Gendermedizin Frauen haben andere Symptome als Männer
Männer und Frauen gleichbehandeln? Nicht in der Medizin. Es gibt geschlechtsspezifische Unterschiede bei Krankheiten und Symptomen, die erkannt werden müssen. Fehldiagnosen können sonst die Folgen sein. Beim Herzinfarkt ist das lebensgefährlich.
Video: Was bedeutet Gendermedizin?
Diagnose Herzinfarkt: Welche Symptome Frauen haben
Bekannte Symptome von Krankheiten betreffen meist Männer. Die von Frauen sind weniger bekannt. Ein Beispiel: der weibliche Herzinfarkt.
Ein Stechen in der Brust. Schmerzen, die in den linken Arm ausstrahlen. Kalter Schweiß. Das sind bekannte Anzeichen für einen Herzinfarkt. Betroffene oder Angehörige reagieren meist sofort und rufen den Notarzt. Aber würdet ihr das auch bei Übelkeit, Schulter- und Kieferschmerzen tun? Ein Blick in die Statistik sagt: Nein. Doch genau das sind bei Frauen typische Symptome für einen Herzinfarkt.
Frauen werden im Schnitt erst zwei Stunden später in eine Klinik eingewiesen als männliche Herzinfarktpatienten. Und selbst dort werden ihre Symptome oft nicht erkannt. Die Information, dass es beim Herzinfarkt geschlechtsspezifische Symptome gibt, verbeitet sich nur langsam.
Video: Wichtige Unterschiede zwischen Frauen und Männern
Unterrepräsentiert: Frauen in der Medizin
Auch fachlich sind Frauen in der Medizin in der Minderheit. Vor allem auf dem Feld der Chirurgie.
Zwei Drittel der Studienanfängerinnen im Studienfach Medizin sind inzwischen weiblich. Trotzdem dominieren bis heute Männer in Forschung und Spitzenmedizin. Nur etwa jede dritte Oberarzt- und jede zehnte Chefarztposition ist in Deutschland mit einer Frau besetzt. Das hat Auswirkungen auf die medizinische Praxis und die Forschung. So wird an Frauen-Krankheiten auch weniger geforscht als an Männerkrankheiten. Endometriose ist ein Beispiel dafür.
Zusätzlich wurden medizinische Studien lange Zeit fast ausschließlich an männlichen Testpersonen durchgeführt. Anfangs waren Medizinstudenten die Versuchsteilnehmer, weil sie männlich waren. Mit der Zeit kamen andere Begründungen hinzu: Frauen würden mit ihrem schwankenden Hormonzyklus die Testgenauigkeit gefährden. Außerdem bestünde die Gefahr, bei schwangeren Frauen ein ungeborenes Kind zu gefährden. Der Contergan-Skandal in den 1960er-Jahren schien das zu bestätigen.
Unterschiede: Mehr als nur "Bikini-Medizin"
"Lange wurde nur separat untersucht, was unter einem Bikini steckt. Weil das so offensichtlich unterschiedlich war. Alles andere wurde als unspezifischer menschlicher Körper gesehen."
Sabine Oertelt-Prigione, Professorin für Geschlechtersensible Medizin an der Universität Bielefeld
Video: Gendermedizin hat Vorteile für Frauen und Männer
Krankheiten: Welchen Einfluss das Geschlecht hat
- Brustkrebs tritt zu 99 Prozent bei Frauen auf - aber auch bei Männern.
- Frauen leiden bis zu viermal so oft an Osteoporose. Bei Männern bleibt die Krankheit oft unentdeckt.
- Alzheimer kommt vermehrt bei Frauen vor.
- Frauen haben ein aktiveres Immunsystem. Das macht sie aber anfälliger für Autoimmunerkrankungen
- Auch Allergien wie Heuschnupfen sind bei Frauen häufiger.
- Die meisten Krebsarten haben eine höhere Todesrate bei Männern.
- Zwei von drei Herzinfarktpatienten sind Männer - aber Frauen sterben häufiger daran.
- Männer haben ein doppelt so hohes Risiko, an Parkinson zu erkranken.
- Männer leiden häufiger an Infektionskrankheiten.
- Diabetes kommt bei Männern deutlich häufiger vor.
Gender Data Gap: Der Mann als Norm in der Medizin
Die medizinische Norm ist der Mann. Auf ihn sind die meisten Behandlungen und Dosierungen von Medikamenten zugeschnitten.
Die Hälfte der Gesellschaft ist weiblich. Kaum zu glauben, dass der weibliche Körper in der Medizin immer noch als die Ausnahme von der Regel gilt. Die Norm ist: männlich, jung, fit, 178 Zentimeter groß und etwa 75 Kilogramm schwer. Nach diesem Maßstab werden künstliche Herzen und Hüftgelenke gefertigt und Medikamentendosierungen gemessen. Der männliche Normkörper schließt aber nicht nur Frauen aus, sondern auch viele Männer.
Frauen vs. Männer: Wo die Geschlechter sich unterscheiden
Vieles im menschlichen Körper hat Einfluss darauf, warum Krankheiten Frauen und Männer so unterschiedlich treffen: Die Anatomie, die Körpergröße, das Gewicht, die Muskelmasse und der Fettgehalt unterscheiden sich je nach Geschlecht. Auch die Organgröße ist von Bedeutung. Frauen haben kleinere Herzen. Ein weibliches Spenderorgan in einem Männerkörper könnte zu Versorgungsproblemen führen. Das Herz pumpt nicht stark genug. Künstliche Gelenke sind Männerkörpern nachempfunden, obwohl Frauen häufiger künstliche Knie- und Hüftgelenke benötigen als Männer.
Eine noch größere Rolle spielt die Genetik. Frauen haben zwei X-Chromosomen, Männer ein X- und ein Y-Chromosom. Das zieht sich durch jede einzelne Zelle und hat weitreichende Folgen. Zum Beispiel leiden Männer häufiger an Erbkrankheiten. Die jeweiligen Zellrezeptoren sprechen zudem unterschiedlich stark auf Medikamente an. Frauen brauchen im Schnitt doppelt so lang, um Medikamente abzubauen.
Auch die Geschlechtshormone, die männliche und weibliche Körper erzeugen, beeinflussen wie wir krank und wieder gesund werden. Vor allem das weibliche Östrogen. Es könnte ein Grund dafür sein, warum Frauen insgesamt besser durch die Corona-Pandemie gekommen sind als Männer. Das Hormon stärkt das Immunsystem und schützt die Gefäße. Deshalb haben Frauen ein geringeres Risiko für Infektionskrankheiten und erleiden seltener einen Herzinfarkt. Aber der Zauber wirkt nur begrenzt: In den Wechseljahren fährt der Körper die Östrogen-Produktion herunter und Frauen verlieren den vorteilhaften Schutz ihres Immunsystems.
Diagnose Depression: Welche Symptome Männer haben
Wut statt Trauer, Arbeitssucht statt Lethargie. Auch bei einer Depression haben Männer andere Symptome als Frauen.
Gendermedizin: Wie Fauen und Männer profitieren
- Die Gendermedizin ist auch ein Gewinn für Männer. Denn: Auch sie sind von medizinischen und gesellschaftlichen Vorurteilen betroffen, die zum Gesundheitsrisiko werden können. Und auch Männer erkranken zum Beispiel an Osteoporose und Brustkrebs oder leiden unter Depressionen.
- Als Patientin kann man sich an neueren Medikamenten und Entwicklungen in der Medizintechnik orientieren: Seit einigen Jahren müssen medizinische Studien Frauen anteilig einbinden.
- Immer mehr Kliniken greifen den Bereich der Gendermedizin auf. Und: Die aktuelle Regierungskoalition hat sie in das Medizinstudium integriert.
- Bis sich die Disziplin vollständig durchsetzen kann, empfiehlt sich vor allem für Frauen, ihre Hausärzte auf geschlechtsspezifische Unterschiede anzusprechen.
Geschichte: Die Anfänge der Gendermedizin
Mehr infos: Quellen und Sendungen zum Thema Gendermedizin
Quellen:
- Medical Women On Top: Dokumentation zu Ärztinnen in Führungspositionen (Deutscher Ärztinnenbund)
- Frauengesundheitsportal (BZgA)
- Männergesundheitsportal (BZgA)
- Gendermedizin: Informationen und Veröffentlichungen (München Klinik)
Sendungen:
- "Geschlechterspezifisches Training: Warum Frauen anders Sport treiben sollen als Männer": alpha-thema: Hormone, ARD alpha, 15.10.2024, 22.00 Uhr
- "Superstoff Testosteron - Mehr Kraft, mehr Lust, mehr Glück?": alpha-thema: Hormone, ARD alpha, 15.10.2024, 21.30 Uhr
- "Superstoff Östrogen - Mehr Power, mehr Balance, mehr Spaß?": alpha-thema: Hormone, ARD alpha, 15.10.2024, 21.00 Uhr
- "Gendermedizin mit Dr. Hildegard Seidl": BR Heimat - Habe die Ehre!, BR, 18.09.2024, 10.05 Uhr
- "Der tödliche Unterschied, Teil 2 - Warum Geschlechterklischees krank machen": Gesundheit!, BR Fernsehen, 27.08.2024, 19.00 Uhr
- "Der tödliche Unterschied, Teil 1 - Wie Frauen und Männer falsch behandelt werden": Gesundheit!, BR Fernsehen, 20.08.2024, 19.00 Uhr
- "Der weibliche Zyklus - Lebenskreislauf im Verborgenen": Nah dran, Bayern 2, 18.04.2024, 9.05 Uhr
- "Nur ein kleiner Unterschied - Die Entdeckung der Gendermedizin": Gesundheit!, BR, 05.03.2024, 19.00 Uhr
- "Der tödliche Unterschied: Wie die Medizin der Zukunft gerechter wird": alpha-thema: Gendermedizin, ARD alpha, 08.11.2023, 22.50 Uhr
- "Der tödliche Unterschied: Warum Geschlechterklischees krank machen": alpha-thema: Gendermedizin, ARD alpha, 08.11.2023, 22.15 Uhr
- "Der tödliche Unterschied: Wie Männer und Frauen falsch behandelt werden": alpha-thema: Gendermedizin, ARD alpha, 08.11.2023, 21.45 Uhr
- "Frauen sind anders, Männer auch: Gendermedizin": treffpunkt medizin, ARD alpha, 23.09.2023, 17.00 Uhr
- "Medizin und Geschlecht: So unterscheiden sich Symptome und Therapien": Planet Wissen, WDR, 18.08.2023, 10.55 Uhr
- "Sodbrennen, Zärtlichkeiten, Gendermedizin": aktiv und gesund, BR, 27.06.2023, 14.15 Uhr
- "Gendermedizin: Frauen sind anders krank": SWR2 Wissen, SWR2, 07.06.2023, 08.30 Uhr
- "Warum brauchen wir Gendermedizin?": Campus Talks, ARD alpha, 29.05.2023, 22.15 Uhr
- "Gendermedizin - Männer und Frauen anders behandeln?": WDR 5 Quarks, WDR 5, 16.03.2023, 16.05 Uhr
- "Der tödliche Unterschied - warum das Geschlecht ein Gesundheitsrisiko ist": Doku-Reihe in 6 Teilen, MDR, 12.03.2023
- "Fremd. Körper. Frau. Die rätselhafte Patientin": Der Tag, hr2-kultur, 27.02.2022, 18.05 Uhr
- "Anatomisch anders - neue Erkenntnisse der Gendermedizin": hr-iNFO Das Thema, hr-iNFO, 27.02.2023
- "Nur ein 'kleiner Unterschied'? - Die Entdeckung der Gendermedizin": ARD Wissen, Das Erste, 27.02.2023, 22.50 Uhr
- "Gendermedizin im Sport - Warum 'zyklusorientiertes Training' Frauen stärker macht": Gesundheit! BR, 14.02.2023, 19.00 Uhr
- "Medizin und Geschlecht: So unterscheiden sich Symptome und Therapien": Planet Wissen, WDR, 17.01.2023, 10.55 Uhr
- "Gendermedizin - Warum sind Frauen oft anders krank als Männer?": Frag dich fit, WDR 2, 25.11.2022
- "Wie groß ist der 'kleine' Unterschied? - Gender-Medizin auf dem Prüfstand": Dienstags direkt, MDR SACHSEN, 07.09.2022, 20.00 Uhr
- "Warum wir Gendermedizin brauchen": Quarks im Ersten, Das Erste, 09.07.2022
- "Frauen leiden anders - Männer auch": radioWissen, Bayern 2, 10.03.2022, 09.05 Uhr
- "Geschlecht endlich mitdenken - Sabine Oertelt-Prigione kämpft für eine geschlechtersensible Medizin": SWR2 Tandem, SWR2, 13.07.2021, 19.05 Uhr
- "Gender Medizin - eine gerechte Medizin für alle": Perspektiven, NDR Info, 10.06.2021
- "Biologische Unterschiede machen Gendermedizin nötig": quarks, WDR, 08.06.2021, 20.15 Uhr