Faszination Psychologie Pädagogische Psychologie
Lehren, Lernen und die Gestaltung von Lernumwelten sind wichtige Themen der pädagogischen Psychologie. Sie setzt Erkenntnisse aus Grundlagenfächern wie der Entwicklungspsychologie, der Sozialpsychologie oder der Psychologie des Lernens ein, um anwendungsbezogene pädagogische Fragestellungen beantworten zu können. Ein Bespiel: geschlechtsspezifische Unterschiede beim Lernen.
Verbale Fähigkeiten von Mädchen und Jungen
Betrachtet man die Sprachentwicklung im frühesten Kindesalter, so legen Mädchen ein höheres Tempo vor als Jungen. Sie fangen in der Regel früher an zu sprechen und verfügen bald über einen größeren Wortschatz als ihre männlichen Altersgenossen. Dieser Vorsprung setzt sich in der Schule fort: In Fächern wie Deutsch und Fremdsprachen erzielen Mädchen die besseren Noten.
Betrachtet man die einzelnen Leistungen jedoch genauer, dann zeigt sich, dass Mädchen vor allem in der Rechtschreibung sicherer sind. Hinsichtlich Lesefähigkeit und Textverstehen unterscheiden sich beide Geschlechter in der Schulzeit kaum voneinander. Allerdings gibt es im unteren Leistungsbereich zweieinhalb Mal mehr Jungen, bei denen eine Lese-Rechtschreibschwäche diagnostiziert wird.
Mögliche Ursachen der geschlechtsspezifischen Unterschiede
Zur Erklärung der geschlechtsspezifischen Unterschiede bei den verbalen Fähigkeiten werden derzeit drei Hypothesen diskutiert:
Die Reifungshypothese
Sie geht der Annahme nach, dass Jungen gegenüber gleichaltrigen Mädchen in der Entwicklung ihres Zentralnervensystems hinterher sind. Ein Indiz dafür: Die Geschlechtsunterschiede in den verbalen Fähigkeiten verringern sich mit zunehmendem Alter. Wirklich belegt ist die Reifungshypothese jedoch noch nicht.
Die Motivationshypothese
Lesen und Schreiben zu lernen passt besser in das weibliche Rollenbild. Deshalb ist die Motivation zum Erwerb dieser Fähigkeiten bei Mädchen stärker ausgeprägt als bei Jungen. Verstärkt wird dies durch die Art der Texte, die in der Schule gelesen werden: Sie sind häufig mehr auf die Interessen der Mädchen abgestimmt.
Die Übungshypothese
Zum Teil gelingt es bereits in der Schule nicht, Jungen für das Lesen und Schreiben zu interessieren. Der Deutschunterricht spricht sie einfach nicht an, und darum verspüren sie auch weniger Lust, in ihrer Freizeit zu lesen und zu schreiben. Der daraus entstehende Übungsmangel könnte ebenfalls die Leistungsdefizite der Jungen erklären.
Mathematisch-naturwissenschaftliche Fähigkeiten
Mit Ausnahme der Biologie sind die Jungen den Mädchen in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fähigkeiten geringfügig überlegen – so ist zumindest die Meinung bei Eltern, Lehrkräften und Schülern. Betrachtet man die hierzu vorliegenden Studien im Detail, dann relativiert sich dieses Klischee ein wenig. Im Durchschnitt unterscheiden sich die mathematischen Fähigkeiten von Jungen und Mädchen während der gesamten Schulzeit nämlich nur unbedeutend voneinander. Allerdings finden sich im obersten Leistungsbereich mehr Jungen als Mädchen. Gleiches gilt jedoch auch für den untersten Leistungsbereich. Deutlich überlegen sind die Jungen den Mädchen nur, wenn es um Aufgaben geht, in denen das räumliche Vorstellungsvermögen eine bedeutende Rolle spielt.
Die Psychologie erklärt die bestehenden Geschlechtsunterschiede in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fähigkeiten mit unterschiedlichen Rollenerwartungen. Je konservativer das Elternhaus, desto weniger begabt schätzen Eltern ihre Töchter in diesen Fähigkeiten ein. Auch Lehrkräfte halten häufig die Bedeutsamkeit der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer bei Mädchen für geringer ein als bei Jungen.
Einfluss von Rollenerwartungen
Allerdings nahmen die Geschlechtsunterschiede in diesem Bereich in den vergangenen Jahren ab: ein deutlicher Hinweis, dass es sich nicht um angeborene Unterschiede handelt, sondern tatsächlich um geschlechtsspezifische Rollenerwartungen. In die gleiche Richtung weisen die Ergebnisse von monoedukativem Unterricht. Dabei werden beispielsweise in der Anfangsphase eines Faches die Mädchen getrennt von den Jungen unterrichtet. Dies führt auf beiden Seiten zu einem geringeren Rollendruck und die Aufmerksamkeit kann stärker auf den Unterrichtsstoff gelenkt werden, wodurch ein effizienteres Lernen begünstigt wird.
Diese Art des Unterrichts dient der Verwirklichung eines Ziels, das wir alle anstreben sollten: unabhängig von Geschlecht und Unterrichtsfach die Fähigkeiten eines jeden optimal zur Entfaltung zu bringen.