Das Referat Übung
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Frage
Die Anforderungen an ein schriftlich vorzulegendes Referat sind – abgesehen vom Umfang – im Grunde dieselben wie an eine wissenschaftliche Seminararbeit oder auch eine Bachelor - oder Masterarbeit. Sie lernen, sich selbstständig in ein Sachgebiet einzuarbeiten, Problembewusstsein zu entwickeln, Argumente anderer zu erfassen und eigenständig zu formulieren, sauber zu zitieren, stringent zu argumentieren, m.a.W. ein bestimmtes Thema kompetent dar- und vorzustellen.
Nun wird aber gerade der (wissenschaftlichen) Fachliteratur und den Lexika, die Sie für Ihr Thema brauchen, von Sprachkritikern immer wieder vorgeworfen, unverständlich und stilistisch unsauber zu sein. Unverständlich, weil sie einen Jargon oder so viele Fach- und Fremdworte benutzen, stilistisch unsauber wegen zu langer verschachtelter Sätze, zu vieler Substantivierungen, wegen neuer Wortschöpfungen etc.
Setzten Sie sich auseinander mit den Ansprüchen der Sprach- und Stilkritik bei sachlichen und wissenschaftlichen Texten. Prüfen Sie, was Ihnen einleuchtet und was nicht, und überlegen Sie, was Sie selbst beim Schreiben von Sachtexten/Referaten besser machen sollten und könnten. Ein kritisches Verhältnis zur Sprache ist genauso wichtig beim Verstehen und Schreiben wissenschaftlicher Texte wie beim Verständnis der Massenmedien und ihren Manipulationsversuchen. Nötig ist indes auch ein wenig Kritik gegenüber den sendungsbewussten Sprachkritikern und -reinigern, die meinen, anderen vorschreiben zu können, wie zu schreiben ist.
Einer der engagiertesten und umstrittensten Populär-Sprachkritiker der Gegenwart ist Wolf Schneider.
Machen Sie ein kleines Referat zu Schneiders Sprach- und Stilkritik, etwa sechs DIN A4 Seiten.
Antwort
Recherchieren Sie zuerst, welche Bücher Wolf Schneider zur Sprachkritik geschrieben hat, und lassen Sie weg, was davon speziell für Journalisten gilt. Wir konzentrieren uns im folgenden auf folgende zwei Bücher:
- Deutsch für Kenner. Die neue Stilkunde und
- Wörter machen Leute. Magie und Macht der Sprache.
• Lesen Sie die Bücher genau und notieren Sie sich die wichtigsten Thesen (mit genauen Seitenangaben – das erspart das Suchen hinterher).
• Gehen Sie bei den interessantesten Thesen den Autoren (Goethe, Benn, Wittgenstein) nach, auf die sich Schneider beruft. Das ist ein mühevolles Geschäft, weil Schneider nicht mit genauen Quellenangaben zitiert, aber ist dennoch nötig. Zum einen, um die eigene Perspektive auf das Thema zu erweitern, zum anderen, um zu sehen, ob Schneider nicht entstellend oder verkürzt zitiert.
• Recherchieren Sie nach weiteren Werken, oder besser noch nach einem Standardwerk zur Sprachkritik oder Stilkunde, um Schneiders Positionen in einen größeren Zusammenhang einordnen und u.U. stärken oder als begrenzten Gesichtspunkt relativieren zu können. Suchen Sie zum Beispiel Aufsätze/Bücher zur Sprachkritik von Karl Kraus, Kurt Tucholsky, Arthur Schopenhauer oder Georg Christoph Lichtenberg, oder lesen Sie den komprimierten, gut dokumentierten Überblick über die Geschichte der Sprachkritik von Jürgen Schiewe: Die Macht der Sprache.
• Ordnen Sie das gesammelte Material, werten Sie es aus, sondern Sie alles aus, was die Stilkritik sachlich- wissenschaftlicher Texte nicht betrifft, strukturieren Sie Ihre eigenen Gedanken dazu und machen Sie eine grobe Gliederung des Referats. Die könnte angereichert mit auszubauenden Stichpunkten in etwa lauten:
Einleitung: etwa ein Beispiel einer ganz alltäglichen "Schluderei" mit der Sprache aus einem Nachschlagewerk, oder eine grundsätzliche Frage: Ist heute eine neue Stilkunde nötig?
I. Darstellung des Themas: (vom Besonderen 1- 3 zum Allgemeinen 4-5)
1. Schneiders "drei Generalregeln" des guten Stils:
a) Fasse dich kurz,
b) fasse die Sache,
c) liebe deinen Leser wie dich selbst. (Deutsch für Kenner S.40f.) .
2 .Schneiders Sprachreinigung. Die rote Liste der zu streichenden Worte und Stilmerkmale: die meisten Adjektive und Superlative, Fach- und Jugendjargon, die meisten Fremdworte und Neubildungen, all die "Müllverben", die mit ieren enden, wie stabilisieren, kontrollieren etc. (ebd. S.66ff.).
3. Wer nach Schneider "Feind der Sprache" ist (fast alle Politiker, Verwaltungsmenschen, Journalisten, Wissenschaftler und Professoren, viele Schriftsteller und Deutschlehrer) und für wen die Anwendung seiner Stilkunde ein Labsal wäre (die Leser).
4. Schneiders Voraussetzung. Erstes Gebot aller Texte: Allgemeinverständlichkeit; darüber hinaus erwarte der Hörer/Leser, dass alles korrekt, angenehm und anregend gesagt/geschrieben ist .
5. Schneiders Autoritäten/Instanzen: Ludwig Reiners' Stilfibel und unzählige Zitate prominenter Dichter und Denker.
II. Kritik an Schneiders Stillehre: ausgehend z.B. von einem wohl klingenden, schillernden und gehaltvollen Satz, der mindestens gegen drei seiner "Generalregeln" und Verbote verstößt.
1. Ihre Voraussetzung: der unbedingten Allgemeinverständlichkeit, wobei z.B. zu kurz kommt, wer für wen worüber schreibt, und dass man den Lesern, die etwas über komplexere Sachverhalte erfahren wollen, auch gut einmal eine eigene Leistung abfordern kann/sollte, was das Verständnis von Texten anbetrifft. Leicht verständliche Informationen erwarten sie vom Stern oder der Welt, aber weniger von Fachbüchern und Lexika.
2. Schneiders Grundverständnis der Sprache im Verhältnis zu anderen Auffassungen:
a) Ähnlich wie der moralisierende Dolf Sternberger (Wörterbuch des Unmenschen) brandmarkt er willkürlich wohl etablierte Worte als an sich verwerflich, anstatt dies vom Sprecher und den konkreten Zusammenhängen abhängig zu machen. Konfrontation dieses Sprachverständnisses mit fundierteren Theorien der Sprachwissenschaft (z.B. Peter von Polenz) oder der Stilkritiker (Karl Kraus).
b) Anders z.B. als der von ihm wiederholt herbeizitierte Nietzsche geht Schneider davon aus, dass es immer ein treffendes, eindeutiges Wort für etwas gibt und alle Zweideutigkeiten auf ein Ungenügen im Denken zurückzuführen sei. Stimmt das?
3. Schneiders von allen Inhalten absehende Sprachreinigung: Hier bietet sich an, die großen Dichter, auf die er sich zum Teil zu Unrecht beruft, gegen ihn ins Feld zu bringen. Z.B. Goethe, der an prominenter – von Schneider nicht zitierter – Stelle im Zusammenhang der Frage der Fremdwörter und Neubildungen sagt:
"Die Muttersprache zugleich reinigen und bereichern ist das Geschäft der besten Köpfe; Reinigung ohne Bereicherung erweist sich öfters geistlos: denn es ist nichts bequemer, als vom Inhalt absehen und auf den Ausdruck passen. Der geistreiche Mensch kennt seinen Werkstoff, ohne sich zu bekümmern, aus was für Elementen er bestehe, der geistlose hat gut rein sprechen, da er nichts zu sagen hat. Wie sollte er fühlen, welches kümmerliche Surrogat er an der Stelle eines bedeutenden Wortes gelten lässt, da ihm jenes Wort nie lebendig war, weil er nichts dabei dachte?" (Johann Wolfgang Goethe. Deutsche Sprache. in: ders. Sämtliche Werke Akademieausgabe Bd.14 S.265)
4. Schneiders eigener Stil: Der ist recht schulmeisterhaft, ressentimentgeladen, undifferenziert und militärisch: Seine "Generalregeln", seinen "Kampf der Blähung" und seinen "Kampf dem Krampf" (Deutsch für Kenner S.40f., 47ff., 99ff.) führt er gegen die unterschiedslos als "Feinde der Sprache" geziehenen Professoren und Wissenschaftler und gelegentlich auch Dichter: Ohne auch nur einmal hinzuschauen, worüber Celan dichtet, bezeichnet er ihn der "elitären Absonderung" und des Willens zur "Nichtinformation" (Wörter machen Leute S.249).
Abschließende Würdigung/Kommentar: Der könnte etwa so lauten – aber je nach Ihrer zuvor begründeten Meinung auch ganz anders:
Einige Ratschläge Schneiders, wie man zu einem gut hör- und lesbaren Stil kommt, sind durchaus einleuchtend und fruchtbar. Aber man kann diese so diktatorische wie äußerliche – vom Kontext und allen Inhalten absehende – Stillehre schwerlich zum Maßstab dafür machen, was die Lektüre lohnt, und was wie gesagt oder geschrieben werden darf. Diese Stilregeln stammen aus und gelten (bestenfalls) für den in erster Linie der Vermittlung verschriebenen Journalismus. Wenn alle Künstler, Denker, Dichter und Wissenschaftler Schneider folgten, wäre die deutsche Sprache wohl vor lauter Verständlichkeit und Reglementierung zu Gedankenlosigkeit und Erstarrung, d.h., zum Sterben verurteilt.