Hoch- und Trivialliteratur Merkmale von Hoch- und Trivialliteratur erkennen
Auch wenn die Grenzen zuweilen fließend sind: In der Regel sind der literarische Anspruch und die sprachliche Qualität bei Hochliteratur ausgeprägter als bei sogenannter Unterhaltungsliteratur. Noch deutlicher ist der Unterschied zur sogenannten Trivialliteratur.
Überprüfe diese Aussagen an den folgenden Romanauszügen.
Text 1
Theodor Fontane (1895): Effi Briest. Roman
[…] Auch die Front des Herrenhauses – eine mit Aloekübeln und ein paar Gartenstühlen besetzte Rampe – gewährte bei bewölktem Himmel einen angenehmen und zugleich allerlei Zerstreuung bietenden Aufenthalt; an Tagen aber, wo die Sonne niederbrannte, wurde die Gartenseite ganz entschieden bevorzugt, besonders von Frau und Tochter des Hauses, die denn auch heute wieder auf dem im vollen Schatten liegenden Fliesengange saßen, in ihrem Rücken ein paar offene, von wildem Wein umrankte Fenster, neben sich eine vorspringende kleine Treppe, deren vier Steinstufen vom Garten aus in das Hochparterre des Seitenflügels hinaufführten. Beide, Mutter und Tochter, waren fleißig bei der Arbeit, die der Herstellung eines aus Einzelquadraten zusammenzusetzenden Altarteppichs galt; ungezählte Wollsträhnen und Seidendocken lagen auf einem großen, runden Tisch bunt durcheinander, dazwischen, noch vom Lunch her, ein paar Dessertteller und eine mit großen schönen Stachelbeeren gefüllte Majolikaschale. Rasch und sicher ging die Wollnadel der Damen hin und her, aber während die Mutter kein Auge von der Arbeit ließ, legte die Tochter, die den Rufnamen Effi führte, von Zeit zu Zeit die Nadel nieder und erhob sich, um unter allerlei kunstgerechten Beugungen und Streckungen den ganzen Kursus der Heil- und Zimmergymnastik durchzumachen. Es war ersichtlich, daß sie sich diesen absichtlich ein wenig ins Komische gezogenen Übungen mit ganz besonderer Liebe hingab, und wenn sie dann so dastand und, langsam die Arme hebend, die Handflächen hoch über dem Kopf zusammenlegte, so sah auch wohl die Mama von ihrer Handarbeit auf, aber immer nur flüchtig und verstohlen, weil sie nicht zeigen wollte, wie entzückend sie ihr eigenes Kind finde, zu welcher Regung mütterlichen Stolzes sie voll berechtigt war. Effi trug ein blau und weiß gestreiftes, halb kittelartiges Leinwandkleid, dem erst ein fest zusammengezogener, bronzefarbener Ledergürtel die Taille gab; der Hals war frei, und über Schulter und Nacken fiel ein breiter Matrosenkragen. In allem, was sie tat, paarten sich Übermut und Grazie, während ihre lachenden braunen Augen eine große, natürliche Klugheit und viel Lebenslust und Herzensgüte verrieten. Man nannte sie die "Kleine", was sie sich nur gefallen lassen mußte, weil die schöne, schlanke Mama noch um eine Handbreit höher war. […]
(Theodor Fontane: Effi Briest. Roman, München, 2008, S. 5-7)
Text 2
Cherry Adair (2005): Diamentrausch. Roman
[…] Eine der Wachen trat mit dem Fuß die Zellentür auf. Sie schlug gegen die aus getrockneten Ziegeln gemauerte Wand und ließ ein schwaches Licht aus dem Flur in die enge Zelle fallen. "Diesmal, burja", drohte der Gefängniswärter auf spanisch, "wirst du nicht wieder freikommen."
Hunt presste die Lippen zusammen, während er das Bild vor sich betrachtete.
In Ketten gefesselt war die Frau nicht in der Lage, sich abzustützen, als der Wachmann sie durch die offene Tür auf den Boden stieß. Ihr Kopf schlug auf den Zementboden, und sie stieß einen erschrockenen Schmerzenslaut aus.
Hunt unterdrückte einen Fluch. Dies war genau der Grund, warum er es nicht mochte, wenn eine Frau an einem Einsatz beteiligt war. Sie waren so verletzlich und leicht zu brechen. Er hasste es, wenn er mit ansehen musste, wie jemand, der so sanft und zierlich war, verletzt wurde.
Die Ketten, mit denen sie gefesselt war, klirrten beinahe musikalisch, als sie über den Boden rollte und dann an der gegenüberliegenden Wand still liegen blieb.
Die beiden Wachmänner betrachteten ihre Gefangene noch ein paar Minuten von der Tür aus und unterhielten sich in schnellem Spanisch darüber, ob sie vielleicht eine Hexe war. Oder etwas noch viel Schlimmeres. Sie hatte immerhin versucht zu entkommen. Hunt schüttelte den Kopf. Guter Versuch, aber vergebens, Liebling. In diesem Gefängnis am Rande der Stadt waren politische Gefangene und der Abschaum der Menschheit untergebracht. Niemand, nicht einmal ein Profi, wie sie einer war, war jemals von hier geflohen.
Noch nie.
Hunt hatte vor das zu ändern. […]
(Cherry Adair: Diamantrausch, München, 2006, S. 7-8)
a. Welcher der Romanauszüge ist der Hoch- und welcher eher der Trivialliteratur zuzurechnen?
b. Begründe deine Einschätzung, indem du typische Merkmale für die jeweilige Kategorisierung mit entsprechenden Textbelegen herausarbeitest.
a.
Theodor Fontane - Hochliteratur
Cherry Adair - Trivialliteratur
b.
Der Romanauszug von Theodor Fontane weist viele Merkmale von Hochliteratur auf:
- Die Wortwahl ist differenzierter, z. B. Auch die Front des Herrenhauses – eine mit Aloekübeln und ein paar Gartenstühlen besetzte Rampe – gewährte bei bewölktem Himmel einen angenehmen und zugleich allerlei Zerstreuung bietenden Aufenthalt;
- Der Satzbau ist komplexer, z. B. siehe oben
- Die Beschreibungen sind genauer, z. B. Beide, Mutter und Tochter, waren fleißig bei der Arbeit, die der Herstellung eines aus Einzelquadraten zusammenzusetzenden Altarteppichs galt; ungezählte Wollsträhnen und Seidendocken lagen auf einem großen, runden Tisch bunt durcheinander, dazwischen, noch vom Lunch her, ein paar Dessertteller und eine mit großen schönen Stachelbeeren gefüllte Majolikaschale.
- Die Beobachtungen feinsinniger und differenzierter, z. B. Es war ersichtlich, daß sie sich diesen absichtlich ein wenig ins Komische gezogenen Übungen mit ganz besonderer Liebe hingab
Der Romanauszug von Cherry Adair ist eher der Trivialliteratur zuzurechnen:
- Sehr einfache Sprache mit sehr kurzen Sätze, z. B. Niemand, nicht einmal ein Profi, wie sie einer war, war jemals von hier geflohen. Noch nie. Hunt hatte vor das zu ändern.
- Umgangssprache, z. B. Hunt schüttelte den Kopf. Guter Versuch, aber vergebens, Liebling.
- Sehr einfache Bildsprache, z. B. Die Ketten, mit denen sie gefesselt war, klirrten beinahe musikalisch, als sie über den Boden rollte und dann an der gegenüberliegenden Wand still liegen blieb.
- Einfach gezeichnete Charaktere, z. B. Er hasste es, wenn er mit ansehen musste, wie jemand, der so sanft und zierlich war, verletzt wurde.
- Klischeehaft, z. B. Hunt unterdrückte einen Fluch. Dies war genau der Grund, warum er es nicht mochte, wenn eine Frau an einem Einsatz beteiligt war. Sie waren so verletzlich und leicht zu brechen.