Gewohnheit Wie Routinen und Rituale unser Verhalten prägen

Von: Marisa Gierlinger

Stand: 22.02.2024

Routinen und Rituale sind für unser Gehirn ein effektives Zeitmanagement. Aber nicht alle Gewohnheiten sind nützlich. Wie wir schlechte Angewohnheiten loswerden und unser Verhalten zum Positiven verändern können.

Mann sitzt mit einer Schüssel Chips auf dem Sofa. Routinen und Rituale entlasten unser Gehirn bei seinen täglichen Aufgaben. Aber nicht alle Gewohnheiten sind nützlich. Wie wir schlechte Angewohnheiten loswerden und unser Verhalten zum Positiven verändern können. | Bild: colourbox.com

Routinen und Rituale: Was sind Gewohnheiten?

Steige ich mit dem linken oder rechten Fuß zuerst aus dem Bett? Was esse ich zum Frühstück? Welchen Weg und welches Verkehrsmittel benutze ich zur Arbeit? Jeder von uns trifft täglich Tausende von Entscheidungen. Kommt euch viel vor? Das liegt daran, dass wir die meisten davon gar nicht mitbekommen. Sie laufen eingeübt und automatisert als Gewohnheiten ab.

Bedeutung: Warum braucht der Mensch Routinen?

Durch sie kann unser Gehirn vieles im Autopiloten bewerkstelligen und sich viel Aufwand ersparen. 30 bis 50 Prozent von dem, was wir tagtäglich tun, so schätzen Experten, sind kognitiv relativ passive Wiederholungshandlungen. Routinen und Rituale, die sich am immer selben Ort abspielen. Ein wichtiger Energiesparmodus, der verhindert, dass uns die Vielzahl der alltäglich anfallenden Aufgaben überfordert. Unsere aktiven Ressourcen können wir dadurch auf die wesentlichen und konkret anfallenden Aufgaben und Entscheidungen fokussieren.

Video: Das Gehirn, seine Gewohnheiten und Rituale

Neurowissenschaften: Wie finden Gewohnheiten den Weg in unser Gehirn?

Definition: Was sind Gewohnheiten?

"Im Grunde ist eine Gewohnheit ein repetitives Verhalten, das ab einem bestimmten Punkt automatisch abläuft und von bestimmten Umweltreizen ausgelöst wird. (…) Unser Alltag würde ohne solche Routinehandlungen schlichtweg nicht existieren. Gewohnheiten sind das, woraus er besteht."

Bas Verplanken, Sozialpsychologe und Prof. Emeritus an der University of Bath

Auslösereize: Wie entstehen Gewohnheiten im Gehirn?

"Unsere Gewohnheiten funktionieren wie Antworten auf bestimmte Auslösereize in unserer Umwelt", sagt der Sozialpsychologe Bas Verplanken. Er hat mehrere Jahrzehnte lang über Gewohnheiten und das, was sie auslöst, geforscht. "Das kann alles Mögliche sein: eine bestimmte Uhrzeit, ein bestimmter Ort oder eine bestimmte Situation während der Interaktion mit anderen Menschen. Es kann auch ein körperlicher Auslöser wie Hunger sein." In unserem Gehirn wird dann ein bewährtes Muster abgespult, bestehend aus Auslösereiz, Routinehandlung und Belohnung. Ein Programm in drei Schritten also, das sich so wiederholen lässt. Zuständig für diese Abläufe sind die Basalganglien: Tief im Großhirn liegende Kernbereiche, in denen quasi-automatisierte Prozesse wie die Bewegungskoordination und affektgesteuerte Handlungsmuster abgespeichert sind. Wie sie da hinkommen, hat viel mit dem Schritt der Belohnung zu tun. Hat eine Handlung sich bewährt, wird sie mit demselben Auslösereiz wieder abgerufen. Die Verknüpfung prägt sich als neuronales Muster ein.

Audio: Wohltuende Routine oder immergleicher Trott?

Immer dasselbe: Anmerkungen zur Gewohnheit

Schlechte Angewohnheiten? Warum uns manche Routinen stören

Grundsätzlich seien Rituale und Routinen etwas Positives, sagt die Psychotherapeutin Eva Kischkel. "Gewohnheiten sind sehr wichtig, weil sie den Tag strukturieren. Man hat bestimmte Abläufe, und diese Abläufe führen letztendlich dazu, dass man sich geborgen und sicher fühlt." Gewohnheiten sind sehr praktisch, weil sie keine bewusste Kontrolle erfordern. Aber genau darin liegt auch ihre Tücke: Was wir nicht kontrollieren können, ist schwer wieder loszuwerden. Oft erkennen wir das Muster dahinter nicht. Dazu kommt, dass viele Gewohnheiten fest mit den Strukturen unseres Alltags verwoben sind und so immer wieder ausgelöst werden. Unser Gehirn unterscheidet nicht zwischen guten und schlechten Gewohnheiten. "Die Mechanismen sind dieselben", sagt der Sozialpsychologe Bas Verplanken. "Gewohnheiten nutzen uns immer irgendwie oder geben uns eine Art von Befriedigung. Aber das tun eben auch ungesunde Angewohnheiten."

Gewohnheiten ändern: Ersetzen ist leichter als weglassen

"Es macht einen Unterschied, ob ich mir ein Verhalten angewöhnen oder abgewöhnen will. Das eine ist das Neu-Lernen, das andere das Verlernen. Wir müssen gucken: Was aktiviert das Belohnungszentrum im Gehirn? Das machen Sachen die uns guttun, die angenehm sind. Und die gewöhnen wir uns gerne an. Auch so Angewohnheiten wie das Feierabendbierchen, das Chipsessen etc. - das aktiviert massiv unser Belohnungssystem! Und deshalb ist es schwer dagegen etwas zu setzen. Denn dann müssten wir auf dieses belohnende Gefühl im Gehirn verzichten. Wenn man also was dagegen machen will, muss man es ersetzen, durch irgendeine andere Handlung. Aber Sachen nur weglassen - also wenn etwas wegfällt, was ich gerne hätte - das ist dann eher frustrierend für mich."

Dr. Eva Kischkel, Psychotherapeutin und leitende Psychologin an der Hochschulambulanz für Psychotherapie und Psychodiagnostik der Humboldt-Universität zu Berlin

Video: Wie ihr schlechte Angewohnheiten ändern könnt

Tipps: So können wir unser Verhalten ändern

Weniger Sitzen, gesunde Ernährung, Ordnung halten. Wir wüssten, was gut für uns ist. Oft fällt es aber schwer, gerade diese Dinge zur Routine zu machen - und unliebsame Verhaltensweisen loszuwerden. Diese Experten-Tipps können helfen.

  • Auslösereiz identifizieren: "Man sollte sich genau anschauen, wie die eigenen Gewohnheiten funktionieren und getriggert werden. Für mich ist das der erste wichtige Schritt. Wann genau tust du was? Worauf reagierst du?" (Bas Verplanken)
  • Motivation definieren: Warum möchte ich mein Verhalten ändern? Was stört mich?
  • Was dann? Manchmal lässt sich ein Auslösereiz nicht umgehen. Was wäre eine Handlungsalternative, durch die sich die Gewohnheit ersetzen lässt?
  • Umgebung/Bedingungen verändern: Wenn möglich den Kontext verändern, in dem die Gewohnheit erst entstehen kann.
  • Verhaltensroutinen planen: Je konkreter, desto besser. Was genau werde ich wann und wo tun? So lassen sich Situationen festlegen, welche die entsprechenden Gewohnheiten irgendwann selbst anstoßen: Eine Stunde auf dem Laufrad im Fitnessstudio, jeden Montag und Donnerstag um 17.00 Uhr.
  • Belohnungen: Idealerweise liegt im Verhalten selbst ein Wert, es ist erfüllend oder angenehm. Man nennt das eine intrinsische Belohnung. Kommt die Belohnung nicht aus der Tätigkeit selbst, sondern von außen, ist sie extrinsisch. "Extrinsische Belohnungen können zwar anfangs locken, sie verlieren aber ihren Wert. Man kann Leute nicht dafür bezahlen, sich gesundheitsbewusst zu verhalten." (Bas Verplanken)
  • Die richtige Einstellung: Gute Chancen haben Gewohnheiten, die im Einklang mit unserem Selbstkonzept und unseren Einstellungen sind. Ein größeres Umweltbewusstsein erleichtert das Mülltrennen.
  • "Selbstdisziplin ist schon hilfreich, um Gewohnheiten zu überwinden. Denn jemand, der sehr diszipliniert ist, ist in der Lage, negative Gefühle besser auszuhalten." (Eva Kischkel)
Zur Mittagspause mit dem Rad ins Grüne. Unsere Gewohnheiten und Rituale bestimmen unseren Alltag, zudem entlasten Routinen das Gehirn. Manches an unserem Verhalten wollen und können wir aber optimieren. | Bild: picture-alliance/Westend61/Vitta Gallery

Mit dem Fahrrad zur Arbeit: Das ist nicht nur gesund, sondern auch nachhaltig. Manche Routinen haben wir selbst in der Hand.

Gewohnheiten ändern: Willenskraft allein reicht nicht

"Wir überschätzen unsere Willenskraft. Das sieht man zum Beispiel bei Neujahrsvorsätzen. Ein, zwei Wochen später sind die meistens schon wieder für die Katz. Und der Grund ist eben, dass Gewohnheiten nicht durch Willenskraft, sondern von Umweltreizen ausgelöst und gesteuert werden."

Prof. Bas Verplanken, Sozialpsychologe

Nicht verwechseln: Gewohnheit ist nicht gleich Gewöhnung

Eine Gewohnheit ist ein eingespieltes Verhaltensmuster, das von einem bestimmten Umweltreiz ausgelöst wird. Erfolgt dieser Reiz - das kann eine bestimmte Situation sein, eine Tageszeit oder ein spezieller Ort - reagieren wir quasi automatisiert und unwillkürlich mit einer konkreten Handlung. Wichtig ist, dass diese sich auf irgendeine Art positiv bewährt hat. Zum Beispiel, weil sie uns Arbeit erspart. Oder, wie bei manchen Suchtmitteln, ein direktes körperliches Belohnungsgefühl auslöst.

Der Begriff der Gewöhnung, oder wissenschaftlich: Habitualisierung, klingt ähnlich, bezeichnet aber etwas Unterschiedliches. Hierbei geht es um eine Art Sensibilisierung. Wenn wir einem bestimmten Reiz häufig ausgesetzt sind, reagieren wir darauf irgendwann weniger. Das ist bei vielen körperlichen Vorgängen so. Wenn wir regelmäßig viel Kaffee trinken, gewöhnen wir uns an das Koffein und nehmen die aufputschende Wirkung schwächer wahr. Wenn wir in ein heißeres Land ziehen, werden wir anfangs mehr schwitzen, bis sich der körpereigene Wasserhaushalt und die Schweißdrüsen irgendwann darauf einstellen.

Zucker, Alkohol, Zigaretten: Gewohnheit oder Sucht?

Ein Stück Kuchen zum Kaffee, das abendliche Glas Wein zur Entspannung oder die eine Zigarette beim Feiern. Was als sporadischer Genuss anfängt, kann schnell zum Ritual werden - und irgendwann womöglich unentbehrlich. "Alles, was sehr massiv unser Belohnungszentrum aktiviert, steht in Suchtgefahr", sagt die Psychotherapeutin Eva Kischkel. Zwischen der umgangssprachlichen Schokoladensucht und einer ernstzunehmenden Erkrankung muss man aber unterscheiden. Zur Krankheit wird ein Verhalten erst, "wenn es mit Beeinträchtigung und Leiden einhergeht", so Eva Kischkel. "Eine Beeinträchtigung wäre zum Beispiel, wenn ich wichtige Termine absage, um Alkohol kaufen zu gehen. Wenn also der Tagesablauf gestört wird durch Routinen, die mit der Sucht zu tun haben."

Video: Wenn aus Gewohnheit Sucht wird

Alkohol : Die normalisierte Sucht?

Traditionen, Rituale, Bräuche: Die Gewohnheiten der Gemeinschaft

Gewohnheiten sind eng verwoben mit unserem Alltag und damit auch unserem kulturellen Umfeld. Andere Länder, andere Sitten, besagt ein Sprichwort. Denn auch Verhaltensnormen sind Gewohnheiten, die sozusagen gemeinschaftlich eingeübt sind. Das kann den Lerneffekt beschleunigen. Für Bas Verplanken sind Gewohnheiten generell oft ein soziales Phänomen. "Das ist ganz einfach: Wenn jeder um dich herum eine Atemschutzmaske trägt und du nicht, werden die Leute darauf reagieren. SIe werfen dir Blicke zu oder sprechen dich sogar darauf an. So werden viele Gewohnheiten vom sozialen Umfeld kontrolliert."

Gewohnheitstier: Wie viel Routine tut uns gut?

"Gewohnheiten und Rituale sind per se nichts Negatives, sondern etwas Positives. Etwas, was Menschen brauchen. Deshalb ist es auch vollkommen absurd zu sagen, wir schaffen Arbeitsplätze ab in Großraumbüros, und jeder sitzt jedes Mal woanders. Weil Menschen diese Veränderung gar nicht mögen. Die mögen jedes Mal ihren Platz haben, da ist das Fenster, das ist da immer, das ist gut für mich. Diese ganzen Veränderungen erhöhen den Stresslevel, weil sie mehr Unbekanntes mit sich bringen. Umgekehrt führt zu viel Routine dazu, dass man sich dann langweilt. Und deshalb gibt es so ein gesundes Mittelmaß, kann man sagen, an Ritualen und Routinen, die sein müssen, damit man sich wohlfühlt."

Dr. Eva Kischkel, Psychotherapeutin

Nudging & Konditionierung: Wie sich unsere Gewohnheiten manipulieren lassen

Wir Menschen sind Gewohnheitstiere. Einige Branchen wissen das schon lange für sich zu nutzen, denn unser Verhalten ist nicht nur berechenbar, sondern auch manipulierbar. So etwas wie die Bewerbung von Produkten und ihre Platzierung im Supermarkt befriedigen das Bedürfnis nach Routine. Inzwischen haben auch andere Branchen das Prinzip für sich entdeckt. Mithilfe unserer Gewohnheiten werden wir so unbewusst in die gewünschte Richtung geschubst.

Anstupsen und nicht vorschreiben: Nudging für ein besseres Verhalten

Covid, Klimawandel, Krieg: Wie Krisen unsere Gewohnheiten auf den Kopf stellen

Bas Verplanken sagt, die Pandemie sei ein gutes Beispiel dafür, was passiere, wenn Gewohnheiten plötzlich erschüttert werden. "Wir haben nicht mehr wie vorher mit den Menschen um uns herum interagiert, wir konnten bestimmte Dinge nicht mehr unternehmen. Emotional und körperlich war das für uns sehr anstrengend. Daran sieht man, wie wichtig Gewohnheiten sind." Mehrere Studien bestätigen: Covid-19 hat unseren Alltag und unsere Gewohnheiten verändert, und das nachhaltig. Sei es beim Einkaufen, beim Sport oder wie wir Freunde treffen. Aber auch Suchtkrankheiten und andere psychische Erkrankungen haben sich in den Jahren nach der Pandemie merkbar gehäuft.

Auch andere Krisen der vergangenen Jahre haben dazu geführt, dass wir unser Verhalten anpassen, uns teilweise einschränken mussten. Solche Umbrüche haben immerhin auch etwas Positives, sagt Bas Verplanken. "Wenn wir große Umwälzungen erleben - ein Umzug, eine neue Beziehung oder ein wirtschaftlicher Einbruch - dann ist das immer eine Gelegenheit, neue Gewohnheiten herauszubilden. Es fällt uns in solchen Zeiten leichter, unser Verhalten bewusst zu ändern."

Quellen und Sendungen: Mehr über Gewohnheiten und Routinen