Durchhaltevermögen Ab wann Durchhalten schädlich ist

Von: Constanze Álvarez

Stand: 30.09.2024

Ob beim Sport, in der Beziehung oder im Beruf, Durchhaltevermögen ist überall gefragt und auch wichtig für unsere persönliche Entwicklung. Doch wann ist die Grenze erreicht? Ab wann wird Durchhalten schädlich? Darauf solltet ihr achten.

Ein Mann arbeitet bis spät in die Nacht an seinem Laptop, sieht unglücklich aus. Ob beim Sport, in der Beziehung oder im Beruf, Durchhaltevermögen ist überall gefragt. Doch ab wann wird durchhalten schädlich? Darauf könnt ihr achten. | Bild: colourbox.com/ Syda Productions

Durchhaltevermögen: Warum Durchhalten eine Stärke sein kann

Wenn es darum geht, das Abi zu schaffen, den Führerschein zu machen, oder ein Instrument zu lernen - ohne Durchhaltevermögen geht das kaum. Denn manche Ziele erreicht man nun mal nicht an einem Tag. Wer gleich bei der ersten Hürde, dem ersten Motivationstief aufgibt, wird es bei der nächsten Herausforderung nicht leichter haben. Denn das Selbstbewusstsein speist sich aus kleinen und größeren Erfolgserlebnissen. Wer es nach wochenlangem Üben schafft, anderen auf dem Klavier etwas vorzuspielen und dafür Applaus erntet, freut sich, und macht weiter. Wer nach ein paar Tagen schon aufgibt, meint möglicherweise er wäre gescheitert.

Darüber hinaus sei Durchhaltevermögen wichtig, um später größtmögliche Freiheit zu haben, erklärt Coach und Familientherapeut Carsten Vonnoh. Die Schule abschließen, sich beruflich weiterentwickeln, als Erwachsener flexibel genug sein und genug Zeit für die Kinder zu haben, weil man sich genügend qualifiziert hat, "das sind Dinge, die natürlich mit Durchhaltevermögen zu tun haben", sagt Vonnoh. Aber das hat auch seinen Preis. Manchmal rennen wir dann mit Vollgas in eine Richtung, die uns gar nicht guttut und merken es nicht einmal.

Durchhaltevermögen im Beruf: Durchhalten sollte kein Dauerzustand sein

Gerade in der Arbeitswelt ist Durchhaltevermögen äußerst gefragt. Arbeitsverdichtung, Beschleunigung und Leistungsdruck sind dabei, viele Jobs zu verändern. Arbeitnehmer, die nicht den Anschluss verlieren möchten, müssen zäh sein, auch mal die Zähne zusammenbeißen, sich durchboxen. So wird es jedenfalls von der Führungsetage erwartet. Für eine begrenzte Zeit mag das sinnvoll sein. Durchhalten sollte jedoch nicht zum Dauerzustand werden. Denn das kann zur Gefahr werden für die körperliche und die seelische Gesundheit.

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Durchhalten um jeden Preis: Woher kommt unser Durchhaltevermögen?

Wie stark der Drang ist, nicht aufzugeben, bis an die physische und psychische Belastungsgrenze zu gehen, hängt stark mit der individuellen Persönlichkeit zusammen. Und mit der Erziehung, mit den Werten, die uns von klein auf von unseren Eltern und unserer engen Umgebung vermittelt wurden. "Ohne Fleiß keinen Preis", "Was dich nicht umbringt, macht dich stark", bis hin zu "Reiß dich zusammen!" Oder "Stell dich nicht so an" - das sind gängige und immer noch weitverbreitete Glaubenssätze, die wir in der Kindheit verinnerlichen und die unser Verhalten im Erwachsenenalter mitbestimmen.

"Ich muss! Ich muss! Ich muss! Ich muss funktionieren! Ich muss mehr leisten!" gerade bei Männern sei dieses Gefühl tief verankert, sagt Carsten Vonnoh. Er ist darauf spezialisiert, mit Vätern an einem alternativen Männerbild zu arbeiten. Die meisten seiner Kunden hätten das Gefühl, nicht gesehen zu werden, für das, was sie sind, sondern für das, was sie leisten. Was zählt, ist die Performance. 

Das setzt sich später im beruflichen Umfeld fort. Hier sind es äußere Zwänge, die den Druck noch verstärken. Wer bekommt die höchsten Boni? Wer fährt das größere Auto? Wohin fliegen wir in den Urlaub? Um da an vorderster Front mitzumischen, darf man nicht zimperlich sein. "Durchhaltevermögen ist der Schlüssel zum langfristigen Erfolg", heißt es in den einschlägigen Karriere-Ratgebern. Was nicht drinsteht: Das immerzu durchhalten, sich selbst übertreffen, dranbleiben, auch wenn man nicht mehr die Kraft dazu hat, auch zum Burnout führen kann.

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Durchhaltevermögen: Wie ihr merkt, wenn es zu viel wird

Impulsive Menschen mit einem guten Draht zu ihrem Bauchgefühl spüren irgendwann recht deutlich, dass die Zeit gekommen ist, die Reißleine zu ziehen. "Wenn ich merke, hier bin ich nicht mehr richtig, sollte ich die Augen aufmachen, die Fühler austrecken, und nach Alternativen Ausschau halten", sagt Coach Sabine Asgodom.

Doch viele Menschen realisieren erst spät, dass sie die Grenze schon längst erreicht haben. Manch ein Erschöpfungszustand rührt daher, dass es gerade so gut läuft. Ein Erfolg jagt den anderen, "das schaffe ich auch noch, und das auch noch" und plötzlich ist der Akku leer.

Andere Menschen spüren seit Langem, dass sie die Arbeit nicht erfüllt, sind aber nicht in der Lage, etwas zu verändern. Vielleicht, weil die Bezahlung überdurchschnittlich gut ist. Oder weil sie es sich nicht zutrauen, einen anderen, befriedigenderen Job zu finden. Manche Menschen entwickeln eine Depression, leiden an Burnout oder Boreout, falls sie sich anhaltend in der Arbeit langweilen oder sich unterfordert fühlen.

Grenzen beachten: Wann solltet ihr nicht länger durchhalten?

  • Wenn ihr keinen Sinn mehr in der Arbeit seht.
  • Wenn ihr das Gefühl habt, ihr werdet zynisch gegenüber dem, was ihr tut.
  • Wenn ihr euch abwertend gegenüber Kolleginnen und Kollegen verhaltet.
  • Wenn ihr euch mit eurer Tätigkeit nicht mehr identifizieren könnt.
  • Wenn ihr das Gefühl habt, ihr kommt nicht weiter.
  • Wenn ihr über einen langen Zeitraum an einer Grunderschöpfung leidet.
  • Bei anhaltenden Rücken- und Schulter- und/oder Kopfschmerzen.
  • Wenn ihr euch auf Dauer über- oder unterfordert fühlt.
  • Wenn ihr unter hohem Bluthochdruck leidet.


(Quelle: Carsten Vonnoh, Coach und systemischer Familientherapeut)

Tipps: Durchhalten ja, aber in Maßen

Ohne Durchhaltevermögen geht es nicht, das steht fest. Es geht also wie so oft um das richtige Maß. "Wenn ich einen neuen Chef bekomme, den ich nicht leiden kann, sollte ich nicht nach einer Woche hinschmeißen", rät Coach Sabine Asgodom. Neue Führungskräfte müssten sich auch erst einmal im neuen Umfeld einfinden. Da heißt es erstmal abwarten, schauen, wie sich die Dinge entwickeln.

Trotzdem gilt es, wach zu bleiben, immer mal eine Pause einlegen, und in sich hineinhören. "Und sich zu fragen: Was ist es, was mir nicht guttut?", sagt Carsten Vonnoh. "Lässt sich das, was mir wichtig ist, noch realisieren in dem Umfeld, in dem ich da bin? Oder bin ich mutig und radikal und mache noch mal etwas anderes? Habe ich die Möglichkeit dazu?"

Menschen, die sich dazu entscheiden, etwas "durchzuziehen", vielleicht auch im Hinblick auf die Rente, in der Hoffnung, im Ruhestand werde dann alles besser, zahlen häufig einen hohen Preis dafür, weiß Vonnoh. Körperlich als auch psychisch. Denn die Uhr lässt sich nun mal nicht zurückdrehen. Und wir Menschen sind nun mal am glücklichsten, wenn wir merken, wir können etwas bewirken, gestalten, etwas, was Sinn macht. Und vielleicht auch noch Spaß.

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