Synthetische Biologie Gibt es bald Lebewesen aus dem Labor?
Ölteppichfressende Bakterien, künstliche Fotosynthese oder fluoreszierende Pflanzen zur Landminenanzeige - alles ist denkbar für die Forschenden der synthetischen Biologie. Über Erfolge, Grenzen und Gefahren dieser Wissenschaft.
Das CO2 aus der Luft herausfiltern und in nützliche Verbindungen umwandeln - das wäre doch ein Weg aus der Klimakrise. Und tatsächlich scheint dies durchaus machbar zu sein. Tobias Erb, Direktor des Max-Planck-Instituts für terrestrische Mikrobiologie in Marburg, ist es schon gelungen, halb-künstliche Chloroplasten herzustellen, die Fotosynthese betreiben. Bisher schaffen das die Mikroorganismen allerdings nur im Labor und nur zwei Stunden lang. Trotzdem könnten die Forschungen des Marburger Wissenschaftlers der Anfang einer revolutionären Entwicklung sein. Schließlich wird bei der Fotosynthese das klimaschädliche CO2 gebunden und verschwindet damit aus der Luft.
Revolutionär klingt eigentlich alles, was Forschende der synthetischen Biologie entwickeln wollen oder bereits entwickelt haben: Effiziente Biokraftstoffe, spezielle Medikamente, Teppichfasern, Duftstoffe - all das gibt es schon. Der Urzelle und damit dem Leben überhaupt auf die Spur zu kommen, ist eines der bisher noch unerreichten Ziele dieser Wissenschaftler.
Audio: Synthetische Biologie - Neue Lebensformen aus dem Labor?
Definition: Was ist synthetische Biologie?
Forschende der synthetischen Biologie arbeiten nach dem Prinzip: Auch noch so kleine Bestandteile eines Organismus wie Gene, Enzyme und Eiweiße lassen sich wie Legosteine zerlegen und zu einem neuen biologischen System mit anderen Eigenschaften zusammenbauen.
Ihr damit verfolgtes Ziel: Organismen mit völlig neuen Eigenschaften kreieren, die im Idealfall besser sind, als diejenigen, die in der Natur vorkommen. Bei dem verhältnismäßig noch jungen Forschungszweig der synthetischen Biologie handelt es sich um eine interdisziplinäre Forschung, das heißt Biologen, Chemiker, Informatiker und Physiker arbeiten hier zusammen.
Die ersten Pioniere der synthetischen Biologie: James Collins und Craig Venter
Den Forschungsbereich der synthetische Biologie, wie er heute definiert wird, gibt es erst seit rund 20 Jahren. Einer der ersten, der mit dieser jungen Wissenschaft Schlagzeilen machte, war der US-Amerikaner James J. Collins. Im Jahr 2000 gelang es ihm, ein Kolibakterium so zu manipulieren, dass es beliebig steuerbar war. Gelungen ist ihm das, indem er erst zwei Gengruppen in die DNA des Bakteriums einschleuste. Bei anschließender Zugabe einer Chemikalie legten sich die beiden Gengruppen - etwa so wie bei einem elektrischen Schalter - dann gegenseitig lahm, so die Entdeckung Collins. Neben dem sogenannten "Toggle Switch" schaffte es Collins im Jahr 2005 gemeinsam mit einem Forscherteam, Hefezellen zu konstruieren, die als Vorläufersubstanz für das Malaria-Medikament Artemisinin eingesetzt werden können. Eine echte Erleichterung. Denn bis dahin konnte das Anti-Malaria-Mittel nur aus dem Einjährigen Beifuß (Artemisia annua), einer Pflanzenart, gewonnen werden. Das machte die Herstellung des Mittels teuer und aufwendig.
Einer der Pioniere der synthetischen Biologie: Der US-Amerikaner Craig Venter verkündete 2010, er habe "künstliches Leben" erschaffen.
Ein weiterer Pionier der synthetischen Biologie ist Craig Venter. Als erstem Wissenschaftler gelang es dem US-Amerikaner, ein Erbgut selbst herzustellen und in eine Zelle einzupflanzen, sodass ein lebensfähiges Bakterium entstand. Seine Aussage, er habe damit "künstliches Leben" erschaffen, ist aus wissenschaftlicher Sicht zwar nicht haltbar, fand aber im Jahr 2010 viel Beachtung.
Ziel: Mit synthetischer Biologie neue Lösungen probieren
"Wir können mit der synthetischen Biologie neue biologische Systeme, die die Natur noch nicht erfunden hat, bauen [...] und da können wir eben neue Lösungen probieren, die vielleicht effizienter und besser sind und uns Menschen besser dienen."
Tobias Erb, Direktor des Max-Planck-Instituts für terrestrische Mikrobiologie in Marburg
Mehr als nur Impfstoffe: So weit ist die Forschung mithilfe synthetischer Biologie
Wurde auch mithilfe synthetischer Biologie entwickelt: Der mRNA-Impfstoff gegen das Coronavirus - hier ein Fläschchen des Vakzins von Biontech.
Forscher auf der ganzen Welt tüfteln eifrig auf dem Gebiet der synthetischen Biologie. Herausgekommen ist dabei schon einiges - nicht nur auf dem rein medizinischen Sektor. So hat die Biologin Beatrix Süß von der TU Darmstadt gemeinsam mit ihrem Team einen Test entwickelt, mit dem Antibiotika in Lebensmitteln aufgespürt werden können. Grundlage waren hier künstlich hergestellte RNA-Strukturen - ähnlich wie bei den mRNA-Impfstoffen gegen das Coronavirus. Das macht deutlich: Auch die neu entwickelten Impfstoffe sind ein Ergebnis der Forschung auf dem Gebiet der synthetischen Biologie. Vektor- und mRNA-Impfstoffe basieren auf dem Bauplan des Spike-Proteins von SARS-CoV-2, mit dem das Virus in menschliche Zellen eindringt. Dieser Bauplan ist in einem Teil des Erbguts des Virus gespeichert und lässt sich dank synthetischer Biologie jetzt im Labor herstellen.
Die Liste der Errungenschaften der synthetischen Biologie ist lang und wird immer länger. Neben den Entwicklungen, die schon auf dem Markt sind, gibt es aber auch solche, die zwar noch nicht ausgereift sind, aber durchaus Hoffnung geben. So könnten die oben erwähnten halb-künstliche Chloroplasten in nicht allzu ferner Zukunft vielleicht ein Baustein auf dem Weg zur Klimaneutralität sein. Oder bereits existierende genetisch umgebaute Blaualgen könnten Öl als Kraftsoff ersetzen. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Herstellung des Algenkraftstoffs gegenüber den fossilen Kraftstoffen auch rentabel wäre, was derzeit noch nicht der Fall ist. Auch diese Liste der mithilfe der synthetischen Biologie erzielten, aber noch nicht marktreifen Entwicklungen, ließe sich beliebig fortsetzen.
Grenzen der synthetischen Biologie: Visionen und Realität
Wissenschaftler der synthetischen Biologie haben große Ziele, aber eben doch nicht alles scheint machbar.
Die Möglichkeiten dank synthetischer Biologie scheinen schier endlos. Die Vision der Wissenschaftler ist daher: Mithilfe der Entwicklungen auf Basis der synthetischen Biologie gegen alles das passende Mittel parat zu haben. "Der Traum der synthetischen Biologie ist im Grunde schon, […] wenn wir ein Repositorium von Proteinen hätten, da würde man sagen: Da ziehen wir das aus dem Schrank, das macht dieses, das andere ziehen wir aus dem Schrank, das macht das", formuliert Petra Schwille, die die Abteilung "Zelluläre und Molekulare Biophysik" am Max-Planck-Institut für Biochemie leitet, den Wunschgedanken der Wissenschaftler.
Doch auch in der synthetischen Biologie gibt es Grenzen des Machbaren, wie die Forscher dieses Bereichs feststellen mussten. Mittlerweile sei zwar viel bekannt über die Abläufe in Zellen, über die Funktionen bestimmter Proteine, aber eben noch längst nicht alles, sagt die Forscherin Schwille. Das Problem: Biologische Organismen sind offenbar doch nicht so modular aufgebaut, wie beispielsweise ein technisches Gerät oder eine Maschine. Erkenntnisse aus Physik und Informatik lassen sich daher nicht 1:1 auf biologische Organismen übertragen. Bezüglich der Entwicklung von Krebstherapien mithilfe synthetischer Biologie drückt Giovanni Maio, Medizinethiker an der Universität Freiburg, die Grenze des Machbaren so aus: "Wenn wir sagen, wir bekämpfen Krebs dadurch, dass wir an bestimmten Enzymen Veränderungen vornehmen, dann muss ich sagen, das ist natürlich ein Aspekt wie wir Krebs behandeln. Aber wir können nicht sagen, indem wir die Enzyme verändern, werden wir dadurch den Krebs besiegt haben und wir können auch nicht sagen, dass Krebs dadurch allein erklärbar ist."
Synthetische Biologie: Eine Forschung nicht ohne Gefahren
Mit der synthetischen Biologie sind nicht nur Hoffnungen und Chancen verbunden. Die junge Wissenschaft birgt auch Risiken.
Rein theoretisch - wenn man den Forschungsansatz der synthetischen Biologie zu Ende denkt - könnte es irgendwann künstliche Lebewesen aus dem Labor geben. Ob dies jemals gelingt, ist derzeit noch unklar. Klar ist aber: Die Forschung birgt Risiken. Denn die künstlich hergestellten biologischen Systeme können ihrerseits wieder mutieren, sich also weiterentwickeln, wie es natürliche biologische Systeme auch tun - mit nicht vorhersehbaren Folgen. Heinz Koeppl, Ingenieurwissenschaftler an der TU Darmstadt, plädiert deshalb für eine "zellfreie synthetische Biologie", bei der nur einzelne Teile einer Zelle - wie etwa das darin enthaltene Genmaterial - zu Forschungszwecken verwendet werden, nicht eine ganze Zelle. Dann ist eine zelluläre Weiterentwicklung mit gegebenenfalls unkontrollierbaren Folgen nicht möglich.
Im Video: Wissenschaftler Julian Thiele über die synthetische Biologie
Mehr Wissen: Sendungen zur synthetischen Biologie
- Dr. Julian Thiele, Materialwissenschaftler - künstliche Zellen - ein Ersatz für lebende Organismen?: Campus Talks, ARD alpha, 30.01.2023, 22.15 Uhr
- Synthetische Biologie - neue Lebensformen aus dem Labor?: IQ - Wissenschaft und Forschung, Bayern 2, 14.04.2022, 18.05 Uhr
- Wie können Landwirte naturverträglicher wirtschaften?: Frage trifft Antwort, Planet Schule, SWR, 15.10.2021, 5.55 Uhr
- Kann man menschliche Zellen nachbauen?: SWR2 Impuls, SWR2, 31.08.2021, 16.05 Uhr
- Künstliches Leben aus dem Labor - Vorläufer menschlicher Embryonen entwickelt: IQ - Wissenschaft und Forschung, Bayern 2, 19.03.2021, 18.05 Uhr
- Programmierbare Organismen - die Vision vom "Xenobot"; IQ - Wissenschaft und Forschung, Bayern 2 , 15.01.2021, 18.05 Uhr