Resilienz Wie widerstandsfähig wollen wir sein?

Von: Constanze Alvarez

Stand: 16.10.2024

Krisen und Schicksalsschläge aushalten und überwinden - und dabei leistungsfähig bleiben. Unzählige Ratgeber behaupten, das ließe sich trainieren. Wie sinnvoll ist das? Setzen wir uns damit nicht erst recht unter Druck?

Eine müde wirkende junge Frau mit Brille und Mütze hält sich mit einer Hand die Augen zu. Krisen aushalten und überwinden - und dabei leistungsfähig bleiben. Unzählige Ratgeber behaupten, das ließe sich trainieren. Wie sinnvoll ist das? Setzen wir uns damit nicht erst recht unter Druck? | Bild: colourbox.com

Resilienz: Ein Begriff aus der Materialforschung

Eine Hand im Gummihandschuh presst einen schäumenden Schwamm aus. Krisen und Schicksalsschläge aushalten und überwinden - und dabei leistungsfähig bleiben. Unzählige Ratgeber über Resilienz behaupten, das ließe sich trainieren. Wie sinnvoll ist das? Setzen wir uns damit nicht erst recht unter Druck? | Bild: picture-alliance/dpa

Ein Schwamm bleibt "resilient" und findet zur alten Form zurück, auch wenn man ihn auswringt. Menschen können unter extremem Druck zerbrechen.

Ursprünglich leitet sich der Begriff Resilienz vom lateinischen "resilere" ab. Das bedeutet auf Deutsch "abprallen, zurückspringen". In der Physik bezeichnen Wissenschaftler ein Material als resilient, wenn es nach extremem Druck von außen wieder zu seiner ursprünglichen Form zurückfindet. Wie zum Beispiel ein Schwamm: Ganz gleich, wie fest wir ihn drücken, auswringen oder pressen - legen wir ihn wieder aus der Hand, kehrt er nach und nach wieder zu seinem anfänglichen Volumen zurück. Die Psychologie hat diesen Begriff aus der Materialforschung übernommen und bezeichnet damit die psychische Widerstandskraft eines Menschen.

Video: Resilienz - mehr Druck zur Selbstoptimierung?

Widerstandsfähigkeit: Selbstoptimierungswahn oder Selbstfürsorge?

Hoher Druck: Immer mehr Menschen leiden unter psychischen Problemen

Grafik über den Anstieg der Fehltage durch psychische Erkrankungen zwischen 2013 und 2023 aus dem Psychreport der DAK. Psychische Probleme wie Depressionen, Angststörungen und Burnout zählen zu den häufigsten Gründen für Arbeitsunfähigkeit. Mit Resilienz kommt man dagegen an. | Bild: DAK-Gesundheit

Arbeitsverdichtung, hoher Leistungsdruck, die Angst vor dem Klimawandel, Krisen in der Welt und natürlich die Corona-Pandemie: Das alles hat den Stress-Level in den letzten Jahren noch stärker hochgeschraubt. Wie sehr, das zeigen Daten (siehe oben) aus dem Psychreport der DAK für 2024. Demnach haben sich die Fehltage in der Arbeit aufgrund psychischer Erkrankungen in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt. In den jüngeren Altersgruppen war der Anstieg am auffälligsten. Depressionen und Angststörungen sind dabei die häufigsten Diagnosen. Aber auch Belastungsreaktionen und Anpassungsstörungen haben sich laut DAK gehäuft.

Angesichts der vielen Krisen erlebt der Begriff Resilienz gerade Hochkonjunktur, auch in der Politik. Der Politikberater und Ökonom Jeremy Rifkin ruft in seinem Buch aus dem Jahr 2022 gar das "Zeitalter der Resilienz" aus.

Streitfrage: Ist Resilienz messbar?

Graphik: Ein Mann balanciert auf einem Seil und hält dabei einen offenen Schirm in der Hand. Eine Hand im Gummihandschuh presst einen schäumenden Schwamm aus. Krisen und Schicksalsschläge aushalten und überwinden - und dabei leistungsfähig bleiben. Unzählige Ratgeber über Resilienz behaupten, das ließe sich trainieren. Wie sinnvoll ist das? Setzen wir uns damit nicht erst recht unter Druck? | Bild: colourbox.com

Resilienz zu messen ist schwierig, weil sie von sozialen, genetischen und psychischen Faktoren abhängt.

Resilienz ist nicht durch Fragebögen messbar, wie sie in Seminaren oder in Ratgebern verbreitet werden. Raffael Kalisch, Professor für Human Neuroimaging und Gründungsmitglied des Leibniz-Instituts für Resilienzforschung in Mainz, drückt es noch drastischer aus. "Resilienz-Fragebögen sind Humbug", schreibt der Neurologe in seinem Buch "Der resiliente Mensch". Resilienz ließe sich nicht messen, ohne auch die Beanspruchungen zu messen, denen jemand ausgesetzt ist. "Erst wenn man Beanspruchung und psychische Gesundheit über eine gewisse Zeit hinweg betrachtet, kann man eine Aussage über die Resilienz eines Menschen treffen." Genau das würden aber Resilienz-Fragebögen nicht leisten.

Auch die Wissenschaftler tun sich damit schwer, Resilienz zu messen. Denn allein der Begriff ist umkämpft. Deswegen sei es auch schwierig, Resilienzforschung zu betreiben, erklärt Psychotherapeutin Isabella Helmreich: "Weil jeder ein bisschen was anderes darunter versteht." Die einen sehen Resilienz als psychische Anpassung an widrige Umstände. Andere als die Fähigkeit, Einfluss auf die eigene Umgebung zu nehmen, um sie zu verändern.

Das Team um Raffael Kalisch, zu dem auch Helmreich gehört, vertritt eine weiter gefasste Definition: Resilienz als "Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der psychischen Gesundheit während oder nach einer Krise." Anders ausgedrückt: Resilienz ist die Fähigkeit, mit Stress, Krisen oder Schicksalsschlägen so umzugehen, dass man dabei nicht dauerhaft psychisch erkrankt oder gar daran zerbricht.

Resilienz: Widerstandsfähigkeit ist nicht nur eine Frage der Gene

"Früher dachte man ja immer, Resilienz sei genetisch veranlagt", erklärt Isabella Helmreich. Und tatsächlich ist es so, dass manche Menschen genetisch bedingt empfindlicher auf Stress reagieren als andere. Heute wisse man jedoch, dass neben Genetik und Epigenetik noch eine Reihe anderer Faktoren eine Rolle spielen. Wie bin ich aufgewachsen? Was habe ich gelernt? Wie sieht mein Bindungsverhalten aus? Das seien ganz wichtige Fragen, sagt Isabella Helmreich. Menschen, die zumindest eine verlässliche Bezugsperson in der Kindheit hatten, verfügten häufig über das nötige Grundvertrauen, um später schwierige Situationen meistern zu können.

Das fand schon die US-Psychologin Emily Werner in ihrer Langzeitstudie aus den 1960er- und 1970er-Jahren heraus. Werner, die von vielen als Mutter der Resilienz-Forschung betrachtet wird, begleitete eine Gruppe Jugendlicher von der hawaiianischen Insel Kauai, die trotz ungünstiger Voraussetzungen und schwerer Krisen zu gesunden Erwachsenen heranwuchsen. Unter anderem eben auch, weil sie in ihrem Leben eine Person gehabt hatten, die für sie da war.

Ein weiterer sogenannter "Schlüsselfaktor der Resilienz" ist das soziale Umfeld. Ein gutes Netzwerk und die Fähigkeit, gut mit anderen zu kommunizieren, stärken die psychische Stabilität des Einzelnen. Ebenso wichtig sind die Ressourcen, die uns zu Verfügung stehen: genug Nahrung, saubere Luft zum Atmen, sauberes Wasser. Dinge, die wir als selbstverständlich ansehen, in vielen Krisenregionen jedoch Mangelware sind.

Resilienz sei allerdings keine starre, in Stein gemeißelte Eigenschaft, schreibt Raffael Kalisch. Ein Mensch, der eine Kündigung gelassen hinnimmt, kann nach einer Krebsdiagnose in eine Depression verfallen. Auch äußere Resilienz-Faktoren seien nicht unbedingt stabil. So könne durch den Tod oder Umzug einer nahen Person jederzeit eine wichtige soziale Stütze wegbrechen.

Video: Resilienz und mentale Belastung

Self-Care und Resilienz: Diese Tipps können euch stärker machen

  • Auf Körpersymptome achten. Jeder Mensch reagiert anders auf Stress: Herzklopfen, Magenbeschwerden, Flachatmung oder Schlaflosigkeit sind gängige Anzeichen. Wenn ihr sie bemerkt, solltet ihr sie ernst nehmen und beobachten: Wann tauchen sie auf? Je nachdem, welche Ursachen dahinterstecken, könnt ihr gegensteuern.
  • Die eigenen Werte entdecken: Was ist mir wirklich wichtig im Leben? Um das herauszufinden hilft eine Übung: Stellt euch vor, ihr haltet eine Grabrede für euch selbst. Oder: Ihr feiert euren 80. Geburtstag. Was soll in der Rede über euch gesagt werden? Je nachdem, wie das Ergebnis ausfällt, könnt ihr versuchen, euer Leben danach auszurichten.
  • Ausreichend schlafen, die Schlafhygiene pflegen: keine elektronischen Geräte im Schlafzimmer, keine störenden Lichtquellen, frische Luft, eine gute Matratze.
  • Für eine gute, ausgewogene Ernährung sorgen: Fertigprodukte und Zucker meiden, dafür ballaststoffreiche Lebensmittel wie Vollkornprodukte, Obst, Gemüse und Nüsse verzehren. Das wirkt sich auch auf das Mikrobiom aus, also auf die Vielfalt der Bakterien in unserem Darm. Ein vielfältiges Mikrobiom hat wiederum positive Auswirkungen auf unsere Stimmung.
  • Übertriebenes positives Denken vermeiden, die eigenen Fähigkeiten realistisch einschätzen.
  • Yoga-Übungen machen oder regelmäßig meditieren.
  • Wenn ihr merkt, es wird alles zu viel, Grenzen setzen. Das bedeutet auch: "Nein" sagen.

Video: So werdet ihr mental stärker

Grenzen ziehen: Zwischen Resilienz und Selbstoptimierungswahn

Das Konzept der Resilienz wird in der Wirtschaft längst genutzt, um die Produktivität zu steigern. Im Resilienz-Seminar sollen Arbeitnehmer an ihrer Widerstandskraft arbeiten, damit sie später besser unter Leistungsdruck funktionieren. Doch macht das nicht erst recht krank? Sollten wir nicht eher Druck rausnehmen, statt noch eine Schippe draufzulegen? "Das ist tatsächlich so, dass das Konzept der Resilienz oft missbraucht wird, um die Selbstoptimierung zu steigern", stimmt Psychotherapeutin Isabella Helmreich zu.

Von den "Nebenwirkungen der Resilienz" spricht die Resilienzforscherin in diesem Zusammenhang. Und erklärt: Resilient sein heißt nicht, sich immer mehr zu verbiegen, um sich den äußeren Umständen anzupassen, sondern auch Grenzen zu ziehen: "Stopp! Hier geht es nicht mehr weiter." Strukturelle Probleme, die jenseits der Verantwortung des Einzelnen lägen, sollten auch strukturell gelöst werden. "Wenn die Arbeitsbelastung zu hoch ist, muss ich mit meinem Chef oder Chefin reden, da muss man gemeinsam eine Lösung finden." Dass diese Auffassung von Resilienz bei vielen Arbeitgebern noch nicht durchgesickert ist, gibt Helmreich gerne zu. Trotzdem glaubt die Psychotherapeutin an ein allmähliches Umdenken. So habe die Pandemie beispielsweise das Forschungsfeld der "resilienten Gesellschaft" befeuert. Dahinter stünde die Frage: Wie bewältigen wir eine Krise als Kollektiv?

Resilienz und Trauer: "Menschen sind keine Teflonpfannen"

Nicht alles ist bewältigbar. "Wenn wir einen Menschen verlieren, den wir lieben, dann ist es nur natürlich, dass wir traurig sind, niedergeschlagen, antriebslos, oder viel weinen", sagt Isabella Helmreich. Diese Gefühle sollten wir auch zulassen. Stattdessen schieben wir sie oft weg, weil sie in unserer Gesellschaft negativ konnotiert sind. Menschen mit Depressionen würden immer noch häufig stigmatisiert. "Deswegen wollen wir lieber wie eine Teflonpfanne sein", stellt Helmreich fest. Das mache uns jedoch nicht resilienter, ganz im Gegenteil. "Negative Gefühle gehören dazu, es ist ganz wichtig zu lernen, mit ihnen umzugehen, dann können wir auch positive Situationen wieder besser genießen."

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