Medienveränderung Nachgefragt
Lebenslanges Lernen und Medienkompetenz müssen in einer Informationsgesellschaft zum festen Bestandteil von Bildungseinrichtungen und Alltag werden. Nur so ist eine Chancengleichheit für alle Bürger gegeben.
Der Schlussbericht der Enquete-Kommission Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft will Leitlinien geben für Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft. Die vom Deutschen Bundestag eingesetzte Enquete-Kommission hat 1996 ihre Arbeit aufgenommen, seitdem beschäftigt sie sich mit den durch die neuen Informations-und Kommunikationstechnik ausgelösten Veränderungen für die Wirtschafts- und Arbeitswelt bis hin zu den durch die rasante technische Entwicklung entstandenen rechtlichen Herausforderungen. Ergebnis dieser Arbeit der Enquete- Kommission sind unter anderem Zwischenberichte zu den Themen Regulierungsbedarf, Urheberrecht, Jugendschutz und Verbraucherschutz.
Informationsgesellschaft (ver-)heißt nicht: eine Gesellschaft von Informierten. Denn Information ist etwas anderes als Wissen. Informationen sind all die unendlichen Daten oder Botschaften, die über irgendetwas auf dieser Welt (falsche oder richtige) Auskünfte geben und die neuerdings auch auf der so genannten Datenautobahn des WWW kursieren können. Wissen bezeichnet weit mehr, nämlich die angeeignete und in einen Sinnzusammenhang eingeordnete Information, die dadurch eine konkrete Bedeutung für das Denken und Handeln des Wissenden gewinnt.
"Der Begriff Informationsgesellschaft hat sich in den letzten Jahren immer mehr zu einer entleerten Formel entwickelt, zur begrifflich beliebig füllbaren Hülse", mahnte ein Sondervotum der Arbeitsgruppe der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, das als Anhang dem Schlussbericht hinzugefügt wurde. Das Votum plädiert dafür, den in den 70er Jahren geborenen Begriff Informationsgesellschaft durch Wissensgesellschaft zu ersetzen, und erinnert an eine Aussage des ehemaligen "Zukunftsministers" Jürgen Rüttgers von Anfang 1998: "Information erhält ihre menschliche Dimension und damit ihre gesellschaftliche Bedeutung erst dann, wenn sie von Menschen aufgenommen wird, wenn die Information zu Wissen wird. Wissen macht handlungsfähig. Zuverlässige Informationen sind die Voraussetzung dafür. Aber erst die bedeutungsgerechte Beurteilung erweckt sie zum Leben." (Schlussbericht, Anlage 1, S.114)
Zukunft der Informationsgesellschaft
Egal, ob man es nun Informations- oder Wissensgesellschaft nennt; dass es in Zukunft noch viel mehr auf Wissen, also die kompetente Auswahl, Einordnung und Bewertung von Informationen ankommt, darüber sind sich alle Experten einig. Diese Neubewertung von Information und Wissen wirft indes ein Licht darauf, was "Informationsgesellschaft" positiv heißen soll:
Eine Informationsgesellschaft ist eine Gesellschaft, die in erster Linie von Information und den dazugehörigen Kommunikationstechnologien lebt. War die Produktivität einer Gesellschaft bis vor kurzem noch vorwiegend von Maschinen, Rohstoffen und Energien bestimmt, so wird nach Meinung der Experten die Produktivität in Zukunft bestimmt sein von der Gestaltung und Beherrschung von Informationsflüssen. Das heißt natürlich nicht, dass die Informationstechnologie die früheren Ressourcen und Produktionsmittel ersetzten sollte, geschweige denn könnte, sondern, dass die Informations- und Kommunikationstechnologie der Wachstumsmarkt der Zukunft ist, weil diese Technologien in immer mehr Industrie- und Dienstleistungsbereichen sowie im privaten Bereich eingesetzt werden und über kurz oder lang alle Lebens- und Arbeitsbereiche bestimmen. Nicht zuletzt die Hysterie, die Ende 1999 vor der Jahrtausendwende mit den berühmten drei Nullen um sich griff, bezeugt, dass das Informationszeitalter schon längst begonnen hat: Ohne diese Technologie geht nichts mehr. Anders als früher, wo der Bildungssektor noch relativ unabhängig vom Produktionssektor bestimmt werden konnte, gilt Bildung heute, wo Information und Kommunikationstechnologie selbst weite Teile des traditionellen Produktions- und Wissenschaftsapparates revolutionieren, als Voraussetzung einer zukunftsträchtigen Informationswirtschaft. Daher spielt die Bildungspolitik eine so große Rolle beim "Weg in die Informationsgesellschaft".
Zentrale Rolle der Bildung
Bildung macht sich durch den anwachsenden Informationsfluss nicht von selbst. Umgekehrt setzt der Informationsfluss mehr Bildung voraus, will er denn etwas fruchten: Innerhalb der Informationsgesellschaft kommen ‚Bildungs-’ oder ‚Informationskulturen’, also sozialstrukturell bedingten Differenzen beispielsweise im Umgang mit Informationsmedien, entscheidende Bedeutung zu. Es sind weniger die neuen Medien, die eine vorhandene ‚Wissenskluft’ möglicherweise vergrößern, sondern eher Unterschiede im Umgang mit Wissen. Eine automatische Anreicherung des Wissens aller Bevölkerungsgruppierungen und einen besseren Zugang zu Wissen für alle können demnach von der Vermehrung des Wissensangebotes durch neue Informationsmedien nicht erwartet werden. Die Spaltung zwischen Informationsreichen und -armen kann nur durch eine weiterhin gleichgestreute Grundversorgung mit Wissen über Schulen, Ausbildungsstätten und Formen der Erwachsenenbildung verhindert werden. In diese Grundversorgung gehört auch die Nutzung der neuen IuK-Medien (Informations- und Kommunikations-Medien). Ansonsten wäre es in der Tat wahrscheinlich, dass der Einfluss der neuen Medien die Tendenz teilgesellschaftlicher Wissensdominanz verstärkt. (Schlussbericht 8.3.3) Die Wissenskluftthese, die Knowledge-Gap-Hypothese, gewinnt im Informationszeitalter neue Relevanz. Sie wurde 1970 an der Minnesota-University von den Kommunikationsforschern Phillip J. Tichenor, George A. Donohue und Clarice N. Olien formuliert. Sie besagt, dass der Zuwachs an Informationen und Medien dazu führt, dass sich die Kluft zwischen Menschen mit höherem und Menschen mit niedrigerem Bildungsgrad vergrößert. Nicht alle werden durch den gleichen Input sozusagen gleichmäßig klüger. Nur diejenigen, die bestimmte Ressourcen an Interessen, Kenntnissen, Motivation etc., mitbringen, erwerben sich durch das Mehr an Information auch einen größeren Schatz an gesellschaftlich relevantem Wissen und damit an Einfluss und Macht.
Die entscheidenden Voraussetzungen für den effektiven Umgang mit dem Informationszuwachs waren für Tichenor, Donohue und Olien:
- Medienkompetenz – insbesondere eine hohe Auffassungsgabe beim Lesen
- Faktenwissen – wer bereits etwas über etwas weiß, ist für zusätzliche Information naturgemäß aufgeschlossener
- Sozialer Austausch – Kommunikation mit anderen über relevante Themen
- Selektionsvermögen – gezielte Aufmerksamkeit für solche Informationen, die der eigenen Interessenslage, Wertschätzung oder Einstellung entgegenkommen
- Orientierung vor allem an Printmedien, die gesellschaftlich und wissenschaftlich relevante Themen bringen.
Medienkompetenz und lebenslanges Lernen
Auf dem "Weg in die Informationsgesellschaft" kommt natürlich eine entscheidende Anforderung hinzu: Der Erwerb des technischen Know-hows, also PC- und Internet-Kenntnisse, damit man die neuen Medien überhaupt nutzen kann. Ansonsten enthält die Liste der Minnesota-Kommunikationsforscher wohl all die Kompetenzen, die auch künftig nötig, ja künftig noch nötiger sind, um Informationen in bedeutsames Wissen zu transformieren. Damit sind zugleich auch die Bildungsanforderungen genannt, die das künftige Bildungssystem zu bieten hat, damit das gepriesene lebenslange Lernen nicht ein Privileg der bereits Privilegierten wird und die Kluft durchs Netz noch größer wird. Und so lautet es im Schlussbericht der Enquete-Kommission:
6.4 Lebenslange Lernen – Medienkompetenz
Die Wissensgesellschaft verlangt mehr Bildung. Der Bürger kann seine Entscheidungen nur auf der Grundlage hinreichenden Wissens treffen. Dies setzt Bereitschaft und Fähigkeit zum lebenslangen Lernen ebenso voraus wie eine verantwortungsbewusste Umsetzung von Wissen in Handeln. Bildung ist zuständig für die Schaffung dieser Voraussetzungen, indem sie die hierzu erforderlichen Kompetenzen für die Zukunft fördert.
In Schulen und anderen Bildungseinrichtungen muss frühzeitig der verantwortungsbewusste und kritische Umgang mit den elektronischen Medien gelernt werden. Gerade junge Menschen sind oft überfordert, aus der Fülle von Informationen und Unterhaltungsangeboten sinnvoll auszuwählen. Kinder und Jugendliche können oft auch nicht genügend unterscheiden zwischen den unmittelbaren Erfahrungen und durch Medien vermittelte Sekundärerfahrungen. Da die Medien häufig zu passivem Konsum verleiten, kommt dem Erlernen von individueller Kommunikationsfähigkeit und von sozialem Verhalten wachsende Bedeutung zu. Der kompetente Umgang mit den Medien wird deshalb mehr und mehr zu einer zentralen Bildungsaufgabe. Es ist offenkundig, dass Medienkompetenz weit über die Aneignung technischer Computerkenntnisse hinausgeht und es mit einem speziellen Unterrichtsfach nicht getan ist. Alle Unterrichtsfächer und Lehrpläne müssen so ausgestaltet werden, dass die Schüler auf ein sachgerechtes, selbstbestimmtes, kreatives und sozial verantwortbares Leben in der Informationsgesellschaft vorbereitet werden.