Gendermedizin Frauen haben andere Symptome als Männer

Von: Marisa Gierlinger

Stand: 25.08.2023

Männer und Frauen gleichbehandeln? Nicht in der Medizin. Es gibt geschlechtsspezifische Unterschiede bei Krankheiten und Symptomen, die erkannt werden müssen. Fehldiagnosen können sonst die Folgen sein. Beim Herzinfarkt ist das lebensgefährlich.

Eine Frau fasst sich im Schmerz an Brust und Rücken. In der Medizin gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede, das gilt für Krankheiten sowie Symptome. Fehldiagnosen können die Folgen sein. Beim Herzinfarkt ist das lebensgefährlich. | Bild: picture alliance/dpa Themendienst | Christin Klose

Video: Was bedeutet Gendermedizin?

Weltfrauentag: Wenn männliche Daten für Frauen gefährlich werden

Diagnose Herzinfarkt: Welche Symptome Frauen haben

Frauen haben bei einem Herzinfarkt oft andere Symptome als Männer. Denn in der Medizin gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede. Fehldiagnosen können die Folgen sein - und sind bei manchen Krankheiten fatal. | Bild: BR, colourbox.com/82048/301242; Montage: BR

Bekannte Symptome von Krankheiten betreffen meist Männer. Die von Frauen sind weniger bekannt. Ein Beispiel: der weibliche Herzinfarkt.

Ein Stechen in der Brust. Schmerzen, die in den linken Arm ausstrahlen. Kalter Schweiß. Das sind bekannte Anzeichen für einen Herzinfarkt. Betroffene oder Angehörige reagieren meist sofort und rufen den Notarzt. Aber würdet ihr das auch bei Übelkeit, Schulter- und Kieferschmerzen tun? Ein Blick in die Statistik sagt: Nein. Doch genau das sind bei Frauen typische Symptome für einen Herzinfarkt.

Frauen werden im Schnitt erst zwei Stunden später in eine Klinik eingewiesen als männliche Herzinfarktpatienten. Und selbst dort werden ihre Symptome oft nicht erkannt. Die Information, dass es beim Herzinfarkt geschlechtsspezifische Symptome gibt, verbeitet sich nur langsam.

Unterrepräsentiert: Frauen in der Medizin

Eine Chirurgin mit ihren Kollegen im OP-Saal. In der Medizin gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Das gilt für Krankheiten sowie Symptome. Fehldiagnosen können die Folgen sein. Beim Herzinfarkt ist das lebensgefährlich. | Bild: picture alliance/Bildagentur-online/Blend Images | Blend Images/John Fedele

Auch fachlich sind Frauen in der Medizin in der Minderheit. Vor allem auf dem Feld der Chirurgie.

Zwei Drittel der Studienanfängerinnen im Studienfach Medizin sind inzwischen weiblich. Trotzdem dominieren bis heute Männer in Forschung und Spitzenmedizin. Nur etwa jede dritte Oberarzt- und jede zehnte Chefarztposition ist in Deutschland mit einer Frau besetzt. Das hat Auswirkungen auf die medizinische Praxis und die Forschung. So wird an Frauen-Krankheiten auch weniger geforscht als an Männerkrankheiten. Endometriose ist ein Beispiel dafür.

Zusätzlich wurden medizinische Studien lange Zeit fast ausschließlich an männlichen Testpersonen durchgeführt. Anfangs waren Medizinstudenten die Versuchsteilnehmer, weil sie männlich waren. Mit der Zeit kamen andere Begründungen hinzu: Frauen würden mit ihrem schwankenden Hormonzyklus die Testgenauigkeit gefährden. Außerdem bestünde die Gefahr, bei schwangeren Frauen ein ungeborenes Kind zu gefährden. Der Contergan-Skandal in den 1960er-Jahren schien das zu bestätigen.

Unterschiede: Mehr als nur "Bikini-Medizin"

"Lange wurde nur separat untersucht, was unter einem Bikini steckt. Weil das so offensichtlich unterschiedlich war. Alles andere wurde als unspezifischer menschlicher Körper gesehen."

Sabine Oertelt-Prigione, Professorin für Geschlechtersensible Medizin an der Universität Bielefeld

Video: Gendermedizin hat Vorteile für Frauen und Männer

Professorin Vera Regitz-Zagrosek: Warum brauchen wir Gendermedizin?

Krankheiten: Welchen Einfluss das Geschlecht hat

  • Brustkrebs tritt zu 99 Prozent bei Frauen auf - aber auch bei Männern.
  • Frauen leiden bis zu viermal so oft an Osteoporose. Bei Männern bleibt die Krankheit oft unentdeckt.
  • Alzheimer kommt vermehrt bei Frauen vor.
  • Frauen haben ein aktiveres Immunsystem. Das macht sie aber anfälliger für Autoimmunerkrankungen
  • Auch Allergien wie Heuschnupfen sind bei Frauen häufiger.
  • Die meisten Krebsarten haben eine höhere Todesrate bei Männern.
  • Zwei von drei Herzinfarktpatienten sind Männer - aber Frauen sterben häufiger daran.
  • Männer haben ein doppelt so hohes Risiko, an Parkinson zu erkranken.
  • Männer leiden häufiger an Infektionskrankheiten.
  • Diabetes kommt bei Männern deutlich häufiger vor.

Gender Data Gap: Der Mann als Norm in der Medizin

Kursteilnehmer trainieren an einem medizinischen Dummy das Inturbieren von Patienten. In der Medizin gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Das gilt für Krankheiten sowie Symptome. Fehldiagnosen können die Folgen sein. Beim Herzinfarkt ist das lebensgefährlich. | Bild: picture alliance/Zoonar | Matej Kastelic

Die medizinische Norm ist der Mann. Auf ihn sind die meisten Behandlungen und Dosierungen von Medikamenten zugeschnitten.

Die Hälfte der Gesellschaft ist weiblich. Kaum zu glauben, dass der weibliche Körper in der Medizin immer noch als die Ausnahme von der Regel gilt. Die Norm ist: männlich, jung, fit, 178 Zentimeter groß und etwa 75 Kilogramm schwer. Nach diesem Maßstab werden künstliche Herzen und Hüftgelenke gefertigt und Medikamentendosierungen gemessen. Der männliche Normkörper schließt aber nicht nur Frauen aus, sondern auch viele Männer.

Frauen vs. Männer: Wo die Geschlechter sich unterscheiden

Vieles im menschlichen Körper hat Einfluss darauf, warum Krankheiten Frauen und Männer so unterschiedlich treffen: Die Anatomie, die Körpergröße, das Gewicht, die Muskelmasse und der Fettgehalt unterscheiden sich je nach Geschlecht. Auch die Organgröße ist von Bedeutung. Frauen haben kleinere Herzen. Ein weibliches Spenderorgan in einem Männerkörper könnte zu Versorgungsproblemen führen. Das Herz pumpt nicht stark genug. Künstliche Gelenke sind Männerkörpern nachempfunden, obwohl Frauen häufiger künstliche Knie- und Hüftgelenke benötigen als Männer.

Eine noch größere Rolle spielt die Genetik. Frauen haben zwei X-Chromosomen, Männer ein X- und ein Y-Chromosom. Das zieht sich durch jede einzelne Zelle und hat weitreichende Folgen. Zum Beispiel leiden Männer häufiger an Erbkrankheiten. Die jeweiligen Zellrezeptoren sprechen zudem unterschiedlich stark auf Medikamente an. Frauen brauchen im Schnitt doppelt so lang, um Medikamente abzubauen.

Auch die Geschlechtshormone, die männliche und weibliche Körper erzeugen, beeinflussen wie wir krank und wieder gesund werden. Vor allem das weibliche Östrogen. Es könnte ein Grund dafür sein, warum Frauen insgesamt besser durch die Corona-Pandemie gekommen sind als Männer. Das Hormon stärkt das Immunsystem und schützt die Gefäße. Deshalb haben Frauen ein geringeres Risiko für Infektionskrankheiten und erleiden seltener einen Herzinfarkt. Aber der Zauber wirkt nur begrenzt: In den Wechseljahren fährt der Körper die Östrogen-Produktion herunter und Frauen verlieren den vorteilhaften Schutz ihres Immunsystems.

Diagnose Depression: Welche Symptome Männer haben

Depressionen bleiben bei Männern oft unentdeckt: Sie äußern sich meist anders als bei Frauen. Bei vielen Krankheiten und Symptomen gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede. Fehldiagnosen können die Folgen sein.  | Bild: BR, colourbox.com/82048/Amin; Montage: BR

Wut statt Trauer, Arbeitssucht statt Lethargie. Auch bei einer Depression haben Männer andere Symptome als Frauen.

Gendermedizin: Wie Fauen und Männer profitieren

  • Die Gendermedizin ist auch ein Gewinn für Männer. Denn: Auch sie sind von medizinischen und gesellschaftlichen Vorurteilen betroffen, die zum Gesundheitsrisiko werden können. Und auch Männer erkranken zum Beispiel an Osteoporose und Brustkrebs oder leiden unter Depressionen.
  • Als Patientin kann man sich an neueren Medikamenten und Entwicklungen in der Medizintechnik orientieren: Seit einigen Jahren müssen medizinische Studien Frauen anteilig einbinden.
  • Immer mehr Kliniken greifen den Bereich der Gendermedizin auf. Und: Die aktuelle Regierungskoalition hat sie in das Medizinstudium integriert.
  • Bis sich die Disziplin vollständig durchsetzen kann, empfiehlt sich vor allem für Frauen, ihre Hausärzte auf geschlechtsspezifische Unterschiede anzusprechen.

Geschichte: Die Anfänge der Gendermedizin

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