FrauenGeschichte - Frauen schreiben Geschichte Junko Tabei besteigt als erste Frau den Mount Everest
Die japanische Bergsteigerin Junko Tabei hat als erste Frau den Mount Everest bestiegen - und dies nur mit Glück überlebt. Im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen gab sie sofort zu: Ohne ihre Sherpas wäre sie gescheitert.
Die Lawine kam wie aus dem Nichts. Die Japanerin Junko Tabei (1939 - 2016) war an diesem Tag im Jahr 1975 mit ihrer Expedition - 14 Frauen und neun Sherpas - schon seit zwei Monaten unterwegs. Das Ziel: Der Gipfel des Mount Everest, den noch nie eine Frau bestiegen hatte. 6.300 Meter Höhe waren schon erreicht, die Luft wurde dünn. Die Todeszone ab 7.000 Metern Höhe stand kurz bevor, sie wollten noch einmal rasten.
Junko Tabei wird am Mount Everest von einer Lawine begraben
Ein Eisabbruch überraschte die Expedition im Schlaf und begrub auch Junko Tabei unter sich. Es gab kein Unten und Oben mehr. Atmen fiel ihr zunehmend schwerer. Sie dachte an ihre kleine Tochter, die zuhause auf sie wartete. Dann löste sich ihre Welt in bunte Lichter auf. So hat Junko Tabei den Lawinenunfall später geschildert. Nach sechs Minuten Bewusstlosigkeit öffnete sie die Augen und erblickte ihren Sherpa. Er hatte sie mit bloßen Händen ausgegraben und damit ihr Leben gerettet. Das gesamte Team hat die Lawine überlebt.
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Junko Tabei gründet in Japan einen Bergsteigerclub für Frauen
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Drei Jahre lang hatte sich die 1,52 Meter kleine und 50 Kilogramm leichte Bergsteigerin Junko Tabei auf diesen Anstieg vorbereitet. Als Kind war sie kränklich und schüchtern, sie verabscheute jeden Wettkampf. Doch das Bergsteigen liebte sie. An der Shōwa-Universität studierte sie Englische Literatur und wurde bald auch Mitglied in deren Bergsteigerclub, doch weigerten sich einige Kommilitonen, mit ihr als Frau überhaupt loszugehen. So gründete sie den ersten Club ihres Landes nur für Frauen: den "Ladies Climbing Club Japan". Mit den gelungenen Touren wuchsen Junko Tabeis Träume - und ihr Selbstbewusstsein. Bis sie eines Tages - sie stand auf dem mehr als 7.500 Meter hohen Annapurna III im Himalaya-Gebirge - den höchsten Berg der Welt ins Visier nahm.
Die junge Mutter Junko Tabei erhält die Genehmigung für den Mount Everest
Für ihr Vorhaben, den Mount Everest zu erklimmen, brauchte sie Unterstützer. Eine ernüchternde, aber häufige Antwort auf ihre Anfrage war, dass Frauen weder körperlich für ein solches Unternehmen gemacht, noch gesellschaftlich dafür gedacht seien. Doch überzeugt an ihrer Seite stand von Anfang an ihr Ehemann Masanobu Tabei, selbst Bergsteiger. Letztlich konnte sie einen Fernsehsender und eine Zeitung als Sponsoren gewinnen. Ihre Tochter war wenige Monate alt, da erhielt Junko Tabei Nachricht aus Nepal: die Expedition war genehmigt. Ein Glücksfall, damals wurden nur sehr wenige Expeditionen zugelassen: eine pro Saison!
Junko Tabei steigt mit selbstgenähter Ausrüstung auf den Mount Everest
Mit 35 Jahren startete sie mit ihrem Frauenteam und den Sherpas den Anstieg ihres Lebens. Die Expedition war finanziell nicht gerade üppig ausgestattet. Ihre Schlafsäcke zum Beispiel waren selbstgenäht und erst ab 7.500 Metern leisteten sie sich Sauerstoff. Als Leiterin der Expedition wählte Junko Tabei die Route, die auch die mutmaßlichen Erstbesteiger des größten Bergs der Welt, Edmund Hillary und Tenzing Norgay, 22 Jahre zuvor genommen hatten.
Bildergalerie: Die Erstbesteigung des Mount Everest
Junko Tabei erobert den Mount Everest auf allen Vieren
Nach dem Lawinenunglück dauerte es zwei Tage, bis Junko Tabei überhaupt wieder stehen konnte. Sie hatte Quetschungen und Prellungen, die sie aber nicht abhielten: "Ich schleppte mich wie in Trance voran", erinnerte sie sich später. Auf allen Vieren erreichte sie an der Seite eines Sherpas am 16. Mai 1975 als erste Frau den Gipfel. An den Moment des großen Triumphs erinnerte sie sich zeitlebens gut: "Ich wollte keinen Schritt mehr gehen."
Junko Tabei: "nur der 36. Mensch auf dem Mount Everest"
Junko Tabei & die Seven Summits
Junko Tabei war auch die erste Frau, die die höchsten Gipfel aller sieben Regionen der Welt bezwungen hat: 1992 hatte sie alle Seven Summits bestiegen.
Die Aufmerksamkeit, die sie für ihre Besteigung des Mount Everest bekam, wurde der bescheidenen Frau schnell zu viel. Sie sei ohnehin nur die 36. Person auf dem Gipfel gewesen - doch selbst mit diesem Hinweis konnte Junko Tabei den Rummel kaum abwehren. "Ich kann nicht verstehen, warum Männer so einen Wirbel um den Mount Everest machen - es ist nur ein Berg." Dafür sprach sie aus, was vorangegangene Männerexpeditionen oft verschwiegen haben: Ohne Hilfe der Sherpas wäre sie kläglich gescheitert.
Junko Tabei genoss die Berge - und wollte sie schützen
Der Junko-Tabei-Asteroid
Im Jahr 2000 wurde ein Asteroid nach Junko Tabei benannt: "(6897) Tabei".
Später kämpfte Junko Tabei gegen die Vermüllung der Berge und gründete hierfür den "Japanischen Himalaya-Abenteuer-Fonds". Ihr Leben lang hörte Junko Tabei nicht auf, Berge zu erklimmen, selbst als sie in den letzten vier Jahren ihres Lebens an Krebs erkrankt war. Ihren Drang nach oben erklärte sie so: "Wir leben in einer so künstlichen Welt, in der wir die Natur vergessen. Oben auf dem Berg aber sind wir eins mit ihr."
"FrauenGeschichte" auf Instagram
Viel zu oft standen Frauen, die Großes geleistet haben, im Schatten der Männer. Der BR-Instagram-Kanal "FrauenGeschichte" zeigt die weibliche Perspektive auf die Vergangenheit.