Sex & Orgasmus Der Höhepunkt der Lust
Sex gipfelt irgendwann im Orgasmus. Den Höhepunkt erlebt aber nicht jeder, manchmal wird er vorgetäuscht, selten kommen beide gleichzeitig. Wenn das mit dem Orgasmus so kompliziert ist - warum gibt es ihn dann überhaupt?
Nervenkitzel: Was beim Sex im Hirn passiert
Bei einer Frau dauert der Orgasmus laut Studien zwischen 13 und 51 Sekunden. Bei einem Mann dauert der Höhepunkt durchschnittlich 12,2 Sekunden. Während bei beiden die Sicherungen durchbrennen: Was passiert dabei eigentlich im Körper?
In der Erregungsphase sind bei Mann und Frau noch unterschiedliche Gehirnbereiche aktiv. Aber beim Orgasmus ticken beide gleich, erklärt Mihaela Pavlicev, Professorin für Theoretische Evolutionsbiologie an der Universität Wien. "Es kommt zu einer Stimulation, die dann durch Nerven übertragen wird, sowohl durch das Rückenmark wie durch einen granialen Nerv direkt ins Gehirn." Im Gehirn werden dann verschiedene Regionen aktiviert.
Audio: Das passiert beim weiblichen Orgasmus
Der Orgasmus: Ein Feuerwerk der Hormone
Areale der Großhirnrinde fahren herunter, die für moralisches Empfinden zuständig sind. Dahinterliegende Strukturen in Kleinhirn und Hirnstamm übernehmen. Die Hypophyse - die Hirnanhangsdrüse - zündet ein Feuerwerk der Hormone: Das Glückshormon Dopamin treibt die Lust an, Vasopressin und Oxytocin stärken das Vertrauen in Sexualpartnerin und Partner und machen Mut - für verwegene Stellungen zum Beispiel. Schließlich lösen Endorphine den Belohnungsmechanismus aus. Prolaktin erzeugt Befriedigung, im Idealfall bei beiden Partnern.
Flaute im Bett: Stress stört den Sex
Eine erste Hürde auf dem Weg zum gemeinsamen Orgasmus: Beide Partner müssen den Kopf frei haben. "Hier spielen auch Stress, fehlende Kommunikation mit dem Partner oder andere Probleme in der Partnerschaft eine weitaus größere Rolle als die Hormone", sagt Gynäkologin Maria Franz vom Hormon- und Kinderwunschzentrum der LMU München. Doch auch, wenn Stressfaktoren ausgeschaltet sind, bleibt es kompliziert.
Reinhören: Orgasmus - auf dem Weg zum Höhepunkt oder auch nicht
Orgasm Gap: Nicht alle Frauen haben einen Orgasmus mit ihrem Partner
2017 befragten amerikanische Forscher über 50.000 Frauen und Männer zwischen 18 und 65 Jahren. Ein Drittel der Frauen gab an, mit dem männlichen Partner gar nicht zum Höhepunkt zu kommen. 95 Prozent der Männer erlebten ihren Höhepunkt jedoch sehr wohl mit ihr. Die Wissenschaft spricht in Anlehnung an den Gender Pay Gap (Frauen verdienen weniger als Männer) von einem Orgasm Gap.
Für einen internationalen Forschungsüberblick analysierten Wissenschaftler der Technischen Universität Ilmenau im Jahr 2022 über 20 verschiedene Studien zum Orgasm Gap. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass beim Heterosex etwa zwischen 30 und 60 Prozent der Frauen kommen, bei den Männern sind es zwischen 70 und 100 Prozent. Die Orgasmus-Lücke schließe sich tendenziell mit zunehmender sexueller Erfahrung. Die größten Unterschiede gibt es demnach beim ersten Sex, bei dem nur 7 Prozent der befragten Frauen gegenüber 79 Prozent der Männer einen Orgasmus erlebten. Der Auswertung zufolge erreichen Frauen mit festen Partnern eher einen Höhepunkt als mit unverbindlichen Bekanntschaften. Dies könne unter anderem daran liegen, dass Männer sich in festen Beziehungen tendenziell mehr um die Befriedigung ihrer Partnerin bemühen.
Die Klitoris, auch Kitzler genannt, gilt als das Zentrum weiblicher Lust. Sie besteht unter anderem aus Muskeln, Schwellkörpern und Nerven. Mit rund 8.000 Nervenenden besitzt sie fast doppelt so viele wie ein Penis. Einen Unterschied macht hier die Anatomie: Bei Frauen liegt das eigentliche Zentrum der Lust, die Klitoris, größtenteils außerhalb des Körpers und etwas von der Vagina entfernt. Zwar sind beide über Nervenfasern miteinander verbunden, doch wenn die Klitoris beim Sex mit dem Partner nicht mitstimuliert wird, kommen viele Frauen nicht zum Orgasmus. Wenn sie sich selbst befriedigen dagegen schon.
Wissenschaftler sagen, die Anatomie der Frau sei ein Phänomen der Evolution: Bei den meisten Säugetierweibchen liegen die erregbaren Körperteile an der Stelle, an der auch der Penis eindringt. Sie werden also automatisch getriggert - bei vielen Tieren, Kaninchen, Katzen und Frettchen zum Beispiel, löst das den Eisprung aus. Im Embryo entwickeln sich Penis oder Klitoris aus dem anatomisch gleichen Gewebe. Das könnte erklären, warum die Klitoris so weit weg von der Vagina ist.
Audio: Was ist der Orgasm-Gap?
Überbleibsel der Evolution? Warum es den Orgasmus gibt
Bei Männern dient der Orgasmus der Ejakulation, also dem Verteilen der Spermien. Und bei Frauen? Die Wiener Evolutionsbiologin Mihaela Pavlicev sagt, dass der weibliche Höhepunkt keinen Einfluss auf die Befruchtung hat. Sie untersucht gerade, ob der Orgasmus der Frau stattdessen das Immunsystem beeinflusst. Fest steht: Selbst, wenn der weibliche Orgasmus keinen direkten Nutzen haben sollte - dann wäre er immerhin eines der schönsten Überbleibsel der Evolution.
Multiple Orgasmen: Nicht nur Frauen können multiple Orgasmen erleben
Das Phänomen, multiple Orgasmen erleben zu können, wird häufig nur Frauen zugeschrieben. Theoretisch können auch Männer die Erfahrung von multiplen Orgasmen machen. Während der weibliche Körper nach dem Höhepunkt schnell wieder für sexuelle Erregung empfänglich ist, braucht der männliche zuerst eine Erholungsphase. Nach einer Pause ist es jedoch auch Männern möglich, erneut zu kommen.
Sendungen: Mehr zu Sex und Orgasmus
- Forschungsüberblick der Technischen Universität Ilmenau zu Geschlechterdifferenzen in der Orgasmus-Häufigkeit beim Heterosex, 2022
- "Let's talk about Sex - 100 Jahre Aufklärung: Revolution, Pornowelle und Internet": alpha-geschichte, ARD alpha, 12.10.2024, 21.05 Uhr
- "Let's talk about Sex - 100 Jahre Aufklärung: Von Ekstase, Prüderie und Pille": alpha-geschichte, ARD alpha, 12.10.2024, 20.15 Uhr
- "Guter Sex beginnt im Kopf?": MERYNS Sprechzimmer, ARD alpha, 24.08.2024, 17.00 Uhr
- "Wie geht guter Sex? Fragt Tan Caglar": Selbstbestimmt, MDR, 13.08.2023, 08.00 Uhr
- "Abend Show (3) - Sex und Schlaf": Nachtstudio, Bayern 2, 25.07.2023, 20.05 Uhr
- "Liebe, Sex und Partnerschaft": Notizbuch, Bayern 2, 15.05.2023, 10.05 Uhr
- "Penissimo": Männerwelten, alpha-thema, ARD alpha, 29.03.2023, 22.15 Uhr
- "Sex - (k)ein Tabuthema?": alpha-demokratie weltweit, ARD alpha, 16.01.2023, 23.25 Uhr
- "Orgasmus für die Wissenschaft": Doktorspiele, SWR 3, 09.01.2023
- "Wie wir guten Sex haben - mit 'Ist das normal?'": Im Namen der Hose, Puls, BR, 03.09.2022, 00.00 Uhr
- "Wie Paare guten Sex lernen können": Notizbuch, 22.07.2022, Bayern 2, 10.05 Uhr
- "'Orgasmen sind vielfältig!' 'vaginale' Orgasmen und mehr": 1LIVE Intimbereich, WDR, 05.07.2022
- "Selbstbefriedigung: Bin ich normal?": Auf Klo, funk, Das Erste, 28.02.2022
- "Sex 2.0. Die Lust am Superreiz?": MDR Wissen, 19.12.2021, 22.20 Uhr
- "Warum Frauen ihre Libido verlieren": Shorts, Im Namen der Hose, PULS, 06.11.2021, 00.00 Uhr
- "Chemie der Liebe: Orgasmus - Gipfel der Lust": IQ - Wissenschaft und Forschung, Bayern 2, 16.07.2021, 18.05 Uhr
- "Chemie der Liebe: Kribbeln im Bauch": IQ - Wissenschaft und Forschung, Bayern 2, 14.07.2021, 18.05 Uhr
- "Chemie der Liebe: Evolution des Verliebens": IQ - Wissenschaft und Forschung, Bayern 2, 07.07.2021, 18.05 Uhr
- "Chemie der Liebe: Sich lieben hält fit": IQ - Wissenschaft und Forschung, Bayern 2, 05.07.2021, 18.05 Uhr
- "Die Liebe der Sex und ich - Generation what?": Planet Schule, SWR, 03.07.2021, 10.45 Uhr
- "Diskussion zu: Die Sex-Lüge: Warum 1000mal nichts passiert": Campus Talks, ARD alpha, 26.04.2021, 22.20 Uhr
- "Bettina Stangneth: 'Sexkultur" - Sprechen über den Orgasmus'": Lesart, Deutschlandfunk Kultur, 05.12.2020
- "Liebe, Lust und mehr": crossmedia 2020, Medienkompetenz, BR, 25.11.2020
- "Über Sex reden": Capriccio, BR, 20.10.2020, 22.00 Uhr
- "Sex, Wohlbefinden und Gesundheit": Notizbuch, Bayern 2, 12.10.2020, 10.05 Uhr
- "Mehr Achtsamkeit im Bett": Puls Reportage, BR, 04.03.2020
- "Gleichberechtigung beim Sex": Im Namen der Hose, Puls, BR, 23.11.2019
- "Lust und Liebe": Notizbuch - Gesundheitsgespräch, Bayern 2, 11.09.2019, 10.05 Uhr
- "Lets talk about love: Liebe, Leidenschaft und Sex auf dem Campus": Campus Magazin, ARD alpha, 15.02.2019, 10.30 Uhr
- "Wie Frauen den Orgasmus-Gap überwinden": Campus Magazin, ARD alpha, 14.02.2019, 22.15 Uhr
- "Weiblicher Orgasmus": Im Namen der Hose, Puls, BR, 15.09.2018