Biodiversität Unbeliebte Tiere: Wichtig für Ökosysteme - aber ohne Lobby
Spinnen, Würmer oder Käfer: Findet ihr manche Tiere eklig oder zum Fürchten? "Unbeliebte" Tiere haben beim Artenschutz oft wenig Lobby. Wir erklären euch, warum das so ist - und weshalb sie für Ökosysteme unerlässlich sind.
Die Arktis schmilzt und lässt den Lebensraum des Eisbären schwinden. Waldbrände und das Abholzen der Wälder bedrohen Pandas, Koalas und Kängurus. Diese Tiere haben eine Gemeinsamkeit: Wir finden sie häufig "niedlich". Deshalb haben sie auch viele Unterstützer, die sich für ihr Überleben einsetzen. Für andere, weniger beliebte Lebewesen, setzen wir uns hingegen nicht so stark ein. Untersuchungen zeigen, dass Tiere, die wir als "unsympathisch", "hässlich" oder "eklig" empfinden und zusätzlich als "gefährlich" einschätzen, seltener eine Lobby haben. Diese Lebewesen sind auch häufiger vom Aussterben bedroht. Aber warum ist das so - und weshalb sind sie so wichtig für Ökosysteme und Nahrungsnetze?
"Niedlich": Warum manche Tiere beliebter sind
Ein Pandabär sitzt vor einem Baumstamm und knabbert Bambus. Pandas haben beim Artenschutz viele Unterstützer.
Forschende in Japan haben herausgefunden, dass wir Tiere und Dinge "niedlich" finden, die elterliche Instinkte wie Fürsorge wecken. Wir empfinden als "niedlich", was am ehesten dem Kindchenschema entspricht. Das bedeutet: Hat das Lebewesen eine hohe Stirn und ein kleines Kinn, gleicht es am ehesten einem Säugling. Weltweit gibt es nur geringfügige, kulturelle Unterschiede, was als "niedlich" angesehen wird.
Spinnen: Sie haben einen schlechten Ruf
Für viele Menschen ein Alptraum: junge Spinnen auf einer Nachtaufnahme. Die meisten Spinnen sind jedoch für Menschen ungefährlich.
Auch Ängste vor bestimmten Tieren wie Spinnen sind weit verbreitet. Ein Wissenschaftlerteam um die US-Spinnenexpertin Catherine Scott kam zu dem Schluss, dass Spinnen in den Nachrichten weltweit häufig sehr negativ dargestellt werden. Berichte über die Achtbeiner seien oft sogar reißerisch. Obwohl viele Menschen Angst vor Spinnen haben, sei dies meist unbegründet: Von rund 50.000 Spinnenarten sind die wenigsten gefährlich, sagt die Spinnenexpertin. In Deutschland sind bereits 32 Prozent der Spinnen gefährdet oder ausgestorben. Dabei sind Spinnen sehr nützlich - sogar für unsere Felder: Sie ernähren sich von Schädlingen.
Beispiel Fische: Gelbe Fische am häufigsten erforscht
Ein Schwarm gelber Blaustreifen-Schnapper schwimmt vor einem Korallenriff.
Wie gut wir Ökosysteme verstehen, hängt auch davon ab, welche Arten wir erforschen. Studien zufolge wird selbst in der Forschung und der Finanzierung von Studien unbewusst nach Kriterien wie "Beliebtheit", "Attraktivität" und "Auffälligkeit" entschieden. Das passiert insbesondere, wenn Ökosysteme im Fokus stehen, die eine hohe Artenvielfalt aufweisen. Wissenschaftler fanden heraus, dass gelbe Fische in Korallenriffen wie dem Great Barrier Reef häufiger erforscht werden als andere Fische. Das kann damit zusammenhängen, dass sie einfach näher am Riff leben, schneller zu finden und weniger scheu sind. Kleinere, unscheinbarere Fische, die versteckt am Meeresboden oder auch über dem Riff leben, werden hingegen weniger häufig erforscht - und sogar seltener gezählt. Dabei erfüllen sie wichtige Funktionen: Sie sind die Beute anderer Fische oder fressen Plankton. Das wiederum kann sich auf das komplette Ökosystem auswirken. Die Wissenschaftler fanden außerdem heraus, dass unscheinbarere Fadenfische für das Riff wichtig sind: Sie fressen Makroalgen an der Koralle, die dem Riff schaden können.
Mandarinfische mögen warmes Wasser. Zwar werden die kleinen Fische wegen ihres Musters für Aquarien gejagt, sind aktuell aber nicht gefährdet.
"Unattraktive" Fische: Mögen häufiger kältere Gewässer
Vor allem auf dem Teller beliebt: In der Nordsee geht der Bestand der Seeteufel und Kabeljaus aufgrund von Überfischung zurück.
Wissenschaftler am "The French National Centre for Scientific Research" untersuchten die Gründe, warum bestimmte Fische deutlich besser erforscht sind und welche Folgen das für den Artenschutz hat. Demnach lösen äußerliche Komponenten, die sich leicht vom Hintergrund abgrenzen lassen, im menschlichen Gehirn Freude aus. Das bedeutet, dass wir bunte Fische eher als "attraktiv" empfinden. Gerade unscheinbarere oder aus mancher Sicht "unattraktive" Fische sind demnach aber tendentiell die evolutionär ältesten Arten und am stärksten bedroht. Diese Fische leben öfter in kühleren Gewässern und sind häufig größer. Sie ernähren sich von anderen Fischen oder Plankton. Da das Meer aufgrund des Klimawandels wärmer wird, verschiebt oder verkleinert sich der Lebensraum dieser Fische. Auch ihre Nahrung wird weniger. Fische wie der Kabeljau sind zusätzlich häufig überfischt. "Attraktivere" Fische hingegen sind den Forschern zufolge evolutionsgeschichtlich jünger, zu klein für den kommerziellen Fischfang und bevorzugen wärmere Gewässer.
Weniger Forschung: Statistik verzerrt?
Die Tendenz, dass wir "beliebte" Arten eher schützen, zeigt sich auch in anderen Bereichen. Seltene, kleine oder vermeintlich "unsympathische" Lebewesen wie Spinnen, Reptilien und Insekten haben in Ökosystemen zwar oft entscheidende Funktionen, erhalten aber häufig weniger Aufmerksamkeit. Ein Beispiel: Vogelfreunde melden öfter Sichtungen als Reptilienfans.
In Australien wurde festgestellt, dass die unbeliebteren Arten sogar weniger Fördergelder erhalten. Das kann dazu führen, dass die Statistik verzerrt wird. Demnach wurden die "beliebten" Beuteltiere häufiger auf ihre Anatomie untersucht, bei den "unbeliebteren" Säugetieren lag der Schwerpunkt hingegen mehr auf Populationskontrolle. Nagetiere und Fledermäuse wurden aber kaum erforscht, obwohl sie ein hohes Vorkommen in Australien haben.
Weltweit sind die größten und kleinsten Lebewesen am stärksten vom Aussterben betroffen: Die größten, weil sie der Jagd zum Opfer fallen, die kleinsten, weil sie weitgehend unerforscht sind.
Parasitische Wespen: Gegenspieler zu Getreideblattläusen
Getreideblattläuse befallen einen Weizenhalm. In der Natur können Schlupfwespen ihr Vorkommen regulieren und damit Ernten schützen.
Wie nützlich selbst die kleinsten und unscheinbarsten Arten sind, zeigt das Beispiel der Schlupfwespen, sagt Agrarökologe Prof. Dr. Teja Tscharntke von der Universität Göttingen. Etliche Arten von Schlupfwespen sind Gegenspieler der Getreideblattläuse. Eine Untersuchung verdeutlicht, dass Schlupfwespen Getreideblattläuse auf Getreidefeldern regulieren können. Schlupfwespen legen ihre Eier nämlich in die Blattläuse, aber auch in Larven von Schmetterlingen, und die daraus schlüpfenden Larven ernähren sich von ihnen. Nachdem die Wespen-Larven sich voll entwickelt haben, töten sie ihren Wirt, verpuppen sich - und die erwachsenen Wespen schlüpfen aus der toten Blattlaushülle. Andere Arten von Schlupfwespen helfen außerdem gegen Weiße Fliegen im Gewächshaus, die gerne Kohl oder Tomaten befallen. Das bedeutet auch: Schlupfwespen können den Einsatz von Pestiziden reduzieren. Aber auch sie sind vom Insektensterben betroffen. Durch den Klimawandel, den Anbau von Monokulturen und den Einsatz von Pestiziden sind Schlupfwespen gefährdet.
Zitat: Unscheinbare Arten sind wichtig
"Wer bestimmt, ob ein Schmetterling oder eine Schlupfwespe mehr wert ist? Auch die unscheinbaren Arten spielen eine wichtige Rolle für die Interaktionen in Lebensgemeinschaften. Viele sind ohnehin selten und Umweltschwankungen ausgesetzt. Das wird durch den Klimawandel noch verstärkt."
Prof. Dr. Teja Tscharntke, Agrarökologe, Universität Göttingen
Fleißige Käfer: "Pillendreher" sorgen für Gras
Der "Pillendreher" genannte Käfer rollt den Mist von Huftieren. Diese Aufgabe ist essentiell, um das Graswachstum zu fördern.
"Pillendreher" werden bestimmte Mistkäfer genannt, die in Mitteleuropa und auf dem afrikanischen Kontinent vorkommen. Die Männchen formen den Kot von pflanzenfressenden Tieren zu Kugeln und transportieren ihn über mehrere Meter, um ihn anschließend im Boden zu vergraben. Darauf legen die Weibchen dann ihre Eier ab. Indem sie die Kugeln wegtransportieren, schützen sie den Dung vor anderen Männchen. Nachts orientieren sich die Käfer für ihren Weg an der Milchstraße. Dadurch legen sie eine gerade Strecke zurück, wie Biologen herausfanden. Ihr Verhalten sorgt dafür, dass Gräser wachsen können und nicht durch den Dung daran gehindert werden. Da einige Pillendreher auf Elefantendung spezialisiert sind, könnten sie mit den Elefanten aussterben.
Würmer, Flöhe & Co.: Haben wichtige Funktionen
Der Saitenwurm lebt in Heuschrecken und sorgt gleichzeitig für Biodiversität in Gewässern.
Bandwürmer, Zecken, Bakterien oder Läuse leben von Wirten. Sie werden in der Wissenschaft als Parasiten bezeichnet. Ist der Wirt, auf den sie sich spezialisiert haben, bedroht, können auch sie verschwinden. Diese Lebewesen sind aber nicht immer harmlos: Viele Zecken, Flöhe und Co. lösen Krankheiten aus, wie beispielsweise auch der Fadenwurm bei Menschen. Wissenschaftler gehen aber auch davon aus, dass viele dieser Lebewesen für Ökosysteme wichtiger als bisher angenommen sind. Laut dem Biologen Lothar Frenz stellt sich dabei die Frage, ob beim Artenschutz nicht auch Lebewesen wie Flöhe und Würmer gleiche Rechte haben sollten.
Auch diese Lebewesen können eine Schlüsselfunktion in einem Ökosystem einnehmen
Der Saitenwurm sorgt dafür, dass sein Wirt, die Heuschrecke, im Wasser verendet. Eine Kettenreaktion setzt sich in Gang: Von den Heuschrecken ernähren sich Fische. Diese Fische würden anstelle der Heuschrecken sonst kleinere Tiere fressen. Das bedeutet: Durch die toten Heuschrecken gibt es mehr Lebewesen im Wasser, die sich von Algen und Laub ernähren und so das Wasser "reinigen".
Darüber hinaus haben wir alle Bakterien im Magen. Einige können gefährlich sein, andere sind harmlos. Wissenschaftler gehen sogar davon aus, dass Bakterien im Magen nützlich sind und Immunsysteme auf Trab halten. Das kann sich auch in der Tierwelt zeigen: Nach einer Antiwurmbehandlung starben junge Austernfischer, eine Vogelart. Ohne die Bakterien im Darm konnte sich das Immunsystem der Vögel nicht richtig entwickeln. Internationale Wissenschaftler kamen sogar zu dem Schluss, dass Bandwürmer das Leben von Ameisen beeinflussen: Obwohl angeschlagen, lebten die befallenen Ameisen länger.
Mücken: Ohne sie gäbe es weniger Schokolade
Die Kakaoblüten sind so klein, dass nur wenige Insekten sie bestäuben können. Bestimmte Bartmücken gelten als Hauptbestäuber.
Die Kakaopflanze stammt aus dem Amazonasgebiet und wird heute auch auf dem afrikanischen Kontinent und in Asien angebaut. Da die Blüten sehr klein sind, können sie auch nur von sehr kleinen Insekten bestäubt werden. Bestimmte Bartmücken gelten als die Insekten, die die Blüten des Kakao hauptsächlich bestäuben. Die Bartmücke bevorzugt die schattigen Wälder des Amazonas und auch in kommerziellen Kakaoanbaugebieten fühlen sich Insekten wohler, wenn es schattig ist. In der Natur werden nur etwa fünf bis zehn Prozent der Blüten bestäubt. Zwar gibt es Hinweise, dass auch andere Mücken den Kakao bestäuben könnten. Klimawandel, Wassermangel und weniger Auswahl an Aromen durch die Monokulturen in den Anbaugebieten setzen den Bestäubern aber mittlerweile weltweit zu. So sehr, dass teilweise, wie bereits bei Vanille und Maracuja, auf Handbestäubung zurückgegriffen werden muss - eine mühsame, aufwändige und kostenspielige Variante der Bestäubung.
Gruselig-niedlich: Wie ihr unbeliebte Tiere trotzdem mögen könnt
Das Aye-Aye wird aufgrund seiner skurrilen Krallen auch "Fingertier" genannt. Es lebt auf Madagaskar und ist vom Aussterben bedroht.
Die Beispiele aus der Natur zeigen: Alle Lebewesen haben ihre Aufgabe in Ökosystemen - auch die unbeliebten und unscheinbaren. Machen wir uns das bewusst, kann uns das beim Artenschutz voranbringen.
Die Wissenschaftler, die darüber forschen, was wir "niedlich" finden, kamen außerdem zu einem Schluss, der vielleicht gar nicht so positiv für beliebte Tiere ist. Finden wir ein Tier niedlich, verspüren wir den Drang, es zu drücken, zu kneifen oder "spielerisch anzugreifen". Das machen wir, um unsere positiven Emotionen zu regulieren.
Die Forscher kamen auch zu einem weiteren, hoffnungsvollen Schluss: Neben dem Kindchenschema gibt es auch eine skurrile Dimension von "niedlich". Diese ginge mit Beschreibungen wie "launisch", "verspielt" und "lustig" einher. Tiere sind bisher von diesem Aspekt seltener betroffen. Entdecken wir jedoch die faszinierenden, skurrilen, lustigen, teilweise einzigartigen und vielseitigen Eigenschaften von Lebewesen, kann uns das helfen, die Natur mehr zu schätzen.
Reptilien: Was sie so besonders macht
Mehr Wissen: Literaturempfehlungen
- Fischer, Frauke / Oberhansberg, Hilke: Was hat die Mücke je für uns getan? Endlich verstehen, was biologische Vielfalt für unser Leben bedeutet. Oekom Verlag, München 2021.
- Frenz, Lothar: Wer wird überleben? Die Zukunft von Natur und Mensch. Rowohlt, Berlin Verlag GmbH, Berlin 2021.
- Frenz, Lothar: Lonesome George oder "Das Verschwinden der Arten". Rowohlt, Berlin Verlag GmbH, Berlin 2017.
- Goulson, Dave: Stumme Erde. Warum wir die Insekten retten müssen. Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG, München 2022.
- Settele, Josef: Die Triple-Krise. Artensterben, Klimawandel, Pandemien. Warum wir dringend handeln müssen. Edel Books, Hamburg 2020.
- Steffens, Dirk / Habekuss, Fritz: Über Leben. Zukunftsfrage Artensterben: Wie wir die Ökokrise überwinden. Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, München 2020.
Weitere Quellen und Sendungen: Mehr zum Thema Artensterben und Artenvielfalt
- Studie zum Konzept "Niedlichkeit" (journals.sagepub.com)
- Studie über Spinnen in den Medien (cell.com)
- Studie über Fische an Korallenriffen (academic.oup.com)
- Studie über die ästhetische Wahrnehmung von Fischen (journals.plos.org)
- Langzeituntersuchungen zur biologischen Kontrolle von Getreideblattläusen durch Schlupfwespen (Georg-August-Universität Göttingen)
- Das Verhalten von Mistkäfern bei Licht (pubmed.ncbi.nlm.nih.gov)
- Der Einfluss von Bandwürmern auf Ameisen (royalsocietypublishing.org)
- "Klebekünstler - total phänomenal": Planet Schule, SWR, 17.08.2022, 05.45 Uhr
- "Das große Artensterben - Was wir jetzt noch tun können": Planet Wissen, WDR, 26.04.2023, 10.45 Uhr
- "Tiere im Klimastress": Alles Wissen, HR, 17.11.2022, 20.15 Uhr