten haben. Ihr Körper passt sich regelmäßig an die Außentemperatur an. Gerade wenn die unter 28 Grad fällt, nutzen die Nacktmulle bestimmte Verhaltensweisen, damit es ihnen nicht zu kalt wird.

"Wenn die Kolonie zusammenliegt und merkt, dass ihr jetzt kalt wird, dann wird einer der schwächeren Individuen unsanft aus der Nesthöhle gejagt, der rennt drei Runden und kommt als Wärmekissen zurück. Und dann wärmt sich damit die Kolonie wieder auf."

Thomas Hildebrandt, Nacktmull-Forscher am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung

Nacktmull-Soldat gegen Feinde

Nacktmulle leben in weit verzweigten Tunnelsystemen unter der Erde, die sie übrigens mit ihren Zähnen graben oder ausheben - nicht mit ihren Beinen. Und auch dort begegnen ihnen natürliche Feinde wie Schlangen, die in ihren Bau eindringen. In solch einem Fall, kommt dann der Nacktmull-Soldat zum Einsatz.

"Das sind sehr, sehr kräftige Tiere, die teilweise vom Gewicht die Königin überragen können - wenn sie nicht gerade trächtig ist - und diese Tiere stellen sich dem Eindringling in sehr selbstbewusster Weise entgegen und die anderen buddeln den Gang hinter ihm zu. Das heißt also, er ist auf jeden Fall Todeskandidat."

Thomas Hildebrandt, Nacktmull-Forscher am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung

Nacktmulle - einzigartig unter den Säugetieren

Dabei nehmen die Nager dann auch in Kauf, dass der Sauerstoff für sie erst einmal knapp wird. Aber auch in dieser Beziehung besitzen die Nacktmulle eine außergewöhnliche Fähigkeit: Sie können bis zu 18 Minuten ohne Sauerstoff auskommen. Sie verringern dazu ihren Herzschlag und stellen schnell ihren Stoffwechsel um - ebenfalls eine einmalige Fähigkeit unter den Säugetieren.


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