Sternbild Jungfrau (Virgo) Ein riesiges Frühlings-Sternbild
Das Sternbild Jungfrau ist eines der größten Sternbilder am Sternenhimmel. Aber kennt ihr es? Habt ihr die Jungfrau schonmal am Nachthimmel gesehen? Sie ist ein bisschen unscheinbar und daher schwer zu finden. Aber die Jungfrau hat es in sich.
Im Frühjahr taucht mit der Jungfrau ein riesiges, doch schwer erkennbares Sternbild am südlichen Himmel auf. Finden könnt ihr die Jungfrau sehr leicht: Verlängert ihr die vorderste Deichsel des Großen Wagens, dann trefft ihr zunächst auf den sehr hellen Arktur im Bärenhüter. Noch ein Stückchen weiter in der gleichen Richtung blitzt in bläulichem Licht die heiße Spica, der hellste Stern in der Jungfrau. Rund 260 Lichtjahre ist dieser Stern von unserer Sonne entfernt. Die übrigen Sterne der Jungfrau sind höchstens dritter Größenklasse und daher weniger deutlich zu sehen.
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Wären die Sterne der Jungfrau etwas heller, würde das Sternbild den Frühlingshimmel dominieren, denn nach der Wasserschlange ist es das größte an unserem Himmel: Die Jungfrau erstreckt sich auf eine Breite von etwa 45 Grad und eine Höhe von rund 35 Grad. Wie ihre Nachbarn Waage und Löwe liegt sie auf der Ekliptik und gehört daher zu den Tierkreisbildern. Ihre helle Spica bildet zusammen mit Arktur im Bärenhüter und Regulus im Löwen das Frühlingsdreieck. Den höchsten Stand im Süden hat das Sternbild Mitte April.
Galaxien bis zum Abwinken
Die Sensation der Jungfrau ist der Virgo-Haufen: Ein riesiger Galaxienhaufen mit mehr als 2.000 Galaxien - Nachbar unserer eigenen Lokalen Gruppe. Der Haufen erstreckt sich am Rande des Sternbilds Jungfrau zu den Sternbildern Löwe und Haar der Berenike hin über eine scheinbare Größe von acht Grad - das ist 16-mal größer als die Scheibe des Vollmonds! Die Galaxien sind sehr weit entfernt - rund 60 Millionen Lichtjahre. Die hellsten könnt ihr dennoch schon in einem Fernglas erkennen. Etwa die elliptische Riesengalaxie M49: Mit einer scheinbaren Helligkeit von 8,4 mag wurde sie bereits 1771 von Charles Messier entdeckt.
Rund dreißig Galaxien des Haufens erkennt ihr in einem kleineren Teleskop - und ein paar sind wunderschön: Etwa die Sombrero-Galaxie (M104), auf deren Kante wir blicken können ("edge-on"-Galaxie). Bei M61 blicken wir senkrecht auf die Mittelebene der Spiralgalaxie ("face-on") und können daher die Spiralarme sehr deutlich erkennen. Dagegen gibt es in der Jungfrau mit M89 auch eine Vertreterin der elliptischen Galaxien - ein nahezu kreisrundes Sternsystem mit deutlich ausgeprägter Hülle.
Ein Haufen alter Sterne
Auch ein Kugelsternhaufen findet sich in der Jungfrau: Zwischen den Sternen μ Vir und ι Vir liegt der Sternhaufen mit der Bezeichnung NGC 5634 - doch mit nur 11 mag ist er nur im lichtstarken Fernglas sichtbar. Kein Wunder - er ist etwa 75.000 Lichtjahre von uns entfernt.
Die schönsten Sterne der Jungfrau
Spica (α Vir) ist mit einer scheinbaren Helligkeit von 0,98 mag etwas heller als Sterne erster Größenklasse und gehört damit zu den 15 hellsten Sternen des Himmels. Und das, obwohl sie über 270 Lichtjahre entfernt ist. Sie hat etwa den siebenfachen Durchmesser unserer Sonne - aber ihre Leuchtkraft ist mehr als 2.000-mal größer. Sie leuchtet in einem bläulich-weißen Licht. Eigentlich ist Spica ein Doppelstern. Weil sich beide Komponenten wechselseitig bedecken, schwankt ihre scheinbare Helligkeit alle vier Tage um 0,06 mag - für das bloße Auge nicht wahrnehmbar. Damit ist Spica ein so genannter Bedeckungsveränderlicher Stern oder Algol-Veränderlicher.
Sehr viel größer ist der Helligkeitsunterschied bei dem veränderlichen Stern R Vir, der zwischen den Sternen Vindemiatrix und Zaniah liegt: Dieser Stern ändert seine Helligkeit in knapp fünf Monaten um rund sechs Größenklassen von 6 mag auf 12,1 mag. Bei größter Helligkeit ist er dann gerade noch für das bloße Auge sichtbar.
Es gibt noch weitere Doppelsterne in der Jungfrau: Porrima (γ Vir) beispielsweise besteht aus zwei gleich großen und gleich hellen Einzelsternen, die sich gegenseitig umkreisen. Mit 3,5 mag scheinbarer Helligkeit sind beide eigentlich gut zu sehen. Und da sie in etwa gleichwertig sind, könnten sie auch gut voneinander getrennt werden. Allerdings ändert sich der Winkelabstand der Einzelkomponenten zueinander aus unserer Sicht sehr stark, wenn sie sich in rund 170 Jahren einmal umkreisen: 1920 war ihr Abstand mit über sechs Bogensekunden zueinander am größten - schon mit einem Opernglas hätte man die Einzelsterne sehen können. 2008 beträgt der Abstand nur mehr 0,4 Bogensekunden - dann ist zur Trennung ein sehr großes Teleskop notwendig. Am Ende dieses Jahrhunderts wird es wieder ganz einfach sein.
Mythologie
Man braucht ein wenig Phantasie, um in der etwas undeutlichen Jungfrau die Gestalt eines liegenden Mädchens zu erkennen. Dennoch ist das Sternbild schon in der griechischen Antike bei Ptolemäus bekannt. Bereits vorher wird es mit Ackerbau in Verbindung gebracht. Die Babylonier sahen vor rund 4.000 Jahren die Kornähre in ihr, die den langen Winter unter der Erde verbringt und im Frühjahr hervorsprießt. Spica, der hellste Stern, trägt die lateinische Bezeichnung für die Kornähre. Denn auch bei Griechen und Römern wurde das Sternbild Jungfrau mit Fruchtbarkeit assoziiert.
Entführte Götting, erzürnte Gerechtigkeit
Meist gilt die Jungfrau als schöne Persephone, die Göttin des Wachstums (röm. Proserpina). Hades, der Herrscher der Unterwelt, entführt sie aus der Welt der Lebenden und macht sie zu seiner Frau. Persephones Mutter Demeter, die Göttin der Fruchtbarkeit, lässt in ihrer Trauer um die verlorene Tochter die Pflanzenwelt verkommen - die Ernten gehen kaputt, die Menschen verhungern. Daraufhin versucht der Göttervater Zeus zu vermitteln. Als Vater der Persephone und zugleich Bruder des Hades erreicht er, dass Persephone immer ein halbes Jahr lang wieder aus der Unterwelt hervorkommen darf. Daher taucht die schöne Göttin in jedem Frühjahr am Himmel auf und kehrt zu ihrer Mutter zurück. Doch das halbe Jahr, dass sie den Winter über bei ihrem Gatten Hades verbringt, bleibt auch die Saat unter der Erde.
Gelegentlich wird das Sternbild auch als Göttin Dike bezeichnet, eine der Horen in der griechischen Mythologie, die zunächst für die Jahreszeiten, später für Recht und Gerechtigkeit zuständig waren. Dike lebt als Tochter von Zeus und Themis in einer friedvollen Frühzeit. Als durch die Menschen Zorn, Ungerechtigkeit und Gewalt hervorgebracht werden, flüchtet sie voller Abscheu an den Himmel.
Auch als Erigone taucht sie immer wieder auf, die Tochter des griechischen Helden Ikarios. Ihr Vater erlernte vom Gott Dionysos, wie man Wein herstellt. Der Große Wagen war sein Winzerwagen, das er als Frühlingssternbild Ochsentreiber (Bärenhüter) lenkt. Ikarios wollte den edlen Tropfen ein paar Schafhirten verkaufen. Als von diesen jedoch die ersten volltrunken niedersanken, fürchteten die übrigen Hirten, Ikarios wolle sie vergiften. Sie erschlugen ihn und verscharrten seine Leiche unter einem Baum. Zu diesem Baum wurde Erigone von ihrem Hund geführt. Angesichts des toten Vaters erhängte sie sich an dem Baum, ihr Hund starb vor Einsamkeit. Zeus erbarmte sich der Familie und setzte sie als Sternbilder am Himmel nahe zusammen: Erigone als Jungfrau, über ihr Ikarios als Bärenhüter. Gelegentlich gilt der Kleine Hund als Hund der Erigone.