Telekolleg - Deutsch


12

Mediengeschichte Nachgefragt

Die föderale Struktur des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems ging auf das Re-Education-Programm der Alliierten zurück. Waren die Deutschen den Alliierten dafür dankbar?

Stand: 17.01.2012 | Archiv

historischer Sendewagen RIAS | Bild: picture-alliance/dpa

Erich Kästner, der mit großem Engagement den Kulturteil der Neuen Zeitung, des Presseorgans der alliierten Militärregierung, leitete, war ein Befürworter des Re- Education Programms der Alliierten. Andere wiederum,keineswegs alle, und zwar weder Konrad Adenauer noch ein Großteil der deutschen Schriftsteller standen tatsächlich hinter diesem Programm. Vor allem nicht die Schriftsteller der berühmten Zeitung "Der Ruf", dieser Keimzelle der Gruppe 47, die die gesamte literarische Landschaft im Nachkriegsdeutschland prägte.

Konrad Adenauer versuchte seit 1947 immer wieder das "öffentlich-rechtliche Rundfunksystem" als "Besatzungsdiktat" zu diskreditieren. Er wollte partout den Rundfunk aus der Zuständigkeit der Länder herauslösen und ihn wieder unter die Regie des Staates bringen. Nachdem all seine Gesetzesvorlagen im Bundesrat scheiterten, gründete er 1960 schließlich die Deutschland-Fernsehen GmbH. Das Bundesverfassungsgericht machte seine Pläne zunichte, als es 1961 Adenauers Fernsehgründung verbot. Der damalige SDR-Intendant Hans Bausch sah in diesem Urteil einen "Meilenstein auf dem Weg des Rundfunks in seine zumindest verfassungsgerichtlich gesicherte Freiheit" (Mediengeschichte S.155).

Die gegen die Maßnahmen der Alliierten gerichtete feindselige Stimmung im Land repräsentieren indes deutlicher die Schriftsteller. Sie empfanden die "Re-Education", die den Deutschen wieder den Anschluss an das internationale Kulturleben ermöglichen sollte, mitsamt der dazugehörigen Entnazifizierung und Dezentralisierung aller Massenmedien als eine einzige Demütigung. Darin waren sich die ansonsten zerstrittenen Parteien ganz einig: die älteren nationalkonservativen Autoren und "inneren Emigranten" wie Wilhelm Hausenstein und Frank Thiess und die sozialistisch angehauchten jungen Kriegsheimkehrer, die bald nach dem Krieg den Ruf gründeten.

Alfred Andersch, Herausgeber dieser stolzen Kriegsheimkehrer-Zeitung fuhr mit heftigen Verbalattacken auf. Er verstand seinen Ruf als "erste Willenskundgebung einer Generation, der man politische und kulturelle Apathie und Unmündigkeit vorwirft". Junge Menschen, die "sechs Jahre lang fast ununterbrochen dem Tod gegenüberstanden", eigneten sich seiner Meinung nach nicht als "Umerziehungsobjekte" (Wittmann S.61).

Hans Werner Richter, der noch jahrzehntelang darüber verfügen sollte, wer in Deutschland zu den legendären Jahrestreffen der Gruppe 47 eingeladen wurde (und das hieß: in der Literaturszene etwas galt), pflichtete dem Gefährten Andersch nur bei. Auch er protestierte "gegen die Demütigung eines ganzen Volkes" und lud damit – wohl unfreiwillig – zu Missverständnissen ein. So mancher verbitterte Kriegsheimkehrer konnte im Ruf seine Ressentiments authentisch formuliert wiederfinden, wodurch die Auflage bald auf 100.000 anstieg (siehe Wittmann S.63).

Nach nur 16 Nummern wurde die Zeitung noch vor der Währungsunion wieder eingestellt. Wegen des neuen Nationalismus, auf dem all die Attacken des Rufes gegen die Amerikaner fußten (siehe Benz S.171), war ein Lizenzentzug zu befürchten. Verleger Moritz Veit übertrug deswegen dem weltmännischen Erich Kuby die Zeitung, womit sie schlagartig an Biss und an Publikum verlor.

Literatur

  • Jürgen Wilke (Hg). Mediengeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Bundeszentrale für politische Bildung. Schriftenreihe Band 361, Bonn 1999.
  • Wolfgang Benz (Hg.): Legenden, Lügen, Vorurteile. Ein Lexikon zur Zeitgeschichte. München 1990
  • Reinhard Wittmann. Auf geflickten Straßen. Literarischer Neubeginn in München 1945 bis 1949. München 1995

12