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Bandscheibenvorfall operieren? Operation und konservative Behandlung im Vergleich

Bei einem Bandscheibenvorfall operieren? Das ist nicht immer sinnvoll, im Gegenteil: Nur bei rund einem Fünftel der Fälle ist eine OP notwendig. Wir zeigen, welche Methoden es gibt und wann konservative Maßnahmen zum Erfolg führen.

Von: Katharina Kerzdörfer, Bernd Thomas

Stand: 13.03.2024 14:29 Uhr

Anatomie der Wirbelsäule: Das passiert beim Bandscheibenvorfall im Rücken

Zahlreiche Studien haben untersucht, welche Behandlungsmethode nach einem Bandscheibenvorfall effektiver ist: Operation oder konservative Therapie. Das erstaunliche Ergebnis: Mit konservativen Verfahren wie zum Beispiel Krankengymnastik hat man ähnliche Erfolgschancen wie mit einer Operation. Nur die wenigsten, circa rund ein Fünftel aller Bandscheibenvorfälle müssen tatsächlich operiert werden. Eine Garantie für Beschwerdefreiheit gibt es in beiden Fällen allerdings nicht.

"Man muss immer zurückhaltend sein, wenn es darum geht, eine Operationsindikation zu stellen. Insbesondere wenn es um den Rückenschmerz geht, kann man dem Patienten keine Garantie auf eine Besserung geben. 80 Prozent der Patienten sind nach einer Operation zur Behandlung des Rücken- oder Beinschmerzes mit dem Ergebnis zufrieden und sagen, der Eingriff hat sich für sie gelohnt. Bei 20 Prozent ist dies nicht der Fall. Das müssen die Patienten vorher wissen."

Professor Dr. med. Bernhard Meyer, Direktor der Neurochirurgischen Klinik und Poliklinik, Klinikum rechts der Isar der TU München

Das hängt auch damit zusammen, dass - streng genommen - der Beinschmerz das klassische Symptom eines Bandscheibenvorfalls mit Kompression eines Nervs und nicht der Rückenschmerz ist, ergänzt Neurochirurg Professor Christoph Siepe vom Wirblesäulenzentrum der Schön Klink München Harlaching. Oft kämen bei vielen Patienten Rückenschmerzen begleitend dazu, aus ganz unterschiedlichen Gründen.

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Bandscheibenvorfall oder nur Vorwölbung der Bandscheibe (Protrusion)?

Die Diagnose erfolgt in der Regel anhand von bildgebenden Verfahren wie CT- oder MRT-Aufnahmen. Doch sie ist, wie Professor Siepe kritisiert, manchmal nicht korrekt oder wird falsch kommuniziert.

"Es kommt immer wieder vor, dass Patienten, bei denen die Diagnose eines Bandscheibenvorfalls in den Raum gestellt und diagnostiziert wurde, tatsächlich nie einen Bandscheibenvorfall hatten, sondern lediglich eine Vorwölbung der Bandscheibe, eine sogenannte Protrusion. Das ist aus meiner Sicht durchaus problematisch. Denn auch wenn Patienten meinen, einen Bandscheibenvorfall zu haben, ruft das natürlich Sorgen und auch ein entsprechendes Krankheitsempfinden hervor. Eine adäquate Kommunikation des korrekten Befundes an den Patienten könnte hier viele Ängste vermeiden."

Professor Dr. med. Christoph J. Siepe, Neurochirurg, Wirbelsäulenzentrum Schön Klinik München Harlaching

Bandscheibenvorfall: Wann ist welche Therapie sinnvoll?

Viele Bandscheibenvorfälle machen den Betroffenen wenig oder gar nicht zu schaffen. Manchmal wird ein Bandscheibenvorfall sogar erst nachträglich als Zufallsbefund festgestellt. Grundsätzlich gilt: Wenn der Patient Beschwerden wie Schmerzen oder Taubheitsgefühle hat, ist eine Therapie ratsam. Aber selbst dann ist eine sofortige OP nicht zwingend erforderlich.

Dr. med. Bernhard Meyer

"Es sind diejenigen, die schwere Ausfälle, also neurologische Ausfälle haben. Entweder sie haben eine Lähmung, das heißt, sie können das Bein tatsächlich nicht mehr bewegen, oder sie können Blase oder Mastdarm nicht mehr kontrollieren. Das sind die Fälle, wo man tatsächlich operieren muss. Alle anderen kann man operieren, aber von Müssen ist keine Rede."

Professor Dr. med. Bernhard Meyer, Direktor der Neurochirurgischen Klinik und Poliklinik, Klinikum rechts der Isar der TU München

Allerdings kann auch der Schmerz selbst Kriterium für eine Operation sein, ergänzt Professor Christoph Siepe.  

"Ein weniger greifbares, jedoch absolut relevantes Kriterium ist der Schmerz, den die Kompression eines Nerven für den Patienten verursacht. Die Schmerzintensität kann dabei sehr unterschiedlich ausfallen und hängt unter anderem mit Kriterien wie der Größe und der Lage des Vorfalls zusammen. Der Schmerz kann so erheblich sein, dass schon von Seiten des Patienten eine konservative Therapie, die sich in der Regel über mehrere Wochen erstreckt, nicht toleriert wird. Das sind die Fälle, bei denen eine OP-Indikation gegeben ist, auch wenn keine harten neurologischen Defizite vorliegen."

Professor Dr. med. Christoph J. Siepe, Neurochirurg, Wirbelsäulenzentrum Schön Klinik München Harlaching

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Konservative Therapien beim Bandscheibenvorfall

Die Patienten, die keine neurologischen Ausfälle haben, beginnen in der Regel mit einer Schmerztherapie und konservativen Therapien wie gezielter Physiotherapie und Rückenschule. Therapieschritte gegen Schmerzen sind wichtig, damit sich kein Schmerzgedächtnis bildet. Außerdem werden Schmerzen oft von vielen Faktoren beeinflusst. Physiotherapie ist nach wie vor wichtige Grundlage für die Behandlung jeder Wirbelsäulenerkrankung. Sie wird eingesetzt, um eine Operation zu verhindern und hilft auch nach einer OP mit dem Ergebnis zurechtzukommen. Welche Methoden im Einzelfall sinnvoll sind, entscheiden Ärzte beziehungsweise Physiotherapeuten. Erst, wenn keine Linderung der Beschwerden eintritt, sollten weitere Therapien wie eine OP diskutiert werden.

"Wenn trotz konservativer Therapie über mehrere Wochen oder sogar Monate keine für den Patienten akzeptable Beschwerdelinderung erzielt werden kann, ist ebenfalls eine OP-Indikation gegeben. Dann wird gemeinsam mit dem Patienten die Möglichkeit einer operativen Entlastung der Nerven besprochen."

Professor Dr. med. Christoph J. Siepe, Neurochirurg, Wirbelsäulenzentrum Schön Klinik München Harlaching

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Operation beim Bandscheibenvorfall

Bandscheiben-Operation mit Mikroskop

Die gängige Operationsmethode bei Bandscheibenvorfällen ist die operative Entfernung von ausgetretenem Bandscheibengewebe. Bei dem Eingriff wird der Teil der Bandscheibe entfernt, der gegen die Nervenstränge drückt und somit die Beschwerden verursacht. Auch eine Entferung der gesamten Bandscheibe ist möglich. Eingesetzt wird dann eine Bandscheibenprothese, die die Beweglichkeit der Wirbel erhält. Der Patient liegt bei der OP auf dem Bauch. In vielen Fällen muss nur ein kleiner Schnitt von wenigen Zentimetern Länge am Rücken gesetzt werden, um den Eingriff durchzuführen.

"Eine Operation an der Bandscheibe kann man als minimal-invasiven Eingriff bezeichnen - egal ob er über einen offenen Schnitt von zwei bis drei Zentimetern Länge stattfindet oder nur über kleine Röhrchen, die man bis zur Wirbelsäule einführen kann, um dann mit Hilfe eines Mikroskops zu operieren. Im Ergebnis macht das keinen großen Unterschied. Das dauert in der Regel 45 bis 60 Minuten und der Patient ist danach zügig wieder fit und belastbar."

Professor Dr. med. Bernhard Meyer, Direktor der Neurochirurgischen Klinik und Poliklinik, Klinikum rechts der Isar der TU München

In der Regel wird ein Sperrer oder Ring eingesetzt, durch den die Operationsgeräte eingeführt werden. Der Bandscheibenvorfall liegt unter den Nervensträngen, die von einer Hülle, der Dura Mater, umgeben sind. Der Eingriff ist Millimeterarbeit, daher wird bei der Operation meist ein Mikroskop benutzt.

Mögliche Komplikationen bei der Bandscheiben-Operation

Auch wenn die Bandscheiben-OP als Standardeingriff gesehen wird, kann es Komplikationen geben. So kann zum Beispiel die Dura Mater beim Entfernen des Gewebes, die Hülle um die Nervenstränge, einen Riss bekommen. Dann tritt Nervenflüssigkeit aus. Das passiert in schätzungsweise etwa ein bis zwei Prozent der Eingriffe. Das ist nicht gefährlich, wenn der Riss sofort wieder verschlossen wird. Bei diesen Patienten kann aber einige Tage lang Schwindel auftreten.

Zwingende Gründe für eine Operation an der Wirbelsäule

  • Dauerhaft nicht beherrschbare Schmerzen, Schmerzen trotz Ausschöpfung aller konservativen Methoden von Physiotherapie und der multimodalen Schmerztherapie
  • Ausgeprägte neurologische Ausfälle (z. B. Blasen- oder Enddarm-Lähmung oder Lähmung an Armen oder Beinen), die zu bleibenden funktionellen Ausfällen führen.

In allen anderen Fällen muss nicht zwingend operiert werden. Das bedeutet allerdings auch, dass Patienten Zeit und Geduld mitbringen müssen: Erst wenn ein bestimmtes konservatives Therapieverfahren versagt hat, sollte ein operativer Eingriff erfolgen.

Operation bei Spinalkanalstenose (Wirbelkanalverengung)

Ein Beispiel für sinnvolle Operationen an der Wirbelsäule bis ins hohe Alter ist die Spinalkanalstenose. Bei diesem Krankheitsbild, das vor allem ältere Menschen betrifft, wird der Spinalkanal durch Knochen- und Bänderwucherungen immer enger, bis die darin liegenden Nerven gedrückt werden. Nach und nach entstehen dadurch Muskelschwäche und Beinschmerzen, die den Patienten in seiner Bewegungsfähigkeit einschränken.

"Teilweise können diese Patienten nur noch wenige Meter laufen, bevor die Beine schwach werden. Solche Spinalkanalstenosen, die den Patienten in seiner Bewegung stark einschränken und seine Lebensqualität massiv einschränken, sind Indikationen für eine Operation, wenn es die körperliche Gesundheit des Patienten zulässt. Das ist aber heute auch bei vielen 70- bis 90-Jährigen noch der Fall."

Professor Dr. med. Bernhard Meyer, Direktor der Neurochirurgischen Klinik und Poliklinik, Klinikum rechts der Isar der TU München

Modell einer Wirbelsäule mit Wirbeln und Spinalnerven (gelb)

Je nach Ausprägung können Spinalkanalstenosen an einer oder auch mehreren angrenzenden Wirbeln operiert werden. Der Chirurg weitet den verengten Wirbelkanal, indem er Knochenmaterial oder verdickte Bandstrukturen entfernt. Diese Operation wird ebenfalls unter dem Mikroskop über einen kleinen Schnitt am Rücken durchgeführt und dauert ebenfalls nur 45 bis 60 Minuten. Die meisten Patienten bemerken trotz Wundschmerzen schon direkt nach der Operation bereits eine deutliche Besserung ihrer Beschwerden.

Nur wenn zusätzlich zur Verengung des Wirbelkanals eine Instabilität der Wirbelsäule vorliegt ("Wirbelgleiten"), kann es sein, dass die Operation nicht mit endoskopischer Technik zu bewältigen ist.

Wirbelsäulen-Operationen: Weiterentwicklung von Methoden und Technik

Technik und das Vorgehen bei Operationen von Bandscheibenvorfällen entwickeln sich stetig weiter. Damit erweitern sich auch die Möglichkeiten, wann und wer operiert werden kann.

"In den vergangenen Jahren können Bandscheibenoperationen über nur sechs bis sieben Millimeter kleine Schnitte durchgeführt werden. Das hat sich also nochmals deutlich reduziert. Neben den bekannten Vorteilen der minimalinvasiven Chirurgie, wie zum Beispiel dem geringeren Blutverlust, der schnelleren postoperativen Mobilisation und kürzeren stationären Aufenthalten, bestehen bei der Endoskopie weitere Vorteile. Sie können weitgehend unabhängig vom Gewicht des Patienten durchgeführt werden.
Darüber hinaus kann bei den kleinen, nur sechs Millimeter großen Schnitten das Risiko von Infektionen und Wundheilungsstörungen eliminiert werden. Die Einführung einer solchen Technik, bei der die Rate der Infektionen im Rahmen einer OP gegen Null geht, hat einen erheblichen Impact, weil diese Eingriffe deshalb auch sehr häufig durchgeführt werden können."

Professor Dr. med. Christoph J. Siepe, Neurochirurg, Wirbelsäulenzentrum Schön Klinik München Harlaching

Wirbelsäulen-Operationen: Schlechter Ruf und große Ängste?

Neurochirurg Professor Christoph Siepe kennt den schlechten Ruf und die Ängste, die sich mit Wirbelsäulen-OPs verbinden. Das liegt vor allem daran, dass diese OPs früher tatsächlich besonders für ältere Patienten mit erheblichen Risiken und Belastungen verbunden waren.

"Noch vor wenigen Jahrzehnten hat man solche Eingriffe über große Hautschnitte durchgeführt. Das ist natürlich ein erhebliches Trauma auch für die Muskulatur, die dabei von der Wirbelsäule abgelöst werden muss. Man hatte damals, in den 1980er-Jahren, vollständig das knöcherne Dach entfernt, und dadurch wurden tragende Strukturen der Wirbelsäule instabil.
Vergleicht man frühere und heutige Techniken und Möglichkeiten, hilft ein einfaches Bild: Der Unterschied und Fortschritt ist etwa so groß wie der zwischen einem Oldtimer-PKW und einem neu entwickelten Elektroauto."

Professor Dr. med. Christoph J. Siepe, Neurochirurg, Wirbelsäulenzentrum Schön Klinik München Harlaching

Schnell wieder mobil werden nach minimal-invasiven Wirbelsäulen-Operationen

Schonende und wenig belastende Operationstechniken sind wichtig, weil viele Patienten, die an Spinalkanalstenose leiden, älter als 75 Jahre sind. So wird es möglich, das Patienten nach dem Eingriff möglichst schnell wieder mobil werden. Noch komplexer als ein Eingriff an der Lendenwirbelsäule ist ein Eingriff an der Halswirbelsäule, da der Nervenstrang dort noch empfindlicher und filigraner ist. Sogenannte voll-endoskopische Dekompressionen werden in großen Zentren in Deutschland angeboten.

"Je kleiner die Eingriffe werden, desto komplexer wird es. Und es ist bekannt, dass die Lernkurve, bis man eine OP-Technik beherrscht, doch eine ganze Weile dauert. Deswegen ist es immer ein bisschen einfacher, neuartige und weiterentwickelte Methoden in großen Zentren zu etablieren, in denen dann auch viele Fälle behandelt werden."

Professor Dr.med. Christoph J. Siepe, Neurochirurg, Wirbelsäulenzentrum Schön Klinik München Harlaching

Sendungen zum Thema Rückenschmerzen, Bandscheibenvorfall und Wirbelsäulen-Operationen


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