Kaufsucht Wenn Shoppen krank macht

Von: Sylvaine von Liebe

Stand: 11.11.2024

Kennt ihr das: Ihr kauft viel mehr als ihr braucht? Das ist ziemlich normal - meistens. Doch ab wann wird Kaufen krankhaft? Erfahrt mehr über Symptome und Ursachen von Kaufsucht, wer besonders betroffen ist und wie ihr aus dem Kaufzwang wieder rauskommt.

Junge Frau mit vielen Einkaufstüten in der Hand. Ihr kauft viel mehr als ihr braucht. Doch seid ihr kaufsüchtig? Erfahrt, wie ihr Symptome von Kaufsucht erkennen und die Erkrankung überwinden könnt.  | Bild: picture alliance  Zoonar  NICK FILIPPOV

Anzeichen: Was sind die Symptome einer Kaufsucht?

Wer kaufsüchtig ist, kauft, obwohl er eigentlich nicht will. Kontrollverlust nennen Psychologen das. Zwei weitere zentrale Kriterien für eine Kaufsucht sind die gedankliche Vereinnahmung, also das stete Kreisen der Gedanken um das Einkaufen, sowie der finanzielle und soziale oft nicht unerhebliche Schaden durch die Kaufsucht.

Im Unterschied zum normalen Kaufverhalten tätigen Kaufsüchtige meist sogenannte Konsumkäufe. Sie kaufen Dinge spontan, ungeplant, unüberlegt, impulsiv. Das ist auch körperlich messbar: Allein die Vorstellung, ich werde kaufen, führe bei ihnen zu einer hohen Dopaminausschüttung, sagt Renanto Poespodihardjo, leitender Psychologe am Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel. "Das ist dann die biologische Grundlage der Sucht." Dopamin, ein Neurotransmitter, erzeugt bei uns ein Glücksgefühl. Bei kaufsüchtigen Menschen sei dieses "System" besonders aktiv und reagiere sehr "intensiv auf die Einkäufe", sagt auch Jan Michael Rasimus, Experte für digitales Marketing an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) in Karlsruhe. "Dadurch entsteht der starke Drang, eben dieses positive Gefühl immer und immer wieder durch neue Käufe zu erleben. Und wie auch bei anderen Süchten, kann sich das Gehirn auch daran gewöhnen, sodass die Nachfrage nach immer teureren oder häufigeren Einkäufen dann eingestellt wird", erklärt Rasimus.

Kaufsucht: Wenn Kaufen zur Krankheit wird

Hilfe für Süchtige: Wenn Kaufen zur Krankheit wird

Definition: Was ist Kaufsucht?

Ist Kaufsucht eine Krankheit? Der Psychologe Renanto Poespodihardjo sagt dazu: "Wenn Sie die Erkrankung in einem Buch der psychischen Erkrankungen suchen würden, würden Sie sie nicht finden. Offiziell gibt es die Erkrankung nicht. Aber wir erleben immer wieder Menschen, die unter dieser Erkrankung leiden. Für uns ist es eine Suchterkrankung."

Kaufsucht ist auch nicht als völlig eigenständiges Krankheitsbild in dem für Krankenkassen wichtigen Klassifikationssystem aufgeführt. Sie stehe dort aber mittlerweile unter den "anderen spezifischen Impulskontrollstörungen" und dort unter dem sperrigen Titel "zwanghafte Kauf-Shopping-Störung", sagt Astrid Müller, leitende Psychologin an der Medizinischen Hochschule Hannover und Kaufsucht-Expertin, in einem Fernseh-Interview mit dem MDR im Jahr 2023. Das heißt: Die Behandlungskosten für die Kaufsucht können dadurch mit den Krankenkassen abgerechnet werden.

Konsum: Warum kaufen wir so viel?

Tabuthema: Wir reden nicht über Kaufsucht

Renanto Poespodihardjo, leitender Psychologe am Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen der Universitären Psychiatrischen Kliniken (UPK) Basel. Ihr kauft viel mehr als ihr braucht. Doch seid ihr kaufsüchtig? Erfahrt, wie ihr Symptome von Kaufsucht erkennen und die Erkrankung überwinden könnt.  | Bild: UPK Basel

"Shopping, so ein wichtiges Gut wie die Stärkung der Binnennachfrage, mit einer psychischen und dann noch mit einer Suchterkrankung zu verbinden, das ist ein Tabu in unserer Gesellschaft. Sie können über Sexualität reden, aber über Kaufen, das verbietet sich."

Renanto Poespodihardjo, leitender Psychologe am Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen der Universitären Psychiatrischen Kliniken (UPK) Basel

Ursachen von Kaufsucht: Warum Menschen kaufsüchtig werden

Es gebe nicht DIE Ursache oder einen genetischen Faktor für Kaufsucht, sagt der Psychologe Renanto Poespodihardjo. Bestimmte Werte, die einem in der frühen Lebensphase vermittelt wurden, etwa, dass Konsumverhalten etwas Wichtiges ist, dass gutes Aussehen etwas Wichtiges ist, das könne ein Faktor für die Entstehung einer Kaufsucht sein. Zu dieser konsumorientierten Prägung muss aber noch etwas hinzukommen, nämlich: das Kaufen als "Bewältigungsstrategie [zu] nutzen" wie Jan Michael Rasimus von der DHBW in Karlsruhe es nennt. Gemeint ist damit, durch das Kaufen negative Gefühle wie Stress, ein mangelndes Selbstwertgefühl oder Einsamkeit kompensieren zu wollen. Auch Schuldgefühle wegen eines impulsiven Kaufs können Auslöser für eine neue Kaufattacke sein. Es geht Kaufsüchtigen auch hier darum, das schlechte Gefühl mit neuen Käufen zu verdrängen.

Was kompensiert man mit der Kaufsucht?

Es ist nicht die gähnende Leere im Kleiderschrank, die Kaufsüchtige dazu bringt, immer mehr Dinge zu kaufen, die sie eigentlich nicht brauchen und sich manchmal auch gar nicht leisten können. Es ist die Sucht nach dem Hochgefühl, das durch die hohe Dopaminausschüttung verursacht wird. Negative Empfindungen, speziell ein geringes Selbstwertgefühl, nehmen sie so nicht mehr wahr. Hinzu kommt: Gerade junge Menschen, die sich am Konsumverhalten anderer orientieren, die sie bewundern, wie etwa Influencer, lassen sich dadurch zum Kaufen verleiten, weil dadurch "parasoziale Beziehungen entstehen", wie Experte Rasimus erklärt, also einseitige Beziehungen der Internetnutzer zum bewunderten Influencer.

Zahlen zur Kaufsucht: Wer von Kaufsucht besonders betroffen ist

Etwa fünf Prozent der Menschen in Deutschland sind kaufsüchtig. Besonders stark betroffen sind jüngere Frauen bis zu einem Alter von etwa 45 Jahren, aber "Männer holen auf", sagt der Psychologe Renanto Poespodihardjo. Kreditkarten erhöhen laut Untersuchungen das Risiko für eine Kaufsucht-Erkrankung. Auch der Online-Handel hat es verstärkt. "24 Stunden an sieben Tagen die Woche, das ist natürlich schon ein größerer Unterschied zu früher", erklärt der Marketing-Experte Rasimus. Er leitet an der DHBW in Karlsruhe ein Eye-Tracking-Labor, in dem er mit speziellen Brillen untersucht, was beim Einkaufen - online oder offline - unsere Aufmerksamkeit erregt.

Auch sogenannte One-Click-Bestellungen und personalisierte Empfehlungen, die sich nach dem bisherigen Kauf- beziehungsweise Suchverhalten der Nutzer im Internet richteten, machten das Online-Shopping deutlich interessanter für das Einkaufen, fügt Rasimus hinzu. Das Problem ist aber: Genaue Daten über die Einkäufe gibt es laut dem Psychologen Poespodihardjo nicht. Es seien private Daten der Produzenten oder der Verkäufer, zu denen die Wissenschaft keinen Zugang habe.

Black Week: Verleitet zum Kaufen

Jan Michael Rasimus, Experte für digitales Marketing an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) in Karlsruhe und Leiter des dortigen Eye-Tracking-Labors. Erfahrt, wie ihr Symptome von Kaufsucht erkennen und die Erkrankung überwinden könnt.  | Bild: DHBW KA//J.Habermehl

"Mit Black Friday, Cyber Monday und der Black Week - das sind natürlich sehr große Einkaufsveranstaltungen, die auch sehr stark beworben werden und die dazu verleiten, dass Leute gerade zu diesen Zeitpunkten einkaufen."

Jan Michael Rasimus, Experte für digitales Marketing an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) in Karlsruhe und Leiter des dortigen Eye-Tracking-Labors

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Behandlung: Wie ihr Kaufsucht überwinden könnt

Nur wenige, die kaufsüchtig seien, gingen in Therapie, beklagt der Psychologe Renanto Poespodihardjo. Doch ist Kaufsucht überhaupt heilbar? "Nein, es bleibt ein Teil von mir", sagt dazu der Spezialist. Aber eine Therapie der Kaufsucht ist wichtig, weil die Betroffenen wegen ihrer Kaufattacken oft in finanzielle Schwierigkeiten geraten, nicht selten Schulden machen, was häufig zu sozialer Isolation und familiären Konflikten führt. Zudem verlieren Kaufsüchtige oft ihre Selbstachtung und das ist, nach den Worten von Poespodihardjo, "der größte Schaden" einer Kaufsucht-Erkrankung.

Bei einer Therapie geht es darum, zu lernen die Stimuli zu kontrollieren, die zum Kaufen verleiten. Das kann mit einer Verhaltenstherapie gelingen. Die negativen Empfindungen wie mangelndes Selbstwertgefühl oder Depressionen, die auch eine Ursache für Kaufattacken sind, könnten medikamentös behandelt werden, sagt der Psychologe Poespodihardjo. Aber: "Alleine einen Baukasten von Techniken den Betroffenen jetzt zuzuschicken, würde nichts verändern", erklärt der Psychologe. Ein ganz wichtiger Aspekt der Therapie sei, den Betroffenen zu vermitteln, dass sie verstanden werden. Das Verstandenwerden setze Prozesse in Gang, die zu einer Veränderungsmotivation führen. "Es ist so simpel, dass man eigentlich gar nicht wagt, das auszusprechen. Aber es ist doch der entscheidende Faktor, den wir versuchen, zu realisieren", sagt Renanto Poespodihardjo über die Therapie von Kaufsüchtigen.

Prävention und Tipps: Was ihr bei Kaufsucht tun könnt

Prävention & Hilfe:

  • Geht in Beratung und sprecht mit Menschen, die sich mit dem Thema Sucht auskennen. Hilfe findet ihr bei Suchtpräventionsstellen, Suchttherapeuten, in Kliniken und Selbsthilfegruppen.
  • Sprecht mit eurer Familie. Sprecht mit euren Freunden.
  • Macht eine Liste: Was ist ein Bedarfskauf, also was ihr wirklich braucht, was ist ein Konsum- beziehungsweise Lustkauf. Überlegt euch, ob und warum ihr etwas kaufen wollt.
  • Schafft euch mehrere Konten an. Eines für eure finanziellen Verpflichtungen und weitere für eure Einkäufe. Diese Trennung solltet ihr auch strikt einhalten.
  • Benutzt keine Kreditkarten, bezahlt besser in bar. Das erhöht den Preisschmerz.

Tipps gegen die Tricks des Handels:

  • Versucht, bei Aktionen wie Black Friday zu entscheiden: Will ich das vollumfänglich, ungesteuert, impulsiv umsetzen? Oder will ich zielgerichtet mit einem ganz klaren Budget während solcher Aktionstage einkaufen?
  • Macht keine Schnäppchenjagd!
  • Benutzt keine Konsumentenkarten, keine entsprechenden Apps, die mit Konsum einhergehen. Löscht die Apps oder verschiebt sie auf eurem Smartphone nach hinten.
  • Lasst euch bei Einkäufen nicht unter Druck setzen, etwa durch eine suggerierte geringe Verfügbarkeit von Produkten.
  • Bei wichtigen Entscheidungen: Schlaft eine Nacht darüber.
  • Und ganz wichtig: Passt euer Einkaufsverhalten an euer Budget an.


Quellen: Renanto Poespodihardjo, Psychologe und Jan Michael Rasimus, Marketing-Experte