FrauenGeschichte - Frauen schreiben Geschichte Clärenore Stinnes fährt als Erste mit dem Auto um die Welt
Mit drei Revolvern im Gepäck trotzt Clärenore Stinnes Hunger und Durst, Hitze und Kälte, vertreibt Wölfe und Räuber. Doch nicht nur das ist äußerst mutig: Sie ist der erste Mensch, der die Erde mit dem Auto umrundet.
Schon als Kind kennt Clärenore Stinnes alle Auto- und Motortypen auswendig. Die Mutter wünscht sich für ihre Tochter eine standesgemäße Heirat. Schließlich stammt Clärenore Stinnes aus einer der wohlhabendsten Unternehmerfamilien ihrer Zeit. Clärenore dagegen verfolgt ein ganz anderes Ziel: Sie will Rennfahrerin werden. Mit 23 Jahren gewinnt sie ihr erstes Rennen. 16 weitere Male besiegt sie die Männerriege im Rennfahrersport, bis sie nach neuen Herausforderungen sucht: einmal mit dem Auto um die Welt zu reisen.
Clärenore Stinnes, die vielfach gesponserte Abenteurerin
Mehr über Clärenore Stinnes
Als kettenrauchende Weltreisende in Hose und Krawatte will ihre Familie sie nicht unterstützen. Also überzeugt sie Bosch, Continental und Aral, ihre Fahrt um die Welt mit 100.000 Reichsmark zu sponsern. Die Firma Adler schenkt ihr eine Serienlimousine mit Drei-Gang-Getriebe und 50 PS. Am 25. Mai 1927 startet sie ihr Abenteuer in Frankfurt.
Die Route von Clärenore Stinnes
Von Frankfurt führt die Route gen Osten: durch den Kaukasus nach Sibirien, über den zugefrorenen Baikalsee, durch die Wüste Gobi, über die Anden, quer durch Nordamerika. Und per Schiff zurück nach Europa. Bis zum Ziel Berlin legt Clärenore Stinnes 46.758 Fahrtkilometer zurück.
Clärenore Stinnes startet ihre Weltreise mit drei Männern
Die Begleiter von Clärenore Stinnes
- Viktor Heidtlinger, Techniker
- Hans Grunow, Techniker
- Carl-Axel Söderström, Fotograf und Filmemacher
Drei Männer nimmt Clärenore Stinnes mit: zwei Techniker und den Fotografen Carl-Axel Söderström, der ihre Odyssee dokumentieren soll. Letzteren sucht sie aus, weil er verheiratet und "als Schwede vielleicht auch etwas kühler in der Natur" ist, sagt Clärenore Stinnes hinterher.
Stinnes, die Frau "aus Stahl", ist zu hart für ihre Begleiter
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Cool muss das ganze Team sein: Da Clärenore Stinnes einen frühzeitigen Wintereinbruch fürchtet, genehmigt sie ihren Begleitern keine Pause. Sie hat 128 hartgekochte Eier eingepackt als schnelle Kost für Zwischendurch.
Ein Techniker kehrt bald um und auch der Fotograf Carl-Axel Söderström hat seine Anfangsschwierigkeiten: Er ist überzeugt, dass er nicht bis zum Ende durchhält neben der Frau, die seiner Meinung nach "aus Stahl gemacht" sein muss.
"Sie muss aus Stahl gemacht sein, so wie sie alles aushält, ohne zu klagen."
Tagebucheintrag von Carl-Axel Söderström während der Fahrt
Die zwei Techniker lassen Clärenore Stinnes im Stich
Die Weltreisenden bahnen sich ihren Weg durch schroffes Gelände, kämpfen sich durch Sandstürme, oft fehlt es an Straßen. Dazu kommen feindlich gesinnte oder betrunkene Wegelagerer, die bewaffnet auf sie losgehen. Der zweite Techniker gibt auch auf.
Lebensgefahr schweißt Stinnes und Söderström zusammen
Dann folgt doch noch eine längere Pause: Der Baikalsee muss für eine Überfahrt erst zufrieren. Zehn Wochen harrt das übriggebliebene Duo im russischen Irkutsk aus. Dann wagen sie sich übers Eis. Fast bricht es ein. Mit Vollgas retten sich Clärenore Stinnes und Carl-Axel Söderström ans andere Ufer. Daraufhin bietet Clärenore ihrem Fotografen das "Du" an. Und offensichtlich kommen sie sich auch sonst näher.
"Wir lernten kennen, dass es Augenblicke im menschlichen Leben gibt, in denen man sein Herz nicht mehr fühlt und nur noch wartet, ob es so oder so vorüber geht."
Aus dem Buch von Clärenore Stinnes: Im Auto durch zwei Welten. Die erste Autofahrt einer Frau um die Welt 1927 bis 1929
Clärenore Stinnes sprengt sich den Weg mit Dynamit frei
1928 erreicht das Duo Japan und fährt mit dem Schiff über den Pazifik weiter bis ins peruanische Lima. Jetzt folgt die größte Hürde: die Anden. Clärenore Stinnes und Carl-Axel Söderström sprengen sich den Weg mit Dynamit frei und kämpfen sich über Steigungen von 60 Prozent voran. Irgendwann versagen ihre Kräfte. Sie trinken das Kühlwasser ihres Wagens, weil sie kurz davor sind, zu verdursten. Das Auto muss abgeschleppt werden.
"Wir arbeiteten fieberhaft, mehr mit dem Hammer als mit Geduld. Unsere Hände waren wundgerissen und blutig."
Aus dem Buch von Clärenore Stinnes: Im Auto durch zwei Welten. Die erste Autofahrt einer Frau um die Welt 1927 bis 1929
Clärenore Stinnes wird in den USA prominent empfangen
Clärenore Stinnes
* 21. Januar 1901 in Mülheim an der Ruhr
† 7. September 1990 in Schweden
Aber selbst nach dieser Strapaze geht es weiter. Ihre letzte große Etappe heißt USA. Überall warten Reporter. Henry Ford führt sie durch seine Firma in Detroit. US-Präsident Herbert Hoover lädt sie ins Weiße Haus ein.
Mit dem Auto um die Welt: War Clärenore Stinnes die Erste?
Tatsächlich hatten schon vor Clärenore Stinnes zwei Frauen die Welt in einem Wagen umrundet. Die Amerikanerin Harriet White Fisher brach schon im Jahr 1909 zu ihrer Reise auf - das Locomobile fuhr allerdings nicht sie selbst, sondern ein Chauffeur. 1922 schloss sich die damals 16-jährige Kanadierin Idris Galcia Welsh, später Aloha Wanderwell, einer Auto-Expedition um die Welt an. Der Trip in einer Sonderausfertigung des damals noch nicht serienmäßigen Ford Modell T wurde von der Ford Motor Company unterstützt und technisch begleitet. Clärenore Stinnes gilt daher als Erste, die einen serienmäßig produzierten Personenwagen eigenständig um die Welt fuhr.
Clärenore Stinnes heiratet ihren Fotografen Carl-Axel Söderström
Nach der Atlantik-Überfahrt steigt Söderströms Ehefrau mit ins Auto, sie will die letzten Kilometer mit ihrem Mann reisen. Ein schwieriges Dreiergespann. Bald nach dem triumphalen Empfang am 24. Juni 1929 in Berlin lässt sich der Fotograf scheiden - und heiratet Clärenore Stinnes. Clärenore und Carl-Axel Söderström gehen nach Südschweden, betreiben dort einen Bauernhof und bekommen drei Kinder. Von Abenteuerreisen haben sie genug.
"FrauenGeschichte" auf Instagram
Viel zu oft standen Frauen, die Großes geleistet haben, im Schatten der Männer. Der BR-Instagram-Kanal "FrauenGeschichte" zeigt die weibliche Perspektive auf die Vergangenheit.