Kleiner Stich, große Diskussionen Streitthema Impfen
In Deutschland dürfen die Eltern entscheiden, gegen welche Krankheiten sie ihre Kinder impfen lassen. Die meisten folgen den Empfehlungen der Kinderärzte. Manche zögern aber oder lehnen Impfungen komplett ab.
Schutzimpfungen im Kinder- und Jugendalter haben sich bewährt. Seit sie in den 1960er-Jahren üblich wurden, konnten die Pocken ganz und andere Erkrankungen - wie zum Beispiel die Poliomyelitis (Kinderlähmung) - beinahe ausgerottet werden. Trotzdem löst das Thema Impfen immer wieder zum Teil heftige Diskussionen aus.
Verpflichtende Impfung gegen Masern
Viele Jahre gab es in der Bundesrepublik keine Impfpflicht. Zum 1. März 2020 wurde jedoch eine entsprechende Verpflichtung für eine Impfung gegen Masern erlassen. Seitdem müssen alle Kinder ab dem ersten Geburtstag spätestens beim Eintritt in den Kindergarten oder die Schule eine Masern-Impfung vorweisen. Bei Kindern, die zum 1. März 2020 bereits in einer Kita oder Schule betreut wurden, kann dieser Schutz bis zum 31. Juli 2021 nachgeholt werden. Die Impfverpflichtung gilt auch für Mitarbeiter in Kitas und Schulen sowie für Personal in medizinischen Einrichtungen und für Menschen in sogenannten Gemeinschaftseinrichtungen. Das Gesetz ist eine Reaktion auf die nicht nur weltweit, sondern auch in Europa stark angestiegene Zahl der Masernfälle.
Eine Impfpflicht gegen das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 ist hingegen nicht vorgesehen und wird es nach Experteneinschätzung auch in Zukunft nicht geben.
Einstellung der Europäer zu Impfungen
In einer von der EU-Kommission im April 2019 veröffentlichten Umfrage mit über 27.500 Teilnehmern gaben knapp die Hälfte (48 Prozent) der Europäerinnen und Europäer an, dass Impfstoffe ihrer Meinung nach häufig schwere Nebenwirkungen verursachen können (in Deutschland 46 Prozent der Befragten). 49 Prozent der befragten EU-Bürger halten routinemäßige Impfungen für wichtig (Deutschland 59 Prozent), für 4 Prozent aller Befragten sind routinemäßige Impfungen hingegen überhaupt nicht wichtig.
Gründe für das Impfen
"Impfungen bieten Schutz vor gefährlichen Krankheiten."
Impfungen sollen vor gefährlichen Krankheiten schützen. Der Tetanus-Erreger zum Beispiel lauert überall in der Erde. Damit Verletzungen beim Herumtollen im Freien nicht zu lebensgefährlichen Lähmungen führen, sollte jeder gegen Tetanus geimpft sein.
Viele Impfungen schützen vor "Kinderkrankheiten". Diese heißen so, weil sie vor allem bei Kindern auftreten, die noch keine Abwehrkräfte gegen diese meist sehr ansteckenden Infektionskrankheiten haben. Kinderkrankheiten sind auch keinesfalls harmlos. Beispiel Masern: In einem von 1.000 Fällen kommt es vier bis sieben Tage nach Auftreten des Ausschlags zu einer Entzündung des Gehirns, so das Robert Koch-Institut (RKI). Mögliche Folgen sind Hörschäden, Lähmungen, bleibende Gehirnschäden und im schlimmsten Fall der Tod.
Das Risiko einer Impfkomplikation liegt hier hingegen nur bei etwa 1 : 1.000.000 – laut RKI vermutlich sogar darunter. Masern sind zudem extrem ansteckend, und das bereits drei bis fünf Tage, bevor der Ausschlag überhaupt sichtbar ist. Das ist enorm gefährlich für Menschen, die nicht geimpft werden können, zum Beispiel Säuglinge. Daher ist ein breiter Gemeinschaftsschutz (oder Herdenschutz) so wichtig.
"Seuchen müssen in Schach gehalten werden."
Die meisten Seuchen sind bei uns zwar selten, aber noch nicht endgültig besiegt. Nur wenn weiterhin der größte Teil der Bevölkerung geimpft ist, kehren Kinderlähmung oder Diphtherie nicht zurück oder können sogar endgültig ausgerottet werden.
Außerdem können die Kinderlähmung und andere Krankheiten durch ungeimpfte Reisende jederzeit wieder eingeschleppt werden. Insgesamt gesehen ist es ein großer Erfolg, dass 2015 weltweit nur noch 74 Fälle von Kinderlähmung registriert wurden. In machen Ländern sind aber flächendeckende Impfungen fast ausgeschlossen, zum Beispiel wegen Bürgerkrieg. So wurden 2018 in Nigeria drei neue Fälle von Polio registiert, obwohl das Land bereits 2015 als poliofrei an die WHO gemeldet worden war.
"Finanzielle Aspekte: Vorsorge statt Nachsorge."
Impfungen entlasten auch das Gesundheitssystem: Impfstoffe sind um vieles günstiger als die wochenlange Behandlung von schwerkranken Patienten.
Nicht nur die Kosten für Arzt und Medikamente, auch Verdienstausfälle belasten Kassen und Wirtschaft.
"Soziale Verantwortung gegenüber schwächeren Dritten."
Ein weiteres Argument greift zum Beispiel bei der Röteln-Impfung: Für Kinder ist die Infektion an sich ungefährlich. Erkranken aber Schwangere, kann dies zu schweren Fehlbildungen des ungeborenen Kindes führen. Hier argumentiert die Ständige Impfkommission, dass durch Impfung der Kinder verhindert werden kann, dass sich Schwangere anstecken. Denn Röteln sind enorm ansteckend (Tröpfcheninfektion) und dies bereits eine Woche, bevor der Ausschlag sichtbar ist.
Auch die Masernimpfung dient dem Gemeinschaftsschutz. Menschen mit einer Immunschwäche und Säuglinge können nicht geimpft werden. Sie sind darauf angewiesen, von geimpften/geschützten Menschen umgeben zu sein. Auch die Masern sind ca. eine Woche vor Auftreten des Ausschlags ansteckend.
Einwände gegen das Impfen und die Fakten
"Impfungen führen zu Impfreaktionen."
Der Impfstoff soll die körpereigene Abwehr anregen. Das kann an der Einstichstelle zu einer Rötung und Schwellung oder vereinzelt zu Knötchenbildung führen. Auch allgemeine Krankheitszeichen wie Fieber oder Gelenkschmerzen können gelegentlich auftreten. In seltenen Fällen kann das Fieber auch Fieberkrämpfe auslösen, die aber nicht gefährlich sind.
Diese sogenannten Impfreaktionen sind jedoch in der Regel harmlos, bilden sich schnell wieder zurück und zeigen, dass das Immunsystem erfolgreich reagiert.
"Die geimpfte Krankheit bricht nach der Impfung aus."
Manche Menschen fürchten, dass die Krankheit durch die Impfung erst ausbrechen kann und lehnen Impfungen deshalb ab.
Doch auch diese Furcht ist heute unbegründet. Lediglich bei der Schluckimpfung gegen die Kinderlähmung (Polio), eine Impfung mit abgeschwächten Lebendviren, kann in sehr seltenen Fällen eine "Impfpolio" oder eine "Kontaktpolio" auftreten. Dabei mutieren die Impfviren zu ihrer Wildform zurück und sind dann wieder infektiös und ansteckend. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO geschieht dies in einem Fall von ca. 3 Millionen Impfungen. Heute wird auch gegen die Kinderlähmung mit inaktivierten Viren geimpft, bei denen das ausgeschlossen ist. Nur für die Impfprogramme der WHO in Ländern, in denen die Kinderlähmung noch häufig auftritt, wird der Schluckimpfstoff verwendet. Bei anderen Lebendimpfstoffen gibt es solche Rückmutationen nicht.
Die sogenannten "Impfmasern" äußern sich zwar in einem Hautausschlag wie bei den echten Masern, verlaufen aber mild und ohne die Komplikationen einer echten Masernkrankheit. Zudem sind die Impfmasern nicht ansteckend.
"Impfen kann zu bleibenden Impfschäden führen."
Wirklich schwere Nebenwirkungen, die dauerhafte Schäden bzw. Behinderungen verursachen können, sind bei heutigen Impfstoffen eine absolute Ausnahme.
Die Angst davor hält aber manche Eltern davon ab, ihre Kinder impfen zu lassen. Nach Angaben des Robert Koch-Instituts gibt es aber keinen Nachweis, dass Impfungen tatsächlich zu Krankheiten wie Autismus, Diabetes oder gar Multipler Sklerose führen können.
"Es gibt eine hohe Dunkelziffer von Impfschäden."
Seit 2001 müssen Angehörige der Heilberufe den Verdacht auf eine über das übliche Maß einer normalen Impfreaktion hinausgehende gesundheitliche Schädigung (Impfkomplikation) an das Gesundheitsamt melden.
Impfgegner vermuten, dass die offiziellen Zahlen zu Impfnebenwirkungen zu niedrig angesetzt seien. Denn Probleme, die erst lange nach der Impfung auftreten, würden von den Hausärzten vermutlich nur selten mit der Impfung in Verbindung gebracht. Zudem sei die Meldung von Impfschäden für Ärzte mit großem Aufwand verbunden. Außerdem fürchteten diese mögliche Regressforderungen bei einem Arztfehler. All das könnte dazu führen, dass im Zweifelsfall nicht gemeldet wird.
Diese Befürchtung ist unbegründet, denn schon vor 2001 mussten Ärzte nach Standesrecht melden und Pharmazeutische Unternehmen nach Arzneimittelgesetz. Diese Meldungen erfolgen sehr zuverlässig - gerade was den Verdacht auf schwerwiegende Reaktionen angeht.
"Es gibt eine hohe Dunkelziffer von Impfschäden."
Die Meldung ist zudem einfacher geworden, denn Ärzte können schon seit einigen Jahren bequem über ein Online-Formular melden, seit 2012 gibt es ein Meldeportal, über das auch Betroffene oder Angehörige direkt melden können. Da inzwischen die Meldungen aus allen EU-Mitgliedsstaaten zentral bei der EMA gesammelt werden, existiert eine enorm hohe Datenbasis, über die Risikosignale sehr zuverlässig erkannt werden können.
Zudem kann es bei einem Impfstoff gar keine Spätfolgen lange Zeit nach einer einmaligen Impfung geben. Wenn der Impfstoff unerwünschte Reaktionen auslöst, dann tut er dies kurz nach der Impfung, aber nicht Monate oder Jahre später. Unerwünschte Reaktionen können allerdings sehr selten auftreten. Dann kann es lange dauern, bis diese mit der Impfung in Zusammenhang gebracht werden. "Spätfolgen" sind dies aber nicht.