FOMO und Freizeitstress Warum ihr keine Angst haben solltet, etwas zu verpassen
Erst zum Shoppen, dann zum Sport. Vom Kaffee-Date ins Kino. Beim Fernsehen und vorm Schlafen: daddeln. Echte, erholsame Freizeit: Fehlanzeige. Das hilft gegen FOMO und Freizeitstress - damit ihr euch nicht mehr vornehmt, als euch wirklich guttut.
Stress statt Erholung: Warum Freizeitstress krank machen kann
Wie war euer Wochenende? Komplett verplant und ausgebucht? Damit seid ihr nicht allein! Am Samstag erst zum Shoppen, danach der Yoga-Kurs und abends auf die Geburtstagsparty. Sonntags der lang geplante Ausflug mit Freunden, danach noch schnell ein Kaffee-Date und abends dann ins Kino. Alles ist toll, aber alles auch irgendwie zu viel? Kein Wunder! Nach einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov empfinden 50 Prozent der Befragten manchmal bis sehr häufig Freizeitstress. Für die repräsentative Online-Befragung wurden im Dezember 2023 2042 Menschen befragt. Die Ergebnisse wurden gewichtet und sind repräsentativ für die deutsche Bevölkerung von 18 bis 75 Jahren.
In der wenigen freien Zeit, die wir haben, wollen wir möglichst viel erleben. In der Arbeitswelt lohnt es sich, produktiv zu sein. Doch wer in der Freizeit möglichst viel unterbringen will, fühlt sich schon nach kurzer Zeit vor allem gestresst. Zugleich verschwimmt durch die ständige Erreichbarkeit in der digitalen Welt die Grenze zwischen Arbeit, Leerlauf und aktiver Freizeit. Die ständige Verfügbarkeit von Streaming-Diensten, (sozialen) Medien und Online-Spielen eröffnet zusätzlich ein gigantisches Freizeitparadies, dessen Überangebot an Beschäftigungsmöglichkeiten uns überfordert. Wir sind ständig erreichbar, doch echte Erholung erreicht uns selten.
Freizeitstress: Warum wir ein Problem mit dem Nichtstun haben
Symptome: Daran erkennt ihr, ob ihr zu viel Freizeitstress habt
Dass Stress krank macht, ist schon lange bekannt. Studien zufolge leiden Menschen, die häufig gestresst sind, - verglichen mit selten Gestressten - deutlich öfter unter Erschöpfung, Schlafstörungen, Kopfschmerzen und Niedergeschlagenheit bzw. Depressionen. Ähnliches gilt, wenn die Freizeit durchgetaktet ist: Nach einer Befragung des Meinungsforschungsinstituts YouGov finden viele Menschen in ihrer Freizeit keine echte Entspannung. 41 Prozent der Befragten gaben an, sie empfinden ihren Schlaf eher nicht bis gar nicht erholsam. Gar nicht oder nicht gut entspannen können sich nach eigener Einschätzung 37 Prozent. Viele empfinden sich in der Freizeit regelrecht als Getriebene. 50 Prozent der Befragten empfinden manchmal bis sehr häufig Freizeitstress - also Druck oder Zeitdruck in Momenten, in denen sie nicht arbeiten müssen.
50 Prozent von 2042 Befragten im Alter von 18 bis 75 Jahren gaben im Dezember 2023 an, manchmal bis sehr häufig Freizeitstress zu empfinden.
Der Grund für dieses Gefühl, in der Freizeit gestresst zu sein, liege daran, dass Menschen in ihrer Freizeit häufig nicht das tun, was sie eigentlich gerne machen würden, sagt Ulrich Reinhardt, Professor für empirische Zukunftsforschung an der Fachhochschule Westküste und Wissenschaftlicher Leiter der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen. Tatsächlich gaben in der YouGov -Umfrage 22 Prozent "sehr häufig" bzw. "häufig" an, dass sie das Gefühl haben, dass sie ihre freie Zeit lieber sinnvoller verbringen würden, als sie es tatsächlich getan haben. 33 Prozent der Befragten stimmten dem "manchmal" zu. "Häufig ist das große Problem, dass ich zu vielen Freizeitangeboten 'Ja' sage, aus Angst, etwas Großartiges zu verpassen", erklärt Freizeitforscher Ulrich Reinhardt. Dabei sei es vielleicht viel erholsamer, mal Fünfe gerade sein zu lassen.
Gesagt: Freizeit ist etwas tun, ohne etwas tun zu müssen
"Freizeit definiert sich über die Freiwilligkeit - wenn man etwas tut, ohne es tun zu müssen. Wir schaffen es aber in der Freizeit an sich nie, das zu tun."
Ulrich Reinhardt, Professor für empirische Zukunftsforschung an der Fachhochschule Westküste und Wissenschaftlicher Leiter der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen
Definition: Was versteht man unter Freizeit und Freizeitstress?
Freizeitstress entsteht, wenn wir uns in unserer freien Zeit viel mehr vornehmen als uns guttut.
Will man Freizeitstress verstehen, muss man zunächst erklären, was Freizeit eigentlich ist. "Freizeit definiert sich wissenschaftlich über Freiwilligkeit. Das heißt, wenn man etwas tut, ohne es tun zu müssen, dann ist das die klassische Freizeit", sagt Freizeitforscher Ulrich Reinhardt.
Experten nennen Freizeit auch Dispositionszeit, also die Zeit, über die wir frei verfügen (disponieren) können - im Gegensatz zur Determinationszeit (fremdbestimmte Arbeitszeit), Regenerationszeit (Zeit, in der wir schlafen) und Obligationszeit (Zeit, in der wir Dinge erledigen, z.B. der Weg zur Arbeit, einkaufen, Wäsche waschen, Kinder betreuen). "Viele Aktivitäten, die wir scheinbar in unserer Freizeit ausüben, sind also gar keine Freizeit, sondern Obligationszeit", sagt Ulrich Reinhardt.
Freizeitstress entsteht, "wenn wir uns in unserer - meist knapp bemessenen - Dispositionszeit viel mehr vornehmen als uns guttut", sagt Reinhardt. Wenn man das Maximale in seine Freizeit hineinpackt, führe das in der Regel zu Stress, da man das Gefühl habe, man verpasst etwas, man muss sich entscheiden oder man wird nicht allem gerecht. "Wir haben alle gelernt zu arbeiten. Aber kaum jemand hat gelernt zu 'freizeiten', also Freizeit 'richtig' zu verbringen." Deshalb gehe der eigentliche Zweck der Freizeit - die Erholung - verloren.
Gesagt: In der Freizeit auch an sich denken
"Ein gewisser Egoismus, was die Freizeit angeht, ist wichtig."
Ulrich Reinhardt, Professor für empirische Zukunftsforschung an der Fachhochschule Westküste und Wissenschaftlicher Leiter der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen
Auszeit: Warum Pausen im Alltag wichtig sind
Geschichte: Seit wann gibt es eigentlich Freizeit und Freizeitstress?
Bereits die alten Römer genossen in ihrer Freizeit Mußestunden.
Die Erfindung der Freizeit ist nicht neu. In Urzeiten war freie Zeit allerdings eher die Ausnahme als die Regel. Denn um zu überleben, mussten auch Urmenschen seit jeher arbeiten: Mammuts jagen, Früchte sammeln, Steine behauen, Feuer entzünden. Immerhin fanden aber auch Urzeitmenschen freie Zeit, etwa um Jagdszenen auf Höhlenwände zu malen. Auch die alten Griechen kannten schon so etwas wie Pausen. "Wir arbeiten, um Muße zu haben …", schrieb Aristoteles vor etwa 2400 Jahren. Selbst Sklaven verfügten über freie Zeit, die sie etwa bei den Olympischen Spielen verbrachten. Ähnlich hielten es die Römer, die den Begriff für Arbeit (lateinisch: neg-otium, "Unmuße, Staatsdienst") aus dem Begriff für Muße (lateinisch: otium) ableiteten. Im Mittelalter ordneten dann Jahreszeiten und kirchliche Feste den Alltag. Freie Zeit existierte dann, wenn es weniger zu arbeiten gab - etwa für die Bauern im Winter - oder an christlichen Feiertagen nicht gearbeitet werden durfte. Mitte des 14. Jahrhunderts wurde der Begriff "frey zeyt" in Deutschland erstmals schriftlich erwähnt. Gemeint war damit allerdings nicht Muße, sondern "Marktfriedenszeit", die Teilnehmern von Märkten sicheres Geleit versprach. Den Begriff "Freizeit", der tatsächlich freie Zeit versprach, benutzte erstmals der Pädagoge Friedrich Fröbel im Jahr 1823. Er bezeichnete damit die Zeit, die den Kindern und Jugendlichen seiner Erziehungsanstalt im thüringischen Keilhau "zur Anwendung nach ihren persönlichen und individuellen Bedürfnissen freigegeben" war.
Ein entscheidender Schritt hin zu "Mehr Freizeit für alle" gelang durch die Industrielle Revolution des 19. Jahrhunderts. Der technologische Fortschritt ermöglichte kürzere Arbeitszeiten bei gleicher Produktivität, sodass mehr Zeit für persönliche Interessen blieb. Die Ausrufung des 1. Mai 1890 zum feiertäglichen "Tag der Arbeit" wurde zum Symbol des Kampfes der Arbeiterbewegung für mehr Freiheiten. Echte Fortschritte hin zu mehr Freizeit für Arbeitnehmer gab es aber erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs. "Wenn wir die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts nehmen, da hat Freizeit erheblich zugenommen", erklärt Freizeitforscher Ulrich Reinhardt. Doch auch in den 1950er-Jahren gab es für Arbeitnehmer noch keinen freien Samstag, an sechs Tagen wurden bis zu 48 Stunden gearbeitet. Durch die Arbeitszeitverkürzung der 1960er- und '70er-Jahre auf 40 Stunden entstand schließlich mehr Raum für Erholung und Freizeitgestaltung. "In den letzten Jahrzehnten ist der Freizeit-Anteil allerdings nicht mehr gestiegen", sagt Reinhardt. Heute gebe es zwar deutlich mehr Möglichkeiten für Teilzeit und Homeoffice. Doch was da an freier Zeit dazukomme, würde vor allem durch Obligationszeit, also dem Verfassen der Steuererklärung oder Care-Arbeit, aufgefressen.
Erklärt: Was bedeutet "Fear of Missing Out - FOMO"?
FOMO und Nomophobia: Die Angst, etwas zu verpassen
Führen andere ein erfüllteres Leben? FOMO beschreibt die Angst, etwas zu verpassen.
FOMO (Fear of Missing Out) beschreibt die Angst, spannende Erlebnisse zu verpassen, verbunden mit dem Gefühl, dass andere ein erfüllteres Leben führen als man selbst. Zugleich ist FOMO durch den Wunsch definiert, ständig mit dem in Verbindung zu bleiben, was andere tun. Ausgelöst wird FOMO durch soziale Medien, die das ständige gegenseitige Beobachten und Vergleichen fördern. Häufig steht dahinter die Furcht, ausgeschlossen zu werden, wenn man mit den Aktivitäten von Freunden nicht mithalten kann. Ein Phänomen, das allerdings nicht unbedingt an Mediennutzung gebunden sein muss, wie Zukunftsforscher Ulrich Reinhardt betont: "Vor der Corona-Pandemie war FOMO eher die Idee jüngerer Leute, ich muss von einem Club zum nächsten springen und überall dabei sein." Aber auch die mittlere und ältere Generation, die deutlich weniger auf Social Media aktiv sei, würden das Phänomen kennen, sagt Reinhardt. So existiere FOMO beispielsweise auch bei Gruppen, die sich weniger Dinge in der Freizeit leisten können.
Bereits 2013 untersuchte der britische Psychologe Andrew Przybylski in einer Studie die verschiedenen Ausprägungen von FOMO. Er konfrontierte junge Erwachsene mit Fragen wie "Hast Du Angst, dass andere tollere Sachen erleben als Du?", "Machst Du Dir Sorgen, wenn Du nicht weißt, was Deine Freund*innen gerade tun?" oder "Ist es Dir wichtig, Deine schönen Erfahrungen auch online zu teilen?" und entwickelte daraus eine Skala, die die individuelle Betroffenheit von FOMO aufzeigt.
FOMO kann einer anderen Studie zufolge auch Angst oder Gefühle der Einsamkeit auslösen - etwa, wenn Betroffene fürchten, dass es ihnen negativ ausgelegt wird, wenn sie eine Veranstaltung verpassen. Dieser Kreislauf aus ängstlichen Gedanken und der Notwendigkeit, Schritt zu halten, könne, so die Autoren der Studie, sogar zu einer Depression führen. Dass FOMO mit Mediennutzung zu tun hat, darauf weist eine griechische Studie hin. Ihr zufolge gibt es möglicherweise einen Zusammenhang zwischen FOMO und Nomophobia. Der englische Begriff Nomophobia, zusammengesetzt aus den Worten "No Mobile Phone Phobia" (= etwa "Kein Mobiltelefon-Angststörung") bezeichnet die starke Angst, ohne Handy unterwegs und deshalb nicht online sein zu können. Vor allem Jugendliche und junge Erwachsene gelten aufgrund ihrer hohen Social-Media-Affinität als anfällig für FOMO. Dabei seien besonders jene Persönlichkeitstypen für FOMO empfänglich, die mit ihrer Lebenssituation unzufrieden sind.
Erklärt: Was bedeutet "Joy of Missing Out - JOMO"?
Für mehr JOMO und Erholung: Tipps gegen Freizeitstress
Bewusst Auszeiten nehmen und auch mal allein die Ruhe genießen - das hilft gegen Freizeitstress.
Was also tun gegen den Freizeitstress? Damit ihr eure Freizeit entspannt genießen könnt, ist es wichtig, Entscheidungen bewusst zu treffen und Stressfallen strategisch zu umgehen. Folgende Tipps können euch dabei helfen:
- Alles ist eine Frage der Haltung! Versucht es mal mit JOMO ("Joy of Missing Out"). Freut euch an dem, was ihr gerade tut - auch wenn ihr gerade "nur" auf dem Sofa entspannt - und entscheidet euch bewusst dafür, nicht überall dabei sein zu müssen.
- Ihr müsst auch nicht ständig erreichbar sein. Offline zu sein ist in der Freizeit nicht nur möglich, sondern hin und wieder durchaus notwendig. Studien zeigen: Wer ständig "in Alarmbereitschaft" ist, kann nicht entspannen.
- Nehmt euch gezielte Offline-Zeiten: Mit Offline-Apps könnt ihr eure Social-Media-Zeit reduzieren.
- Denkt mal über eure Social-Media-Nutzung nach. Wie viel, wann und wo seid ihr auf Snapchat oder Instagram unterwegs? Hilfeportale wie Das andere Leben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung helfen euch, die Balance zwischen virtueller und realer Welt zu finden.
- Denkt über eure eigenen Prioritäten nach und nehmt sie ernst: Was ist mir wichtig im Leben? Was mag ich und was nicht?
- Konzentriert euch auf positive Aspekte des Lebens. Ein Achtsamkeits-Tagebuch kann dabei helfen.
- Pflegt eure Freundschaften auch in der realen Welt: Gemeinsam etwas zu unternehmen, macht immer noch am meisten Spaß!
- Auch wenn es uncool klingt: Nehmt euch Zeit für ein Hobby, das euch wirklich Freude macht.
- Schließlich: Einfach mal gar nichts tun und ganz für sich zur Ruhe kommen.
Interview: Warum stresst uns Freizeit so?
Interview mit Ulrich Reinhardt, Professor für empirische Zukunftsforschung an der Fachhochschule Westküste und Wissenschaftlicher Leiter der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen
Von Langeweile bis Freizeitstress - warum gehen Menschen so unterschiedlich mit ihrer freien Zeit um?
Antwort: Das hängt mit den Lebensphasen zusammen. Je weniger man im Arbeitsprozess eingebunden ist, desto mehr freie Zeit hat man zur Verfügung und desto eher hat man die Ruhe, bestimmte Aktivitäten auszuüben. Andersherum kann man sagen: Je jünger eine Person ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass eine größere Anzahl von Freizeitaktivitäten pro Woche ausgeübt wird. Wer sich zudem sehr stark mit seiner Arbeit identifiziert und hier einen gewissen Status erworben hat, der sucht in der Freizeit nicht unbedingt auch noch Dinge, über die er oder sie sich identifizieren kann. Daher ist es auch wichtig zu sehen, welche Funktion Freizeit für jeden individuell hat. Hinzu kommt: Wir haben alle gelernt zu arbeiten und verpflichtende Tätigkeiten auszuüben. Aber kaum jemand hat gelernt zu "freizeiten", also Freizeit "richtig" zu verbringen. Studien zeigen, dass die höchste Sterbe-Wahrscheinlichkeit zumindest bei Besserverdienern in dem Jahr liegt, in dem sie aufhören zu arbeiten - weil mit Renteneintritt Prestige, soziale Kontakte und berufliche Identifikation verloren gehen.
Kann man denn "Freizeiten" lernen?
Antwort: Sicher, man muss sich halt eine Strategie zurechtlegen und fragen, was soll meine Freizeit mir am Ende der Woche gebracht hat? Dabei kann ich auch "Nein" sagen. Das ist nämlich häufig das große Problem, dass ich zu vielen Freizeitangeboten "Ja" sage, aus Angst, etwas Großartiges zu verpassen. Dabei ist es vielleicht viel erholsamer, mal Fünfe gerade sein zu lassen und zu sagen: Es ist okay, wenn ich in der Badewanne liege oder tagträumend auf der Wiese in die Luft schaue. Und noch ein Tipp: Suhen Sie sich ein Hobby suchen, das Sie die Zeit vergessen lässt. Sich in einem Hobby zu verlieren, ist etwas Großartiges.
Was ist das eigentlich: ein Hobby?
Antwort: Ein Hobby, oder auch ein Steckenpferd, ist etwas, was man sinn- und zweckfrei ausübt. Der einzige Zweck ist, dass es einem bei der Ausübung besser geht. Außerdem übt man ein Hobby in einer gewissen Regelmäßigkeit aus, egal, ob mehrmals die Woche oder mehrmals im Monat. Wichtig ist, dass man die Zeit über sein Hobby vergisst und ganz tief darin eintaucht - dann haben Sie die positiven Effekte des Hobbys. Aber es ist recht schwer, ein Hobby zu finden und Hobbys haben hierzulande auch ein schlechtes Image. Ich gelte nicht gerade als interessanter Gesprächspartner, wenn ich sage, dass ich beispielsweise Briefmarken sammle.
Beobachten Sie, dass weniger Menschen ein Hobby ausüben?
Antwort: Definitiv. In unserer Studie "Freizeit-Monitor" befragen wir regelmäßig über 2.000 Personen im Alter von 18 bis 74 Jahren repräsentativ zu ihren Aktivitäten in der Freizeit, darunter auch nach Hobbys. Da kann man klar ablesen, dass immer weniger Menschen ein Hobby ausüben. Und wenn man fragt: Welche Aktivität würdest du gerne häufiger ausüben? Dann wird Hobby sehr häufig genannt. Das ist ein bisschen paradox und hat auch damit zu tun, dass wir es generell nicht schaffen, in der Freizeit das zu tun, was wir eigentlich wollen.
Was wollen die Leute denn in ihrer Freizeit tun?
Antwort: Die Frage ist doch: Wie verbringen wir tatsächlich unsere Freizeit? Unsere Freizeit ist stark medial geprägt. Nummer Eins ist das Internet: Online sein, irgendwelche Reels angucken. Nummer Zwei ist Fernsehen und sich passiv berieseln lassen. Dann kommt Social Media, Radio und andere Medien. Wenn Sie nachfragen: Was wollen die Leute gerne häufiger machen? Dann erscheint im "Freizeit-Monitor" nicht eine mediale Aktivität. Erst ungefähr auf Platz 30 erscheint "Bücher lesen". Was aber häufiger genannt wird, sind Regeneration und soziale Aktivität. Man möchte sich häufiger mit seinen Freunden treffen, noch häufiger die Tante besuchen, die man lange nicht gesehen hat. Oder auch nur ein Telefonat in Ruhe führen, ohne dass ich nebenbei kochen muss oder nebenbei bügle. Also nur eine Sache zu einer Zeit tun und nicht mehr tun in gleicher Zeit. Wer fährt denn heute ausschließlich S-Bahn? Nebenbei müssen wir noch Nachrichten checken, Nachrichten verschicken. Wir müssen sieben andere Sachen machen und wollen uns nicht mal auf der Bahnfahrt nach Hause einen Augenblick von der Arbeit erholen. Die Zeit nehmen wir uns nicht mehr. Freizeit soll produktiv sein, das ist nicht klug.
Ist diese Gleichzeitigkeit der Aktivitäten das, was uns so stresst?
Antwort: Ja, ganz klar. Die Forschung hat gezeigt, dass wir es kaum noch schaffen, eine Aktivität länger als zwei Stunden auszuüben. Kein Restaurantbesuch, kein Kinobesuch, kein Theaterbesuch, kein Treffen mit Freunden dauert in der Regel länger als zwei Stunden, weil wir dann das Gefühl haben, wir brauchen wieder einen neuen Impuls. Unsere Freizeit muss heute zweckbestimmt sein durch möglichst viele Aktivitäten und wir springen von Highlight zu Highlight. Das ist ebenfalls nicht klug. Aber es ist nicht so leicht zu ändern, weil die Freizeitindustrie darauf ausgerichtet ist. Andererseits ist Freizeit sehr stark passiv geprägt. Sie gehen nicht täglich ins Theater oder ins Kino. Sich mit Freunden zu treffen, wird in der Regel aufs Wochenende geschoben. Der klassische Deutsche sitzt nach wie vor um 20 Uhr vor dem Fernsehgerät auf dem Sofa, das Handy in der Hand, und guckt Fernsehen oder Netflix und daddelt nebenbei. Das ist der Freizeitalltag bei acht von zehn Bundesbürgern.
Also mehr Selbstbestimmung und Aktivität in der Freizeit?
Antwort: Ganz genau. Es ist viel cleverer, wenn man sich Gedanken darüber macht, was mir guttut und welches Hobby mir gefallen würde. Und dafür dann andere Sachen weglassen. Man kann sich zum Beispiel überlegen, was hat mir in meiner Kindheit und Jugend Spaß gemacht? Wer sind Gleichgesinnte, mit denen ich dieses Hobby ausüben könnte? Oder will ich vielleicht ganz bewusst mit niemandem etwas zusammen machen? Das sind viele Fragen, die man für sich selbst beantworten kann. Und dann eben eintauchen in dieses Hobby. Das wäre eine Freizeitaktivität, die den Menschen guttut.
Tendiere ich ohne spezielles Hobby eher zu Angst, etwas zu verpassen?
Antwort: Ohne ein geliebtes Hobby hat man sicher eher Angst, etwas zu verpassen (kurz: FOMO, Fear of Missing Out). Wichtig dabei ist: FOMO ist nicht unbedingt an Mediennutzung gebunden. Vor der Corona-Pandemie war FOMO eher die Idee, ich muss von einem Club zum nächsten springen, überall dabei sein. Durch die sozialen Medien ist der Druck in den letzten Jahren gerade bei jungen Leuten noch einmal gestiegen, ja nichts zu verpassen. Aber auch die mittlere und auch die ältere Generation, die deutlich weniger auf Social Media aktiv ist, kennt das Phänomen. Wer kennt es nicht, dass man am Wochenende mehr als eine Verabredung hat? Und dann ist man bei der einen kurz, um noch zur nächsten zu gehen. Und schließlich existiert FOMO auch bei Gruppen, die sich weniger Dinge in der Freizeit leisten können, beispielsweise nicht ins Theater oder Kino gehen, weil die finanziellen Mittel nicht da sind. Hier herrscht dann die Angst, etwas zu verpassen, weil man aus Kostengründen nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teilhaben kann. Es geht nicht nur um das Posten in sozialen Medien, sondern generell, um das Gefühl etwas zu verpassen - etwa, weil ich nicht da wohne, weil ich es mir nicht leisten kann, weil ich nicht die Freunde habe, weil ich nicht cool genug bin, weil ich nicht gut genug aussehe - warum auch immer.
Und was kann ich gegen FOMO tun?
Antwort: Amerikaner sprechen ganz bewusst von JOMO, also: Joy of Missing Out, das bewusste Verpassen von Dingen. Natürlich ist es schwer, so etwas repräsentativ abzubilden, aber wir haben untersucht, was Leute antworten, die sich am Wochenende weniger Aktivitäten zugewandt haben. Wie zufrieden waren sie mit dem Wochenende? Wie entspannt war es? Da ist die Erholung höher, wenn weniger Aktivitäten ausgeübt wurden. Wenn es ausgereicht hat, am Wochenende nur eine Verabredung zu haben, die aber dafür qualitativ besser war, weil man nicht auf die Uhr geguckt hat. JOMO kann also durchaus eine Antwort auf Freizeitstress sein, also Prioritäten setzen, Erwartungen reduzieren, sich Gleichgesinnte suchen, mit denen ich das ausüben kann, die mich unterstützen. Und die Balance finden zwischen Anspannung und Entspannung. Denn nur auf dem Sofa liegen, ist auch für die wenigsten befriedigend. Und schließlich: Kein schlechtes Gewissen haben und Langeweile als etwas Positives sehen. Das ist entscheidend. Denn Langeweile ist wiederum die Quelle für Weiterentwicklung, für Ideen und für Kreativität.
Quellen und Sendungen: Weitere Infos zum Thema FOMO und Freizeitstress
Quellen:
- Studie: Angst, etwas zu verpassen. Zusammenhänge mit Depression, Achtsamkeit und körperlichen Symptomen. (Translational Issues in Psychological Science, 2016/2, researchgate.net)
- Studie: Passive Nutzung sozialer Netzwerke und Wohlbefinden. Die vermittelnde Rolle des sozialen Vergleichs und die Angst, etwas zu verpassen. (Cyberpsychology. Journal of Psychosocial Research on Cyberspace. 3/2019, cyberpsychology.eu)
- Studie: #TheStruggleIsReal: Fear of Missing Out (FoMO) und Nomophobie können, müssen aber nicht immer zusammen auftreten (Trinity Western University, 2018, researchgate.net)
- Studie: Angst, etwas zu verpassen: Prävalenz, Dynamik und Konsequenzen des Erlebens von FOMO (Motivation und Emotion, 3/2018, link.springer.com)
- Studie: Motivierende, emotionale und verhaltensbezogene Wechselbeziehungen der Angst, etwas zu verpassen (Computers in Human Behavior, 7/2013, sciencedirect.com)
- Studie: Freizeit-Monitor 2023 (Stiftung für Zukunftsfragen, freizeitmonitor.de)
- Studie: JIM-Studie 2023 - Jugend, Information, Medien (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest, mpfs.de)
- Stress in der Freizeit: zwischen Copingstrategien und Leisure Sickness (4. Bremer Freizeitkongress, 2016, media.suub.uni-bremen.de)
- Das andere Leben: Selbsttest und Online-Beratung zur Mediennutzung (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung)
Sendungen:
- "Volkskrankheit Stress": SWR2 Wissen, SWR2, 18.01.2024, 16:00 Uhr.
- "Stress - Warum er manche besonders trifft": W wie Wissen Spezial, ARD alpha, 16.01.2024, 21.45 Uhr
- "so geht Medien-Lexikon: FOMO (Fear of Missing Out)": so geht Medien, BR, 28.08.2023.
- "so geht Medien-Lexikon: JOMO (Joy of Missing Out)": so geht Medien, BR, 28.08.2023.
- "Sommer, Sonne, Freizeitstress: Warum nix tun oft schwerfällt": quer, BR Fernsehen, 21.07.2023, 20:15 Uhr.
- "Stress lass nach! Chillen, Sport und Entspannung": Campus Magazin, ARD alpha, 25.07.2019, 10:30 Uhr.
- "#JOMO - Wie Musiker jetzt das Daheimbleiben feiern": puls, BR, 10.05.2019, 10 Uhr