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Fakten Was ist Literatur?

Die Definition von Literatur ist nicht einfach, obwohl jeder sofort versteht, was jeweils gemeint ist, wenn von literarischer Bildung, von Literaturkritik, Literaturangaben oder weiterführender Literatur die Rede ist. Sie hängt sowohl von historischen Einflüssen als auch von individuellen Sichtweisen ab.

Stand: 07.12.2012 | Archiv

Bücherwand Literaturmesse | Bild: picture-alliance/dpa

Der ursprünglich sehr breite und neutrale Begriff von Literatur wurde als Gesamtheit "alles schriftlich Aufgezeichneten" (Meid S.304) bezeichnet. Die Wesensbestimmung, d.h. die Definition von Literatur hängt davon ab, was sie leisten soll, was sie erfüllen muss, was sie im Idealfall vermag.

Das dtv-Lexikon definiert neutral: Im engeren Sinn ist Literatur hier das, was andere nach verschiedenen Kriterien ordnen: "Literatur: [lat.] Gesamtheit der schriftlich niedergelegten Äußerungen, im engeren Sinn das gesamte schöngeistige Schrifttum. Die Literatur wird nach Epochen, Völkern oder Sachgebieten geordnet ..."

Gero von Wilpert (Autor und Literaturwissenschaftler, 1933-2009) sah die Literatur im engeren Sinn als die Gesamtheit der "Sprachkunstwerke", die besonderen ästhetischen Kriterien genügen und in ihrer höchsten Form Dichtung sind. Welche Kriterien das sind, sagte er allerdings nicht. Literatur ist hier alles, was zum "Gegenstand" der Literaturwissenschaft werden kann. Da die Literaturwissenschaft sich auch um die Analyse mündlich überlieferter Zeugnisse bemüht, zählt entgegen dem ursprünglichen Wortsinn auch nicht schriftlich Niedergelegtes dazu.

Auszug aus seinem „Sachwörterbuch der Literatur“:
"Literatur: (lat. literatura = Buchstabenschrift), 'Schrifttum', dem Wortsinn nach der gesamte Bestand an Schriftwerken jeder Art einschließlich wissenschaftlicher Arbeiten über alle Gebiete ( Literaturwissenschaft: Sekundär- Literatur) vom Brief bis zum Wörterbuch und von der juristischen, philosophischen, geschichtlichen oder religiösen Abhandlung bis zur politischen Zeitungsnotiz. Gegenüber diesen von äußeren Anlässen und Gegenständen ausgehenden, 'sachbezogenen' Literatur, faßt Literatur im engeren Sinn als Gegenstand der Literaturwissenschaft mehr die sogenannte schöne Literatur, die nicht zweckgebundene und vom Gegenstand ausgehende Mitteilung von Gedanken, Erkenntnissen, Wissen und Problemen ist, sondern aus sich heraus besteht und eine eigene Gegenständlichkeit hervorruft, durch besondere gemüthafte und ästhetische Gestaltung des Rohstoffs Sprache zum Sprachkunstwerk wird und in der Dichtung die höchste Form erreicht. Als solche umfasst sie andererseits über den Wortsinn des schriftlich Niedergelegten hinaus auch das vorliterarisch mündlich Überlieferte (Mythos, Sage, Märchen, Sprichwort, Volkslied): Nicht alle Literatur, ist Dichtung, nicht alle Dichtung Literatur im Wortsinn."

Ganz im Gegensatz zu dieser auf den ersten Blick nicht gerade verständlichen Definition bestimmt unserer bekanntester Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki die Literatur im Blick auf die Leser/innen:

"Literatur muss Spaß machen. Sie soll den Menschen Freude, Vergnügen und Spaß bereiten und sogar Glück." (Spiegel 25/2001)

Reich-Ranicki bricht mit der hierzulande so beliebten Unterscheidung von "Höhenkamm-" und Unterhaltungsliteratur". Es gilt, so Reich-Ranicki, mit guter Literatur zu unterhalten, freilich auf intelligente Weise. Durch Literatur lernen wir uns selber besser verstehen."Bücher lesend“, so heißt es in seiner Autobiographie Mein Leben, wollten wir "vor allem uns selbst verstehen."

Es gibt auch Versuche, die Fiktionalität zum eigentlichen Bestimmungsmerkmal von Literatur zu erheben. Literatur ist dann alles, was eine "Als-ob-Realität" erschafft, die nicht wahr sein muss, aber wahr zu sein scheint, was buchstäblich wahr-scheinlich ist. Aber auch das Kriterium der Fiktionalität reicht nicht hin. Denn es gibt zweifellos auch zahlreiche nicht-fiktionale literarische Texte, z.B. Autobiographien, Memoiren, Tagebücher, Reiseberichte, Traktate und Briefe, die rechtens als Literatur gehandelt werden.

Fazit: Was das Spezifische der Literatur über den breiten wörtlichen Sinn von "alles schriftlich Aufgezeichnete" hinaus ist, das hängt davon ab, was der jeweilige Kulturbetrieb – Literaturwissenschaftler, Autoren, Kritiker, Verleger und Leser – jeweils als solche betrachten und von ihr erwarten.

Literatur wird nicht nur unterschiedlich definiert, sondern auch je nach Interessen und Kultur verschieden eingeteilt.

Einteilung der Literatur im Verlagswesen

Viele Verlage gliedern ihr Literaturangebot zunächst einmal grob nach Fiktion, auch Belletristik oder schlicht Literatur genannt, und Non-Fiktion, auch Sachbücher und Fachbücher genannt. Je nach Angebot werden innerhalb der Belletristik noch Klassiker oder gar "moderne Klassiker" herausgehoben und die deutschsprachige Literatur von der internationalen geschieden. Ähnlich wie Musikkritiker zwischen E-(rnster) und U-(nterhaltungs-)Musik – so unterscheiden viele Literaturkritiker zwischen literarisch anspruchsvoller so genannter "Höhenkammliteratur" (auch Hochliteratur genannt) und unterhaltsamer "Massenliteratur". Als "Höhenkammliteratur" gelten formal und inhaltlich anspruchsvolle literarische Werke, die Chancen haben oder einst hatten, in den schmalen Kanon dessen aufgenommen zu werden, "was man gelesen haben muss". Es sind mit anderen Worten Werke, die von tonangebenden Personen und Medien als ästhetisch hochwertig, als traditionsbildend und repräsentativ anerkannt werden, Werke, auf die man direkt oder indirekt zitierend anspielen kann, ohne große weitere Erläuterungen geben zu müssen. Die "Höhenkammliteratur" bestimmt sich vorwiegend aus ihrer Differenz zur Massen- und zur Trivialliteratur. Letzteren wird – zuweilen auch zu Unrecht – Kitsch, schematische Schwarzweißmalerei und schwülstige Sentimentalität nachgesagt. Was indes Kitsch ist und wo eine Empfindung "schwülstig" genannt zu werden verdient, ist – sieht man einmal von den Groschenromanen ab – meist Geschmacksache.

Das zeigte z.B. Robert Schneiders Roman Schlafes Bruder (1. Auflage 1992). Etliche Lektoren und Kritiker lehnten das Werk rigoros ab, weil es allzu sentimental und schwülstig sei, aber den Leser/innen gefiel es: Es eroberte die Bestsellerlisten, woraufhin so mancher Kritiker sich genötigt sah, sein Kitschurteil zu revidieren.

Einteilung der Literatur in der Wissenschaft

In der Literaturwissenschaft ist es üblich, die "Schöne Literatur" nach Sprachen, Zeiten, Gattungen und Motiven zu ordnen. In seinem „Sachwörterbuch der Literatur“ schrieb der Literaturwissenschaftler Gero von Wilpert hierzu: "Die Gliederung der Weltliteratur erfolgt sprachlich in verschiedene Nationalliteratur, zeitlich in Epochen, formal in Gattungen, inhaltlich nach Motivgruppen, Stoffen usw." Um die Einteilung der Weltliteratur in verschiedene Nationalliteraturen brauchen wir uns hier nicht zu kümmern, da wir uns im Fach Deutsch vorwiegend mit deutschsprachiger Literatur beschäftigen.

Einteilung der Literatur nach Epochen

Die Literaturgeschichte einzelner Länder wird von den Literaturhistorikern gewöhnlich in Epochen eingeteilt: Hierbei wird vorausgesetzt, dass jede Zeit auch ihre typische, für sie charakteristische Literatur hat, deren Merkmale in repräsentativen Werken sozusagen in Reinform hervortreten.
Die gängigen Epochenbegriffe der deutschen Literaturgeschichte stammen (siehe Meid S.145)

• aus dem Bereich der Kunstgeschichte: Barock, Biedermeier, Expressionismus, Neue Sachlichkeit
• aus dem Bereich der Religions- und Philosophiegeschichte: Reformationszeit, Aufklärung
• aus der politischen Geschichte: Restaurationszeit, Vormärz
• aus der Literatur- und Geistesgeschichte: Humanismus, Goethezeit, Romantik.

Epochenbegriffe sind so brauchbar und so verfänglich wie alle Ordnungsbegriffe. Sie bieten eine erste Orientierung, weil sie den "Geist" der Zeit und das, was ihn bestimmte und reflektierte (Politik, Philosophie, Ökonomie, Architektur, Malerei, Dichtung) umreißen. Sie sind verfänglich, weil sie zum Schubladendenken verführen, d.h. dazu, den individuellen Reichtum und die Eigenheit der einzelnen Werke zu übersehen. Zum Beispiel „passt“ Hölderlin insofern in die Romantikschublade, weil er zur Zeit der Romantiker lebte und das romantische Kriterium der Wiederbelebung des Mythos "erfüllt". Und dennoch wäre es ein Fehlgriff, ihn einen Romantiker zu nennen. Sein Natur-, Mensch- und Gottesverständnis weist nirgends die für die Romantiker so bezeichnende christlich gefärbte Weltabgewandtheit und Jenseitssehnsucht auf.

Einteilung der Literatur nach Gattungen

Der Begriff der literarischen Gattung wird verschieden verwendet:

• als Bezeichnung für überhistorische Konstanten wie Goethes Naturformen der Dichtung Epik, Lyrik und Dramatik (Meid S.190).
• als Bezeichnung für konkrete, geschichtlich bedingte Formen (Goethe Dichtarten) wie Tragödie oder Roman und deren Untergruppen. Letztere werden jeweils nach Inhalt und Form näher definiert: so etwa Novelle, historischer Roman, Ballade und Bürgerliches Trauerspiel.

Zweifellos gibt es Mischformen wie das "epische Theater" oder den "lyrischen Roman", und zweifellos streiten sich auch seit langem die Geister darüber, wie man die Gattungen begründen, definieren und systematisieren kann (vgl. Meid S.191ff). Dennoch bietet das Verständnis der Gattungen und ihrer unterschiedlichen Ausprägungen und Zielsetzungen einen ersten Einblick in die "Schöne Literatur". Gerade Mischformen schließen sich so auf, z.B. das "epische Theater": Nur wer weiß, was Drama und Epos sind, merkt auch, was hier durchbrochen wird. Brechts Verfremdungseffekte können nur verstanden und in ihrer revolutionären Kraft begriffen werden, wenn einem zweierlei klar ist:

Zum einen, dass zum traditionellen Drama die Schaffung einer Illusion gehört, in der die Schauspieler ganz in ihren Rollen aufgehen und die Zuschauer emotional unmittelbar in das dramatische Geschehen hineingezogen werden. Und zweitens dass zum traditionellen Epos die erzählerische Distanz gehört, der objektivierende/urteilende Blick auf ein zurückliegendes Geschehen.

Quellen:

  • Volker Meid. Sachwörterbuch zur deutschen Literatur. Stuttgart 1999; Reclam Taschenbuch 2001
  • Gero von Wilpert. Sachwörterbuch der Literatur. Stuttgart 1969 (5. Aufl.) Kröner Verlag 2001
  • Marcel Reich-Ranicki. Nichts als Literatur. Aufsätze und Anmerkungen. Stuttgart 1995

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